Thomas Römer spricht im Interview über eine Studie mit fatalen Folgen für Frauen in den Wechseljahren, Mythen und häufig verkannte Beschwerden.
Experte zu Wechseljahren„Einer ganzen Generation ist eine Hormon-Therapie vorenthalten worden“

Am Arbeitsplatz sind die Wechseljahre vielerorts noch immer ein Tabu.
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Ich würde gerne drastisch beginnen: Die Schauspielerin Annette Frier sagt, Wechseljahre seien die „größte Scheiße seit Schwarzbrot“ – und leider nichts, worüber man öffentlich redet, lacht oder weint. Erleben Sie als Arzt auch, dass die Wechseljahre noch eher ein Tabuthema sind?
Es gibt noch viel Luft nach oben. Dennoch erlebe ich seit etwa fünf Jahren deutliche Fortschritte. Wir waren schon mal viel weiter – und zwar in den 90er Jahren, bevor die Vergabe von Hormonen an Frauen durch eine große amerikanische Studie 2002 völlig zu Unrecht stark in Verruf geriet.
Was können Sie nicht mehr hören, wenn es um die Wechseljahre geht?
Dass Hormone gefährlich sind. Stimmt nicht! Wir wissen heute, dass hier eine sehr viel differenzierte Betrachtung nötig ist. Zweitens setzen die Wechseljahre nicht erst so spät ein, wie viele immer noch denken. Die Symptome der frühen Phase, der Perimenopause, beginnen viel früher und werden oft verkannt. Frauen erhalten dann manchmal sogar Psychopharmaka, weil nicht die richtige Diagnose gestellt wird.
Viele Ärzte erkennen also nicht, dass es sich bei dem Leiden der Patientin eigentlich um ein Symptom der frühen Menopause handelt?
Leider ja. Hausärzte sind mit der Thematik noch weniger vertraut als wir Gynäkologen. Sie müssten viel besser geschult werden.
Fällt Ihnen noch ein Punkt ein?
Die Wechseljahre sind nicht nur eine kurze Phase. Wir wissen inzwischen aus großen Studien, dass Symptome wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche im Schnitt bis zu sieben Jahren anhalten können, bei manchen Frauen sogar bis zu elf Jahren. Die Lebensqualität kann auch lange eingeschränkt sein.

Prof. Dr. Thomas Römer ist Experte für Endometriose, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal.
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Hitzewallungen, schlechte Laune, schlaflose Nächte. Wechseljahre haben einen Ruf wie Donnerhall. Warum müssen Frauen da überhaupt durch?
Weil die reproduktive Funktion nachlässt, wodurch es zu einem Abfall der Östrogene kommt. Es gibt die Regel: Ein Drittel der Frauen hat sehr starke Beschwerden, ein Drittel leichte Beschwerden, die aber durchaus behandlungsbedürftig sind, und ein Drittel der Frauen gar keine Beschwerden. Warum das so ist, wissen wir nicht. Es scheint eine genetische Prädisposition zu geben: Wenn die Mutter starke Beschwerden hatte, gilt das nicht selten auch für die Tochter.
Männer können noch bis ins hohe Alter Kinder bekommen. Ist das nicht unfair?
Die Östrogenspiegel sind bei der Frau eng an die Reproduktion gekoppelt. Aber dass Männer bis ins hohe Alter Kinder zeugen können, ist auch eher ein Mythos. Die Fertilität nimmt auch hier deutlich ab.
Wechseljahre werden manchmal die zweite Pubertät genannt. Ist da was dran?
Ja. Akne aus der Pubertät kehrt oft zurück in den Wechseljahren. Eine Parallele sind auch die Hormonschwankungen. Leider können dadurch auch bestimmte Erkrankungen wieder auftreten. Wer viele Jahre lang keine Probleme mit Migräne hatte, kann sie durch die Hormonschwankungen in der Perimenopause wieder verstärkt bekommen.
Die Hollywood-Schauspielerin Naomi Watts hat gerade ein Buch darüber veröffentlicht, dass sie schon mit 36 Jahren in die Wechseljahre gekommen ist. Eine Ausnahme?
Ja, das betrifft nur zwei bis drei Prozent der Frauen. Allerdings brauchen die Betroffenen unbedingt eine Hormonsubstitution. Man nennt das prämature Ovarialinsuffizienz, wenn die Eierstock-Funktion frühzeitig erschöpft ist. Diese Frauen leider später häufiger an Herz- oder Blutgefäß-Erkrankungen und Osteoporose, wenn sie nicht rechtzeitig mit Hormonen behandelt werden. Deswegen ist es wichtig, sie frühzeitig zu diagnostizieren.
