Expedition ColoniaAutoverwerter mit Sinn für Ästhetik

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Der Herr des Hochregallagers: Autoverwerter Josef Gossen vom „größten und schönsten Schrottplatz Kölns“. (Bild: Max Grönert)

Der Herr des Hochregallagers: Autoverwerter Josef Gossen vom „größten und schönsten Schrottplatz Kölns“. (Bild: Max Grönert)

Köln – Wenn das die Kanzlerin hören könnte. Endlich mal einer, der sie in den höchsten Tönen lobt. „Auf Frau Merkel lass' ich nichts kommen. Die hat schön an uns gedacht.“ Ob Josef Gossen seinen Schrottplatz ganz weit draußen an der Venloer Straße 1396 deshalb so picobello aufgeräumt hat, falls Frau Merkel mit ihrem Dienstwagen vorbeikommt? Wohl kaum. Die Abwrack-Autos stehen derart fein sortiert in Hochregalen, wenn nicht hier und da nicht ein Kotflügel oder eine Motorhaube fehlte, könnte man sofort zur Probefahrt starten.

4000 Autos hat Gossen auf dem wie er sagt, „größten und schönsten Schrottplatz Kölns“ im vergangenen Jahr dank der Polit-Prämie verwertet, normalerweise sind es höchstens 1300. „Manche waren fast zu schade zum Zerlegen.“ E-Klasse hin oder her. Mit Gossen sind keine krumme Dinger zu machen. „Wenn der Verwertungsnachweis einmal ausgestellt ist, muss auch verwertet werden.“ Zumal damit mehr Geld zu machen sei als die Autos auf dunklen Kanälen in Länder außerhalb der Europäischen Union zu exportieren. „Mit den Einzelteilen verdiene ich mehr, der Rest kommt zum Schrottpreis in die Presse.“ Der Altauto-Nachschub habe nach dem Auslaufen der Prämie schwer nachgelassen.

Die Arbeit geht Gossen dennoch nicht aus. Die Halde muss weg. „Wir haben noch viel zu schlachten.“ Der 47-Jährige ist Autoverwerter aus Passion und mit Sinn für Ästhetik. Hochtrabende Begriffe sind seine Sache nicht. „Wir könnten uns auch Recyclinghof nennen. Aber ein Schrottplatz bleibt ein Schrottplatz. Auch wenn man nicht mehr knietief im Matsch watet.“

Für groben Unfug zu haben

Die Venloer Straße im Gewerbegebiet des tiefsten Bocklemünd - schön ist anders. Aber irgendwie ist das eine Straße der Leidenschaften. Nur ein paar Meter weiter befestigt ein ehemaliges Tanzmariechen bei den Großen Kölner Landsknechten ein Werbeplakat mit einem Clownsgesicht und der Aufschrift „wurfmaterial365.de“, das der Sturm verweht hat. Für Andrea Beckers (32) hat der Karneval längst begonnen. 4500 Vereine gibt es deutschlandweit - und alle wollen Wurfmaterial. Bedruckt mit Werbung, was nur im Kölner Rosenmontagszug untersagt ist, dem Konterfei diverser Dreigestirne und Prinzenpaare. „Die kommen jetzt alle und bestellen.“ Und weil sich nach „Kamellchen“, mit vollen Händen aus dem Zug geschmissen, heute „leider kein Mensch mehr bückt“, haben sie bei Krotts Wurfmaterial an der Venloer Straße 1303 „ganz neu“ die Großkamelle erfunden, gefüllt „mit allem möglichen“. Oder die Bonbon-Frisbeescheibe. Andrea Beckers hat ihren Prinzen übrigens schon gefunden. Er heißt Ralf Krott (40), ist Inhaber der Firma und hat eine Frau, die für „groben Unfug“ immer zu haben ist.

