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„Selbstständigen alleine gelassen“Die Fallen des Corona-Hilfsprogramms

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Tontechniker Torsten Zumhof mit seinem neuen Computer 

  1. Torsten Zumhof erinnert sich gut, wie Bundeswirtschaftsminister Altmaier versprach, dass man in der Corona-Krise niemanden im Regen stehen lassen werde.
  2. Nun soll er 9000 Euro aus dem Corona-Soforthilfeprogramm zurückzuzahlen.
  3. Doch nicht nur er gehört zu den Verlierern des staatlich verhängten Lockdowns: Bei Hunderttausenden herrscht die blanke Wut.

Köln – Er wartet auf den Brief. „Irgendwann wird die Mitteilung kommen“, ist sich Torsten Zumhof sicher. Der Bescheid des Landes NRW, der ihn dazu auffordert, die 9000 Euro aus dem Corona-Soforthilfeprogramm zurückzuzahlen, die der Kölner Sounddesigner Ende März erhalten hatte.

Was hatten sie damals nicht alles versprochen? Zumhof erinnert sich noch gut, wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sich vor der TV-Kamera brüstete, dass man in der Coronavirus-Krise niemanden im Regen stehen lassen werde. Auch sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Andreas Pinkwart (FDP) lobte die schnelle, unbürokratische Überbrückungshilfe für Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige.

Inzwischen aber hat der Bund die Regeln für die Corona-Pauschalen geändert: Die Zuschüsse sollen Betriebskosten wie Mieten für Büros decken, aber nicht die Umsatzausfälle durch entgangene Aufträge. Somit fallen Freiberufler wie Zumhof durchs Hilfsraster. Der Rheinländer gehört zu den Verlierern des staatlich verhängten Lockdowns. „Das ist der große Soforthilfeschwindel“, zürnt der Endvierziger.

Die Auftragslage sank auf null

Normalerweise bearbeitet Zumhof als Freelancer den Ton bei Filmen und TV-Serien. Bei Kinostreifen wie „Der Fall Collini“ hat er mitgearbeitet. Dann aber rissen die Aufträge ab. „Seit der Virus-Krise wird nicht mehr groß gedreht“, erläutert der Freischaffende. Die Auftragslage sank auf null. Als Zumhof von der Corona-Soforthilfe hörte, stellte er gleich einen Antrag, das Geld wurde schnell überwiesen. Der Medienmacher atmete durch, der Zuschuss würde erstmal für einige Monate reichen, bis sich die Branche wieder vom Lockdown erholt hätte.

Weit gefehlt. Nach kurzer Zeit teilte ihm seine Steuerberaterin mit, dass er vermutlich den Betrag wieder zurückzahlen müsse, weil sich die Bedingungen geändert hätten. Da Zumhof zu Hause arbeitet, fallen keine Betriebsausgaben an. Einen dringend benötigten neuen Computer hat er sich von dem Soforthilfe-Zuschuss angeschafft. „Das ist mein wichtigstes Arbeitswerkzeug.“ Aber die Kosten für das Gerät darf er nicht geltend machen. Investitionen sind nicht durch den Corona-Hilfetopf gedeckt.

Überbrückungshilfe reicht nicht zum Leben

Für seinen Lebensunterhalt darf er inzwischen durch die neueingeführte Überbrückungshilfe 2000 Euro behalten. Macht gerade einmal 670 Euro pro Monat während der Lockdown-Phase. Das reicht für Miete, Strom und Telefon nicht. Zumhof ist sauer: „Die Regierung gibt Milliarden für die angeschlagene Lufthansa, zahlt Kurzarbeitergeld ohne Ende, aber wir Selbstständigen werden alleine gelassen.“

So wie dem Medienschaffenden ergeht es Hunderttausenden Soloselbstständigen, Künstlern, Wirten oder Kleinunternehmern. Wirtschaftsminister Pinkwart hatte im Mai die Probleme erkannt. Massiv kritisierte der Liberale die Bundesregierung für ihren Beschluss, dass Solo-Selbstständige die Corona-Soforthilfen nicht für ihren Lebensunterhalt nutzen dürfen. „Die Bundesländer haben sich beim Bund nachdrücklich dafür eingesetzt, dass die von der Krise hart getroffenen zwei Millionen Solo-Selbstständigen Teile der Soforthilfe auch zur Sicherung ihres Lebensunterhalts einsetzen können“, erklärte Pinkwart. Geschehen ist wenig. Berlin hält sich in dieser Frage bisher bedeckt.

