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Studie zu LKA-Leitern veröffentlichtVier Alt-Nazis, die eine Polizeibehörde aufbauten

Lesezeit 4 Minuten

Für Polizeikontrollen im Ghetto in Lodz, Polen, war der zweite LKA-Chef Friedrich D’heil zeitweilig als Leiter der örtlichen Dienststelle zuständig.

  1. Eine Studie zeigt: Die ersten vier Leiter des Landkriminalamts in NRW waren an NS-Verbrechen beteiligt und haben sich nach 1945 geholfen, das zu vertuschen.
  2. Friedrich D'heil beispielsweise hat im polnischen Lodz das Judenghetto polizeilich bewacht und mitgewirkt, dass Hunderttausende zu Tode kamen.
  3. „Klar ist: Aus heutiger Sicht hätten diese Männer niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen“, sagt Innenminister Herbert Reul. Die Aufarbeitung kommt sehr spät, sagt ein Historiker.

Düsseldorf – Friedrich D’heil gehörte zu den Beamten der Kriminalpolizei, „die das Schicksal am schwersten betroffen hat“, schrieb er in seinem Lebenslauf. Dieser lag am 8. November 1947 seiner Bewerbung um das Amt des LKA-Leiters in Düsseldorf bei. D’heil hob darin seine langjährige Berufserfahrung hervor, listete seine bisherigen Dienststellen auf, Düsseldorf, Breslau und Kopenhagen gehörten dazu. Mit dem „Schicksal“ meinte der Kriminalpolizist den Nationalsozialismus und diesen habe er „bis zur Grenze des Möglichen“ bekämpft.

Was er verschweigt: D’heil, NSDAP-Mitglied und SS-Anwärter, war in Breslau für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) tätig, die Oppositionelle verfolgte und die NS-Rassenpolitik durchsetzte. Er war Teil eines Einsatzkommandos, das nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939 die Infrastruktur einer Terror-Diktatur aufbaute.

D'heil leitete die Polizeidienststelle in Lodz

Er leitete die Polizeidienststelle in der polnischen Stadt Lodz, überwachte dort den Aufbau und Betrieb des jüdischen Ghettos, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie. Vor 1939 fand man dort die zweitgrößte jüdische Gemeinde des Landes. Laut D’heil „etwa 250 000 Juden, die alle mehr oder weniger kriminell veranlagt sind“. Deshalb oblag auch „sofortiger Schusswaffengebrauch“ bei Fluchtversuchen. Öffentliche Demütigungen, Misshandlungen und bedingungslose Verfolgung von Bagatelldelikten wie Lebensmittelschmuggel waren an der Tagesordnung. Die im Ghetto Eingeschlossenen starben mehrheitlich. Sie erfroren, verhungerten, wurden erschossen oder in ein Vernichtungslager deportiert.

Alles zum Thema Herbert Reul

Friedrich D’heil

„Seine Selbststilisierung zum Widerstandskämpfer und Opfer der NS-Herrschaft wirkt geradezu grotesk“, urteilt Historiker Martin Hölzl in einem Gutachten zu den Leitern des LKA. Auf 119 Seiten dröselt er die Biografien der ersten vier Behördenleiter auf, macht nachlesbar, was teils bekannt war, aber nie aufgeschrieben wurde. „Das Gutachten zeigt ein sehr bedrückendes Ergebnis“, sagt auch LKA-Chef Frank Hoever bei der öffentlichen Präsentation vor einigen Wochen.

Karst nahm an einer Massenexekution teil

Wie bei D’heil, LKA-Leiter von 1948 bis 1958, lassen sich auch in den Leben seines Vorgängers Friedrich Karst und seiner beiden Nachfolger Oskar Wenzky und Günther Grasner Naziverbrechen finden. Karst nahm als Kriminalpolizist an einer Massenerschießung in Langenfeld teil. Kurz vor Kriegsende wurden Zwangsarbeiter und Gefängnisinsassen zu zweit aneinandergefesselt, zu einer bereits ausgehobenen Grube geführt und erschossen. Karst gab später allerdings nur zu, die Grube mitzugeschaufelt zu haben. Das Verfahren gegen die Beteiligten – Vorwürfe: Mord, Beihilfe zum Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit – wurde eingestellt.

