„Viel gelernt“Kölner Klinik-Arzt erklärt, wie Covid-Patienten heute behandelt werden

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Dr. Stefan Hermes, kommissarischer Leiter der Inneren Medizin des St. Franziskus-Hospitals in Köln-Ehrenfeld. 

  • Oberarzt Stefan Hermes zieht Bilanz, was Mediziner wie er im letzten Jahr über die Behandlung von Corona-Patienten gelernt haben, welche Methoden und Medikamente sich bewährt haben – und welche nicht.

Köln – Der Krankenwagen mit Stefan Hermes' erstem Corona-Patienten bog am 17. März 2020 in Richtung St. Franziskus-Hospital in Ehrenfeld ab. „Die Prognose war nicht gut“, sagt Hermes. Der Mann im Krankenwagen, ein 80-Jähriger Heinsberger, atmete nur noch mithilfe einer Maschine. Auf der eilig errichteten Infektionsstation starb er. Mit dem Rettungswagen rollte auch die erste Welle auf das Krankenhaus zu: Zwei Stunden später erreichte ein weiterer Patient die Klinik, in den nächsten Tagen kamen Covid-Erkrankte nahezu im Stundentakt. Stefan Hermes, leitender Oberarzt auf der Inneren Medizin, und seine Kollegen standen vor kaum vorstellbaren Herausforderungen: Wie behandelt man eine hochinfektiöse Krankheit, gegen die es kein Medikament gibt? 

Ein Jahr später lehnt sich Stefan Hermes scheinbar entspannt in seinem Stuhl zurück. Sein Büro liegt auf dem Flur der Inneren Medizin, in Reichweite der Corona-Station. Die Hektik, die Unsicherheit und die Sorge der ersten Welle haben Platz gemacht für den Krisenalltag. Vergangenes Frühjahr nähten Mitarbeitende noch Masken aus Schürzen der Pfleger, Ford spendete Schutzanzüge und zehn Handwerker bauten innerhalb von wenigen Wochen eine Infektionsstation auf. Jedes Mal, wenn Hermes einen Patienten versorgte, hatte er Angst sich und seine Familie anzustecken.

Heftigere Verläufe bei britischer Variante

Heute, zu Beginn der dritten Coronawelle, sind Maskenlieferungen kein Problem mehr. Auch die Angst um sich und seine Familie ist längst nicht mehr so stark: Am 19. Januar wurde das Krankenhauspersonal gegen Corona geimpft. Die Versorgung der Corona-Patienten, sagt Hermes, bleibt jedoch schwierig. „Wir sehen, dass die Krankheitsverläufe mit der britischen Variante, die ja mittlerweile vorherrscht, heftiger sind“, sagt der 52-Jährige. „Das macht uns Sorgen.“ Bei der bisherigen Variante erkrankten Männer häufiger schwer, mittlerweile haben Frauen ebenso heftige Verläufe.

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„Luftnot und Atemversagen, das ist ein Krankheitsbild, was uns nicht unbekannt ist“, sagt der Oberarzt. Die Ärzte geben den Patienten Sauerstoff, erst über eine Maske, wenn das nicht reicht, intubieren sie und beatmen die Patienten über eine Maschine. In der ersten Welle lernten sie, dass auch die Lage der Patienten überlebenswichtig sein kann: „Wir haben relativ schnell gelernt, die Bauchlage zu etablieren“, sagt Hermes. So könne man die Durchblutung verbessern, bei nicht beatmeten Patienten wechseln die Ärzte zwischen Bauch- und Rückenlage.

Kortison bringt „als einziges Medikament einen Überlebensvorteil“

Schon im Frühjahr begannen die Ärzte, Coronakranke mit dem Medikament Kortison zu behandeln. Vor allem bei schwer erkrankten und beatmeten Patienten bringe Kortison „als einziges Medikament einen Überlebensvorteil“, sagt Hermes. Im Juni empfahl auch die WHO den Einsatz von dem Kortisonpräperat Dexamethason und sprach von einem „lebensrettenden Durchbruch“. Dexamethason, betont Hermes, wirke jedoch nicht gegen das Coronavirus, „sondern gegen die Immunreaktion des Körpers gegen das Virus.“ Das Immunsystem, das den Menschen eigentlich vor dem Virus schützen sollte, richtet sich bei vielen schwer erkrankten Corona-Patienten gegen den eigenen Körper: Es verfehlt die Viren und greift stattdessen Gewebe des Körpers an. Bei Covid-19 entstehen lebensgefährliche Lungenschäden nicht nur durch Viren, sondern auch durch das eigene Immunsystem.