Zumindest hat die NRW-Regierung am vergangenen Dienstag einen vorläufigen Rückmeldungsstopp von Soforthilfebeziehern verfügt, um mit dem Bund über das Abrechnungsverfahren nachzuverhandeln. Allein 426 000 Betroffene in NRW sollen ihre Finanzierungsengpässe belegen. Oft wohl mit der Folge, dass sie Teilbezüge oder den kompletten Hilfsbeitrag rückerstatten müssen.

Es herrscht die blanke Wut

Vermutlich reichte ein Blick auf die vielen Beschwerden auf der Ministeriums-Facebookseite um zu erkennen, welche Fallen das Soforthilfe-Programm aufweist. Dort herrscht die blanke Wut: „Das Abrechnungsverfahren ist ein Witz“, schrieb eine Geschäftsinhaberin, „ich muss wohl 95 Prozent der Soforthilfe zurückzahlen, das bei zehn Wochen geschlossenem Ladenlokal mit null Umsatz.“

Die Kölner Steuerberaterin Jutta Hörter und ihre Mitarbeiterinnen versuchen seit Wochen das Schlimmste für ihre Mandanten zu verhindern. Ihr Fazit fällt eindeutig aus: „Das ganze Verfahren ist im Ergebnis sehr ungerecht, weil die Hilfen nicht bei denen ankommen, die sie wirklich brauchen.“ Da ist die ambulante Fußpflegerin, die keine Betriebskosten hat, aber fast drei Monate wegen des Lockdowns auf ihre Einnahmen verzichten musste. Da sie die Soforthilfe in Anspruch nahm, konnte sie kein Hartz IV rückwirkend für die Verlust-Phase beantragen. Nun muss sie die erhaltenen 9000 Euro wohl zurückzahlen.

Auch Lokalinhaber, Hoteliers und andere Gewerbetreibende, die sich in der Lockdown-Phase Mieten stunden ließen, gehen leer aus. Da die Schulden erst zu späterer Zeit beglichen werden müssen, fallen sie nicht unter den Soforthilfedeckel. Das gilt nur für Betriebskosten zwischen März und Mai.

Gastronomen-Verband kritisiert staatliches vorgehen scharf

Der Gastronomen-Verband Dehoga Nordrhein geht das staatliche Prozedere scharf an: „Das Land NRW hat mit der jetzigen Abrechnungsmethode die Bedingungen gegenüber der seinerzeitigen Bewilligung der Gelder geändert, und zwar derart, dass viele Unternehmer gezwungen sein werden, die Soforthilfe zurückzuzahlen.“ Wäre gleich klar gewesen, „nach welchen Kriterien das Land abrechnet, wären manche unternehmerische Entscheidungen anders getroffen worden“, betont Henning Thomas Graf von Schwerin, Präsident der Interessenvertretung.

Michael Kleiber, Kabarettist: Man weiß ja nie, ob nicht doch der Staat im Nachhinein eine böse Rechnung aufmacht.

So können keine Personalkosten geltend gemacht werden. Iris Rinnus, 58, hat derzeit einen 14-Stunden-Tag. Im Hotel „Alt-Rodenkirchen“ muss sie quasi alles allein erledigen. Vor Corona hatte sie Mini-Jobber, die ihr halfen. „Ich musste diese Leute entlassen, weil die Soforthilfe solche Personalkosten nicht trägt“, sagt sie. Inzwischen übernimmt eine Reinigungsfirma die Aufgaben. „Aber auch diese Ausgaben kann ich nicht als Betriebsausgaben anführen, weil der Vertrag erst im Zuge der Corona-Lockerungen geschlossen wurde.“ Knapp zwei Monate musste die Hotelbesitzerin ihre kleine Pension dichtmachen. Im Lockdown-Zeitraum machte Iris Rinnus 43 000 Euro weniger Umsatz.

Von den 9000 Euro Hilfsgeld muss die Kölnerin Rinnus wohl gut 7000 Euro zurückzahlen. Geld, das sie eigentlich für ihren Lebensunterhalt vorgesehen hatte. „Zum Allgemeinwohl haben wir unser Hotel wegen des Infektionsschutzes geschlossen und bekommen nichts zurück, aber was soll man machen, wenn der Staat die Spielregeln ändert.“

Iris Rinnus, Hotelbesitzerin: Zum Allgemeinwohl haben wir unser Hotel geschlossen und bekommen nichts zurück.

Bei Michael Kleiber, 61, läuft zwar der Betrieb wieder an. Aber durch ist er noch lange nicht. Monatelang hatte der Kölner Kabarettist und Schauspieler keine Engagements, alle Auftritte oder Drehs wurden abgesagt. Jetzt muss er sehen, wie er die 9000 Euro zurückzahlt. Den Großteil hat er wohlweislich noch auf dem Konto. „Denn man weiß ja nie, ob nicht doch der Staat im Nachhinein eine böse Rechnung aufmacht.“