Humorvoll wird die Expedition auch an einem Ort empfangen, von dem das nicht unbedingt zu erwarten ist. Daniel Lemberg (44), Verwalter des Jüdischen Friedhofs in Höhe des Militärrings, führt uns zur Grabstätte des „berühmtesten Bewohners der Venloer Straße 1152.“ Kaufhof-Gründer Leonhard Tietz, verstorben 1914, liegt auf dem älteren Teil begraben. Lemberg war früher Personaldisponent bei der Bundesbahn, seit drei Jahren kümmert er sich um die Friedhöfe der Jüdischen Gemeinde, die in den vergangenen 20 Jahren durch die Zuwanderer aus Osteuropa von 1200 auf rund 5500 Mitglieder angewachsen ist. Der Friedhof mit seinen rund 6000 Grabstätten wird gerade um 376 Grabstellen erweitert. „Wir haben immer Bedarf. Jüdische Gräber sind für die Ewigkeit.“ Die Gemeinde müsse zusätzlich viel Geld für den Denkmalschutz in die Hand nehmen. Derzeit müsse das Lapidarium saniert werden, ein Steinhaus aus dem Jahre 1936, in dessen Mauern die alten Grabmale des ehemaligen Jüdischen Friedhofs am Bonntor eingelassen sind. „Die ältesten stammen aus der Zeit um 1100 bis 1200.“ Er sei glücklich mit seiner Arbeit auf diesem Friedhof, sagt Lemberg. „Für mich gibt es keinen schöneren Arbeitsplatz. Es ist grün, es ist ruhig, es ist mitten in der Natur. Wenn ich mittags mal abgespannt bin, gehe ich fünf Minuten spazieren, dann fühle ich mich wieder fit.“

In Höhe des Akazienwegs grüßt Albert Inden (67), der es sich mit einem Kissen auf der Fensterbank gemütlich gemacht hat und die Straße schaut. Albert ist „ne echte kölsche Jung“, hat 47 Jahre als Dreher bei Felix Böttcher in Braunsfeld gearbeitet und ist überhaupt der Inbegriff der Bodenständigkeit. Mehr als 30 Jahre lebt er an der Venloer Straße, ist mit seiner Frau Annemarie immer nach „Palma auf Mallorca“ in Urlaub geflogen und überhaupt ein genügsamer Mensch. Aus dem Fenster gucken, das macht er gerne. Sonst braucht er keine Hobbys. Wobei ihm die Schiffstour für „die pensionierten Rentner“ von Böttcher auf dem Rhein vor ein paar Wochen super gefallen hat.

Langsam einrappeln

Stefan Limbach (42) hat richtig Stress. Die Venloer Straße zwischen dem Ehrenfeldgürtel und der Inneren Kanalstraße an diesem Montag mit einem Kleinlaster voller Blechschilder binnen weniger Stunden in eine Einbahnstraße zu verwandeln, ist eine echte Herausforderung. „Das muss sich langsam einrappeln“, sagt der Baustellenmonteur, wenn wieder ein Autofahrer seine Schilder ignoriert. „Da muss du ganz cool bleiben.“

Der Bauhelfer einer Osnabrücker Aufzugsfirma, die im Moschee-Neubau an der Ecke zur Inneren Kanalstraße zwei Fahrstühle montiert, verweist auf das Bauschild. Informationen erteilt nur der Bauherr. Deshalb will er seinen Namen lieber nicht nennen und „bitte auch kein Foto von mir, aber warum das hier mit der Moschee ein Problem sein soll, weiß ich auch nicht.“ Schließlich „ist unser Meister Türke“ und „wir haben in Porz doch auch eine Moschee“. Es sei prima, dass sich „die Moslems mit ihren Gebetshäusern öffnen“ und es bald Imame gebe, die in Deutschland ausgebildet wurden. „Das schafft ein gewisses Vertrauen.“

Die Straße der Leidenschaften endet bei Adele Dilthey (26) und ihrem Café „Kaffee und Kuchen“ kurz vor dem Friesenplatz. Seit sie 15 ist, habe sie von einem eigenen Café geträumt. Und wie es der Zufall will: Während ihrer Ausbildung zur Logopädin hat sie in dem Laden gejobbt, der ihr jetzt gehört und den sie „mit ganz viel Mut und Nichtwissen“ übernommen hat. Zwei harte Jahre, doch jetzt läuft's, weil „wir alles selber herstellen, sogar die Limo“. Sie liebt ihr Stückchen Venloer Straße, mit diesen vielen kleinen Geschäften wie dem alteingesessenen Blumenladen gegenüber. Und jetzt erwartet sie auch noch ein Kind. „Glück“, sagt sie, „ist genau mein Leben momentan.“

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