Es beginnt mit Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, die aber unregelmäßig auftreten können.
Woran erkenne ich, dass ich in die Perimenopause komme?
Sie beginnt zwei bis vier Jahre vor der Menopause. Der Durchschnitt für die Wechseljahre liegt bei 51 bis 52 Jahren in Mitteleuropa. Die Schwankungen sind erheblich, viele Frauen kommen früher, manche deutlich später in den Wechseljahren. Es beginnt mit Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, die aber unregelmäßig auftreten können. Dazu können Stimmungsschwankungen kommen, aber auch „Brainfog“ genannt.
Konzentrationsstörungen?
Genau. Frauen fühlen sich wie in einem Nebel, vergessen immer wieder Dinge. Das ist kein Alzheimer, sondern hängt ebenfalls mit den hormonellen Veränderungen zusammen. Häufiger wird auch über Gelenkbeschwerden berichtet, die mit dem Östrogenmangel zusammenhängen können.
Woher merkt man dann den Übergang von der Periomenopause in die Menopause?
In der Perimenopause ändert sich der Zyklus, wird unregelmäßiger. Wenn die Blutung dann tatsächlich aufhört, ist das die Definition von Menopause. Das kann man aber eigentlich immer nur aus der Retrospektive feststellen, wenn man ein Jahr nicht mehr geblutet hat.
Was sind extreme Wechseljahrs-Beschwerden?
Ich kenne Patientinnen, die sind Lehrerinnen und haben nur zwei Hitzewallungen am Tag, die aber so heftig sind, dass sie die keinesfalls im Klassenzimmer erleben wollen. Es kommt auch auf die Gelegenheit an, wie sehr man sich beeinträchtigt fühlt. Andere bringen eine Vorgeschichte mit anderen Erkrankungen mit. Wenn Patientinnen eine Brustkrebs-Erkrankung hinter sich haben, dürfen wir ihnen trotz hohen Leidendrucks während der Wechseljahre keine Hormone geben. Zum Glück gibt es jetzt neue zugelassene Medikamente gegen Hitzewallungen, die nicht hormonell sind.
Manche Frauen fühlen sich in den Wechseljahren gar nicht wie sie selbst. Woher kommen die psychischen Belastungen?
Die Hormonschwankungen wirken sich eben auch extrem auf die Psyche aus. Eine Frau mit Neigung zur Depression, die in die Perimenopause kommt, kann plötzlich viel stärker leiden. Hormone können dann helfen, den Hormonspiegel auf einem Level zu halten, um die Schwankungen zu vermeiden.
Merkt eine Frau, die die Pille nimmt, vielleicht gar nicht, dass sie in die Perimenopause kommt?
Gut möglich. Die Pille ist nicht die beste Therapie bei Wechseljahren, aber sie kann hilfreich sein. Allerdings bringt die Pille immer auch ein erhöhtes Thrombose-Risiko mit sich. Da würde ich doch eher auf Medikamente zurückgreifen, die speziell für die Wechseljahre zugelassen sind. Oder modernere Pillen mit bioidentischen Östrogenen verwenden, die bei Wechseljahresbeschwerden helfen und gleichzeitig auch noch die Verhütung regeln.
Ist man mit 40 Jahren bei zunehmenden Stimmungsschwankungen schon ein Fall für Hormone?
Wenn die Frau mit 40 noch einen normalen Zyklus hat, gibt es keinen Parameter, wo man sagen kann: Das sind Wechseljahresbeschwerden. Das kann z.B. auch ein prämenstruelles Syndrom sein. Man muss aufpassen, nicht alles auf einen Östrogenmangel zurückzuführen.
Gibt es eine Standard-Therapie für Betroffene?
Nein, das macht es oft auch schwierig. Die erste Frage bei starken Beschwerden muss sein: Kann man ein Hormon verschreiben? Wenn die Patientin Angst davor hat oder Kontraindikationen wie eine Brustkrebs-Erkrankung hat, geht es nicht. Dann probiert man nichthormonelle oder pflanzliche Therapien, die Beschwerden lindern.
Das Thema Perimenopause muss noch mehr in den Köpfen der Ärzte im Zaum gehalten werden.
Ist es ratsam, sich früh Hilfe zu suchen, statt zu sagen: Da muss ich durch?
Definitiv. Frauen haben ein niedrigeres Risko für Schlaganfälle und Herzinfarkten, wenn sie sich früh ärztlich beraten und behandeln lassen. Wenn man zu spät mit einer Behandlung beginnt und nicht mehr gesund ist, dreht sich das Ganze um. Dann können sich zum Beispiel Plaques in den Gefäßen lösen durch die Therapie. Darum sollte man nicht erst mit 60 Jahren beginnen.