Doch auch mit Dexamethason bleibt die Behandlung schwer. „Spezielle Medikamente, die das Virus eliminieren würden, haben wir immer noch nicht zur Verfügung“, sagt der 52-Jährige. Krankheitsverläufe seien nur schwer vorherzusehen. „Was bei Covid besonders ist: Die Patienten sind klinisch lange recht gut“, sagt Hermes. „Der Patient behauptet dann, er hat keine Atemnot. Tatsächlich geht es ihm sehr schlecht.“ Vor allem bei jungen Patienten verschlechtere sich der Zustand sehr plötzlich. Erst gestern, sagt Hermes, hatte er einen Patienten, der innerhalb von einer Stunde an der Beatmungsmaschine hing. Wenige Stunden später schlossen ihn die Ärzte an eine Maschine an, die sein Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anreichert. Der Patient ist keine 20 Jahre alt.

Hälfte der beatmeten Patienten stirbt

Eine Beatmung von Covid-Patienten ist bei schwer Erkrankten oft alternativlos, doch trotzdem sehr riskant. „Wenn wir früher eine Lungenentzündung behandelt haben, dann haben wir vielleicht fünf Tage beatmet. Bei diesem Krankheitsbild beatmen wir die Patienten über Wochen“, erklärt Hermes. Diese Beatmung ohne Komplikationen wieder zu beenden sei „eine Krux“. Rund die Hälfte der beatmeten Patienten stirbt.

Im Kampf gegen Corona werden auch Antikörpertherapien eingesetzt: Hierfür wird Infizierten das Blutplasma von genesenen Patienten verabreicht. „Wir haben bei zehn Patienten Plasma eingesetzt“, sagt Hermes. Das zeigte jedoch keinen Nutzen bei den Patienten, daher habe die Klinik die Antikörpertherapien verworfen. Sogenannte monoklonale Antikörper, die auch US-Präsident Donald Trump bei seiner Corona-Erkrankung bekam, sind bisher nur Unikliniken vorbehalten.

Blutverdünner und Antibiotika statt Remdesivir

Gerade in den ersten Monaten der Pandemie tauchte der Name eines Medikamentes immer wieder als Hoffnungsschimmer auf: Remdesivir. Das Ebola-Medikament soll die Verbreitung des Virus hemmen. Die Wirkung ist jedoch nicht so stark wie erhofft: Im Alltag der meisten Kliniken spielt Remdesivir kaum eine Rolle. „Es ist tatsächlich kein Hoffnungsträger“, sagt Hermes. „Wir haben es nie eingesetzt.“

Neben Dexamethason setzt Hermes nur zwei weitere Medikamente ein: Blutverdünner und Antibiotikum. Sie behandeln jedoch nicht das Virus an sich, sondern nur seine Auswirkungen: Blutverdünner sollen das Thromboserisiko bei den Patienten senken, Antibiotika verhindern, dass zu der viralen Infektion auch eine bakterielle kommt. Erfahrung, sagt Hermes, helfe jedoch mehr als Medikamente. Seit der ersten Welle haben er und seine Kollegen die Krankheit kennengelernt und Konzepte entwickelt. Sie haben nun klare Behandlungsabläufe, die vorgeben, wann ein Patient Sauerstoff bekommt und wann er intubiert wird. Zur Beatmung greifen die Mediziner heute schneller als in der ersten Welle. „Wir haben ganz viel gelernt“, sagt Hermes. „Aber ein Medikament, das so gut ist wie die Impfung, ist momentan nicht greifbar.“

Derzeit behandeln Hermes und seine Kollegen neun Patienten auf der Infektionsstation, vier davon auf intensiv. Einen schweren Ausbruch im Krankenhaus erlebte das St. Franziskus-Hospital nicht, dennoch infizierten sich innerhalb eines Jahres 100 der 900 Mitarbeiter mit dem Virus. Trotz der Ansteckungsgefahr, sagt Hermes, riefen Mitarbeiterinnen im Mutterschutz an, um zu sagen: Wir kommen früher zurück. Niemand sei abgesprungen. Heute, sagt Hermes, ist er immer noch beeindruckt von der Erkrankung. „Aber wir haben uns daran gewöhnt. Es ist Alltag geworden."

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