Kommentar zu Protesten im IranBaerbock muss die diplomatischen Samthandschuhe ablegen

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Baerbock EU ap 191022

Annalena Baerbock beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg (Archivbild)

  • Seit Wochen protestieren Iranerinnen und Iraner gegen das Regime in Teheran, das mit Gewalt regiert und reagiert.
  • Die Sanktionen von EU und Deutschland bleiben bisher aber blass – wegen florierender Handelsbeziehungen?
  • Die mutigen Menschen im Iran haben mehr Unterstützung des Westens verdient. Ein Kommentar.

Seit Wochen gehen mutige Iranerinnen und Iraner gegen die brutale Herrschaft des Regimes in Teheran auf die Straße. Wer sich an den Protesten beteiligt, riskiert dabei nachweislich sein Leben. Viel zu viele Menschenleben haben die Proteste, die durch den vermutlich gewaltsam herbeigeführten Tod Jina Mahsa Aminis ausgelöst wurden, bereits gekostet. Doch ernsthafter diplomatischer Druck aus Europa und Deutschland auf das Mullah-Regime blieb lange aus – weil die Bundesrepublik der wichtigste Handelspartner für das Regime in Teheran ist und die EU nach wie vor auf ein Atomabkommen hofft?

Diese Frage muss erlaubt sein. Während Annalena Baerbock völlig zurecht in den letzten Monaten kaum eine Maßnahme gegen den kriegstreibenden Wladimir Putin und Russland scheute, packt die Außenministerin das Regime in Teheran bisher mit diplomatischen Samthandschuhen an – gleiches gilt für ihre EU-Kollegen.

EU verhängt bisher nur harmlose Sanktionen gegen Teheran

Ja, zu Wochenbeginn verhängten die europäischen Außenminister schließlich Sanktionen gegen die iranische Sittenpolizei und einzelne Verantwortliche für die Niederschlagung der Proteste. Immerhin. Doch soll das alles sein?

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„Wer Frauen und Mädchen auf der Straße verprügelt, Menschen, die nichts anderes wollen, als frei leben, verschleppt, willkürlich verhaftet, zum Tode verurteilt, der steht auf der falschen Seite der Geschichte“, hatte Baerbock vor einer Woche verkündet. Das ist völlig richtig. Doch sollte man das dann nicht auch nachdrücklich klarmachen? Reichen da die paar Sanktiönchen, die nun auf die großen Worte folgten?

Deutschland hat florierende Handelsbeziehungen mit dem Iran

Beschränkungen für Einzelpersonen sind für das Regime in Teheran ein austauschbares „Problem“, derartige Sanktionen mögen manchem Machthaber weh tun, eine systemische Abkehr von der bisherigen Brutalität werden sie jedoch wohl kaum bewirken. Und wie sollen die Sanktionen gegen die Sittenpolizei die Truppen der Mullahs konkret von weiteren Morden und Verbrechen abhalten? Härtere Mittel, das zeigt der Blick nach Russland, gäbe es.

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Eine Iranerin protestiert ohne Kopftuch nach dem Tod von Jina Mahsa Amini (Archivbild)

Natürlich lässt sich aber nicht alles mit der Brechstange regeln. Doch dürfen die Hoffnungen auf ein Atomabkommen mit Teheran und die fragwürdiger Weise florierenden deutschen Handelsbeziehungen mit dem Iran dafür sorgen, dass man zum zahnlosen Tiger verkommt – und die Menschen im Iran im Regen stehen lässt?

Schärfere Sanktionen wegen Drohnen für Moskau, aber wegen Protesten nicht?

Diese Menschen riskieren mittlerweile täglich ihr Leben für die Freiheit – sie sind auf maximale Unterstützung angewiesen. Dass Baerbock und die EU nun ausgerechnet wegen vermeintlicher Waffenlieferungen an Russland über weitere, härtere Sanktionen gegen Teheran nachdenken, muss jeder und jedem, der unter ständiger Gefahr von Verfolgung, Folter und Ermordung auf iranischen Straßen für die Freiheit kämpft, wie der blanke Hohn vorkommen. Die Unterstützung Russlands erscheint so strafwürdiger als der brutale Umgang mit dem eigenen Volk.

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Es wäre an der Zeit, die diplomatischen Samthandschuhe auszuziehen – und zwar nicht (nur) wegen Drohnen für Moskau, sondern weil die Menschen im Iran nicht nur nach echter Hilfe rufen, sondern sie auch verdient haben.

Ukraine-Krieg zeigt: „Wandel durch Handel“ ist gescheitert 

Während die Urheber der „feministischen Außenpolitik“ das Konzept in Schweden jüngst beerdigen, könnte Annalena Baerbock mit härteren Maßnahmen und einer klareren Unterstützung der Protestbewegung nicht nur nachhaltiger helfen, sondern auch ein wichtiges Zeichen setzen – und damit zusätzlich unterstreichen, dass der Westen verstanden hat, dass das Konzept „Wandel durch Handel“ gescheitert ist. Atomabkommen und wirtschaftliche Beziehungen hin oder her.

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