Beraten Frauenärztinnen ausreichend – oder bekommen sie dafür kein Geld von der Kasse?
Die Vergütung ist natürlich unzureichend, wie – so oft, wenn es um sprechende Medizin in Deutschland geht. Das Thema Perimenopause muss noch mehr in den Köpfen der Ärzte im Zaum gehalten werden. In Sachen Diagnostik und Therapie ist die Phase nämlich eine viel schwierige Fragestellung als die Menopause. Generell beobachten wir die Nachwirkungen dieser einen amerikanischen Studie, die dazu geführt hat, dass eine ganze Generation von Frauen Hormon-Substitutionen vorenthalten wurden. Die Autoren haben sich später für die Fehlinterpretation ihrer Daten entschuldigt in einer hochrangigen wissenschaftlichen Zeitung – ein ziemlich einmaliger Vorgang in der Wissenschaftswelt.
Klingt dramatisch.
Ja. Es hat auch dazu geführt, dass eine ganze Generation von Frauenärzten in Deutschland in der Thematik nur unzureichend ausgebildet worden sind. Diese Dinge hängen uns immer noch ein bisschen nach. Aber ich bin optimistisch.
Was lernen angehende Ärztinnen und Ärzte über die Wechseljahre?
Es gibt heute sehr viel mehr Weiterbildungen zu dem Thema. Aber in der Facharztausbildung ist es immer noch unterrepräsentiert, weil diese häufig in der Klinik stattfindet, nicht in der Frauenärztlichen Praxis.
Wie sieht es in der Forschung aus?
In der Forschung sind wir in Deutschland ebenfalls nicht gut aufgestellt. Eine Studie zum Thema Menopause und Arbeitsplatz hat jetzt allerdings auch politische Aufmerksamkeit erregt. In der kam heraus, dass jede fünfte Frau schon mal wegen Wechseljahresbeschwerden krankgeschrieben wurde oder daran denkt, ihre Arbeitszeit zu verkürzen oder sogar früher in Rente zu gehen. Das ist ein riesiges ökonomisches Problem. Inzwischen haben wir aber so viele Anfragen zum Thema Menopause am Arbeitsplatz, dass wir in der Deutschen Menopause-Gesellschaft dazu eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass vor zehn Jahren Unternehmen bei uns angefragt haben, ob man irgendwas weiterbildungsmäßig für die Frauen in der Menopause tun kann. Das werte ich positiv.
Der Bestseller „Woman on fire“ von Sheila de Liz tut viel dafür, die Wechseljahre zu enttabuisieren. Die darin enthaltene Forderung, Frauen sollten ihren Hormonspiegel messen lassen, um in den Wechseljahren dann zu wissen, wie ihr richtiger Hormonspiegel sein müsste, sehen Sie aber kritisch. Warum?
Das mit den Blutentnahmen ist wenig sinnvoll, weil es je nach Tageszeit oder Lebensphase erhebliche Schwankungen der Hormone gibt. Der Hormonwert, den ich heute abnehme, ist morgen schon ganz anders. Daraus kann ich nichts ableiten, das macht aus wissenschaftlicher Sicht keinen Sinn.
Kann man Wechseljahren überhaupt irgendetwas Gutes abgewinnen?
Frauen müssen nicht mehr verhüten, sie haben auch keine Blutungen mehr. Für die Endometriose-Patientinnen haben die Wechseljahre den Vorteil, dass die Endometriose nicht mehr wächst – ebenso bei Patientinnen mit Myomen. Mit der Menopause ist das Problem also gelöst – ebenso wie etliche andere Erkrankungen, die an den Zyklus gekoppelt sind oder mit Hormonschwankungen einhergehen. Das sind doch gute Nachrichten.
Welche drei Dinge wollen Sie Frauen unbedingt mitgeben?
Wenn Sie eine Symptomatik haben, besprechen Sie es mit Ihrem Arzt. Man muss da nicht durch. Haben Sie keine Angst, wenn über eine Hormonsubstitution gesprochen wird. Da hat sich ganz viel verändert in den letzten Jahren. Und man kann auch eine ganze Menge selbst tun – von Ernährung über Sport bis hin zu Yoga. Viele der Probleme sind lösbar – auch gemeinsam mit dem Arzt. Keine Frau sollte deshalb verzweifeln müssen.
Zur Person
Prof. Dr. Thomas Römer ist Chefarzt der Frauenklinik am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal. Außerdem ist er Vizepräsident der Deutschen Menopausegesellschaft.


