Die Sauna knapp unterm Himmel

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Studentin Uti Pramiandari wohnt gern im Herkules Hochhaus.

Studentin Uti Pramiandari wohnt gern im Herkules Hochhaus.

Uti Pramiandari steht am Fenster ihres Zimmers und genießt die Aussicht über ganz Köln, das aus der 28. Etage des Herkules-Hochhauses wie eine Modellbahnlandschaft aussieht. Unten auf der Inneren Kanalstraße reihen sich die Autos zu blinkenden Ketten, der Dom thront inmitten des Häusermeers. „Toll, oder?“, fragt sie und lächelt.

Seit November 2005 lebt die Studentin mit ihren Mitbewohnerinnen Uli und Vina knapp 100 Meter über dem Erdboden. Zu dritt teilen sie sich 67 Quadratmeter und den Luxus, um die Ecke gucken zu können. Das geht nur in den wenigen Drei-Raum-Wohnungen mit Fenstern in zwei Himmelsrichtungen. Der Großteil der 427 Parteien in der Graeffstraße muss sich mit 21 bis 34 Quadratmetern und West- oder Ostblick begnügen. Alle drei kommen sie aus Indonesien, wo ein Apartment wie ihres als Luxus gilt. „In Deutschland bauen sich die Menschen ein Haus, wenn sie gut verdienen. In Indonesien ist es genau umgekehrt. Da wohnen die Familien normalerweise im eigenen Haus und leisten sich nur ein Apartment, wenn sie reich sind“, erzählt die 27-Jährige.

Ihre Eltern seien deshalb sehr beeindruckt gewesen, als sie sie für zwei Wochen besucht hätten. An der Tür zu ihrem 16-Quadratmeter-Reich hängt ein Poster ihrer Lieblingsgruppe „Muse“, auf ihrem Bett türmen sich die Kuscheltiere, im Regal neben dem Schreibtisch die Wörterbücher. Deutsch, Spanisch, Englisch, Indonesisch - auf dem obersten Regalbrett wie im gesamten Haus treffen sich die Kulturen. Probleme gab es deswegen aber noch nie, wie Uti betont: „Ich fühle mich wohl hier. Ein Freund aus Malaysia wohnt auch hier - im 14. Stock.“ Ihr Lieblingsplatz in dem 102 Meter hohen Gebäude mit der markant-bunten Fassade ist dem Himmel sehr nah: „Mit meinen beiden Mädels in der Sauna im 31. Stock sitzen und quatschen ist herrlich.“ Auch der Swimmingpool und der Partyraum seien klasse.

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Zu verdanken hat das „Papageienhaus“ diese ungewöhnlichen Extras den ehemaligen 56 „Komfort-Wohnungen“ in der ersten bis vierten Etage. Als „zeitgemäß anspruchsvoll möbliert unter anderem mit einer Liege mit Bettkasten Cordstoff braun“ wurden sie in den Werbeprospekten der frühen 1970er Jahre angepriesen. Die Cordsofas von damals hat längst der Sperrmüll geholt, der „Wellnessbereich“ ist geblieben.

Von null auf einhundertzwei Meter in einer Minute rumpeln die vier Aufzüge vom Erdgeschoss in den 31. Stock. Wer unterwegs aussteigen möchte und ab dem 5. Stock aufwärts wohnt, muss mitdenken. Die Aufzüge für die „geraden“ Etagen sind links vom Pförtner, die „ungeraden“ rechts. Wer nicht aufpasst, muss Treppen steigen in Kölns erstem „Super-Wohnhaus“ des Architekten Peter Neufert. Der Vater des „X1“-Hauses in Hahnwald und des Sachsenturms konzipierte gemäß dem Bebauungsplan der Stadt Köln am Verkehrsknotenpunkt Innere Kanalstraße / Stadtautobahn den Turm mit seinen 31 Geschossen, der möglichst viel Wohnraum für möglichst viele Leute bieten sollte. 29 Meter kleiner als das Uni-Center, prägte die rot-blau-lila-orange Hülle des Hochhauses an der Herkulesstraße seit 1972 das Stadtbild.

20 Jahre später erinnerte nicht mehr viel an den hochmodernen Anspruch der Anfangstage. Das Haus war heruntergekommen, der damalige Verwalter insolvent und die Mieterstruktur im „senkrechten Veedel“ mit seinen knapp 1000 Einwohnern galt als Anlaufpunkt für Drogendealer und das horizontale Gewerbe. Ein mieser Ruf, „der bis heute noch in den Gardinen hängt“, wie Alexander Ackermann bedauert. Er besitzt seit zweieinhalb Jahren mehrere Eigentumswohnungen im Gebäude und setzt sich im Eigentümerbeirat für die Aufpolierung des Images und die Erneuerung des Gebäudes ein. „Allein die Fassadenrenovierung hat 2,5 Millionen Euro gekostet. Es geht halt alles nur in kleinen Schritten.“

Auch Pförtner Gerd Riege kennt die „wilden Zeiten“ nur aus Erzählungen. Seit vier Jahren sitzt er dreimal die Woche in der Schaltzentrale, auf einem Bildschirm läuft rund um die Uhr „Herkules TV“ - die Kameraüberwachung des Swimmingpools. An dem Frührentner kommt kein Besucher vorbei. Viele Bewohner kennt er mittlerweile vom Sehen, sagt er. Der ältere Mann, der in diesem Moment durch die Drehtür kommt, ist fremd. Trotzdem weiß Riege mit einem Blick, wohin er möchte. Die Wohnungsnummer, die er nennt, trifft ins Schwarze. Der Besucher nickt etwas verunsichert. Schon summt der Türöffner und macht den Weg frei zu „Karina“ (Name geändert). Die hat ein Gewerbe und soll früher mal ein Mann gewesen sein. Gerd Riege schmunzelt: „Aber sie ist eine Ausnahme. Ansonsten ist das hier ein bunter Haufen aus Studenten und Alteingesessenen.“

Neben der Pforte stecken die türkische „Hürriyet“, die „Süddeutsche“ und die polnische „Angora“ einträchtig im Zeitungsständer des Büdchens. Bis spät Abends gibt es hier noch Süßes, Kölsch oder auch eine Packung Nudeln. Ein Riesen- Vorteil, wie Uti findet. „Manchmal fangen wir in der Nacht noch an zu kochen und gehen dort einkaufen.“

Genau wie Sebastian Steven, dem bereits seit 2002 eine Wohnung in der 26. gehört. „Eigentlich wollte ich nur während meiner Ausbildung günstig wohnen, doch mir gefällt's hier. Da bin ich geblieben.“ Die vielen Vorurteile der Kölner gegen „sein Veedel“ ärgerten ihn von Anfang an. So sehr, dass er vor einem Jahr dem Haus eine eigene Website widmete mit der Idee, dadurch seine Nachbarn kennenzulernen. 824 Besucher und zehn Gästebucheinträge später feierte die gesamte 26. Etage den Jahreswechsel mit einer großen Flurparty.

herkuleshochhaus.de.vu

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