Friedrich Karst

Das Gutachten über die LKA-Leiter wurde anlässlich der 70-Jahr-Feier der Behörde im Oktober 2016 in Auftrag gegeben. „Die Verantwortlichen fragten sich, wen man sich als Vorbild in die Galerie hängt“, sagt Christoph Spieker vom Erinnerungs- und Forschungsinstitut Villa Ten Hompel in Münster, das die Aufarbeitung für das LKA übernahm. Die Ergebnisse seien erschreckend, aber nicht überraschend. Dass die von den Alliierten befohlene Entnazifizierung der Behörden nur halbherzig funktionierte, ist bekannt.

Auch nach 1945 arbeiteten Nationalsozialisten für den deutschen Staat. Viele Polizisten folgten dabei dem gängigen Rechtfertigungsmuster: Allein die Gestapo und die SS hätten Nazi-Verbrechen begangen, die Polizei dagegen hätte nur unpolitische Rechtsverstöße verfolgt.

Alte Verbindungen blieben noch lange bestehen

Die Nachforschungen Hölzls zeigen detailliert, wie sich die Männer nach dem Zweiten Weltkrieg gegenseitig ihrer Unschuld versicherten. Im Fall von D’heil sagte sein ehemaliger Angestellter Edmund Bracken aus, D’heil „hat die Juden geschützt und ist für sie eingetreten bis fast über die Grenze des Möglichen.“ Nachweise für die Aussagen des Mannes, der die Polizeidienststelle im Ghetto Lodz initiiert hatte, gibt es bis heute nicht, doch ein Schwung von Gefälligkeitsschreiben reichte, um im Nachkriegsdeutschland als „politisch unbedenklich“ zu gelten.

Oskar Wenzky

Außerdem wird deutlich: Die alten Verbindungen blieben bestehen. D’heil gehörte wie sein Nachfolger Wenzky zum „Stammtisch der Alten Charlottenburger“, der sich monatlich in Düsseldorf traf – ein Netzwerk für NRWs leitende Kriminalbeamte. Von den 92 Stammtischlern, die 1971 noch dabei waren, wurde laut Hölzl gegen 84 wegen NS-Verbrechen ermittelt. Oskar Wenzky arbeitete während der Besatzung in Den Haag für die deutsche Kriminalpolizei, fahndete dort nach Juden, Widerstandskämpfern, Homosexuellen, Sinti und Roma. Er organisierte bewachte Wohnwagensiedlungen, die später den Abtransport der Sinti und Roma nach Auschwitz erleichterten. Wenzky leitete das LKA bis 1964, wurde 1971 zum Honorarprofessor der Kölner Universität ernannt. Auch er hatte sich bereits in den 50er-Jahren zum Widerstandskämpfer umgedeutet.

Günther Grasner

„Klar ist: Aus heutiger Sicht hätten diese Männer niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen“, sagt Innenminister Herbert Reul. Das moralische Versagen und die Schande über die NS-Verbrechen seien nach 1945 verdrängt worden, erst die Nachkriegsgeneration habe nach der individuellen Schuld gefragt.

Aufarbeitung kommt spät

Dem stimmt Historiker Spieker zu, kritisiert aber, dass auch die Aufarbeitung des LKA mit reichlich Verspätung stattfindet. Außerdem wurde nicht genug Geld für eine vollumfängliche Aufarbeitung zur Verfügung gestellt. „Wir wissen nicht, wie die Leiter in der Dienstzeit ihre Behörde geprägt haben“, sagt der Wissenschaftler.

Was hat aus dem nationalsozialistischen Denken Eingang in den Arbeitsalltag genommen? Wen haben die Behördenleiter gefördert und warum? Von D’heil zumindest ist bekannt, dass er in mindestens drei Fällen NS-Tätern zurück in den Polizeidienst half. Bis zu seinem Tod 1971 musste er sich nie verantworten.