Firma Waldmin & SaamAuch eine Schere hat ein Gewerbe

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An einem Schleifautomaten erklärt Inhaber Michael Römer (r.) Meinhard Spaunhorst die Bearbeitung der Scherenblätter. (Bild: run)

An einem Schleifautomaten erklärt Inhaber Michael Römer (r.) Meinhard Spaunhorst die Bearbeitung der Scherenblätter. (Bild: run)

BERGISCHES LAND – Wer das Firmengebäude von „Waldmin & Saam“ betritt, fühlt sich in vergangene Zeiten zurückversetzt. Das liegt einerseits an dem historischen Gebäudekomplex, in dem der Betrieb 1907 von August Waldmin und Fritz Saam gegründet wurde.

Aber auch an dem traditionellen Handwerk, das hier gepflegt wird: Die heute noch rund 20 Mitarbeiter von Waldmin & Saam, kurz Wasa, fertigen Scheren, von der Teppichflor- über die Hutmacher- bis zur Tuchschere. „Pro Jahr stellen wir rund 300 000 Stück her“, erklärt Inhaber und Geschäftsführer Michael Römer, „jede einzelne Schere wird von Hand bearbeitet, montiert und kontrolliert.“ Betriebsleiter Axel Röltgen ergänzt: „Viele Leute staunen, wenn sie erfahren, dass für die Herstellung einer Schere bis zu 140 Arbeitsschritte notwendig sind.“

Auch Meinhard Spaunhorst staunt. Der 62 Jahre alte Sport- und Französisch-Lehrerinteressiert sich für alle „scharfen handgemachten Werkzeuge und damit verbundenen Handwerke“.

Beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat er sich ein „Praktikum für einen Tag“ in einer „Taschenmesser- beziehungsweise Scherenfabrik mit Handfertigung“ gewünscht. Und nun steht er bei Wasa in der Werkstatt vor Thomas Stamm, der gerade mit kritischem Blick die Wate (fachsprachlich für Schneidekante) einer filigranen Garnschere schärft und kontrolliert. „Dieser Hammerstiel atmet ja Geschichte“, begeistert sich Spaunhorst mit Blick auf das Werkzeug in Stamms Hand, das die Spuren vonunzähligen Schlägen trägt. „Das ist mein Arbeitsgerät seit 30 Jahren“, bestätigt der Kontrolleur.

„Bei den Scheren kommt es auf Zehntel-Millimeter an“, so Röltgen. Sie dürfen nicht haken, müssen gut schneiden und eine ganz glatte Oberfläche haben, auch müssen die Griffe ganz parallel stehen. „Da braucht man ein gutes Auge und viel Gefühl“, so Röltgen. Die Kontrolle ist aber nur der Abschluss eines aufwändigen und komplexen Entstehungsprozesses.

Den Weg vom Rohling zur fertigen Schere soll Meinhard Spaunhorst an diesem Tag kennen lernen. Deshalb führen Römer und Röltgen ihren Tagespraktikanten zunächst in die Härterei. Während bei Waldmin & Saam bis zum Zweiten Weltkrieg auch selbst geschmiedet wurde, bekommt der Betrieb heute die Stahl-Rohlinge von Gesenk-Schmieden geliefert. In der Härterei von Wasa werden zunächst Gewinde und Senkloch für die Schraube, die die beiden Teile (Oberbeck und Unterbeck) der Schere später verbinden soll, in die Rohlinge geschnitten. Danach bekommen die Becks buchstäblich den richtigen Dreh. „Wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man, dass die beiden Schneidensich beim Schließen nur an einem Punkt berühren“, erklärt Röltgen.

Mit Hilfe einer Presse werden deshalb sämtliche Becks minimal drehgedrückt. Erst danach kommt das Härten: Die Scherenhälften werden in einem Bleibad bei einer Temperatur von 750 bis 1100 Grad mehrere Minuten lang erhitzt, danach in Wasser oder Öl abgeschreckt. Inhaber Römer erklärt: „Anschließend ist der Stahl so spröde, dass die Scheren zerspringen würden, wenn sie auf den Boden fielen.“ Deshalb kommen die Scheren nach dem Abkühlen noch einmal kurz in einen Ofen, bei rund 160 Grad. „Dieser Vorgang nennt sich Anlassen“, so Röltgen.

In der Maschinenschleiferei, wo als Nächstes die Scherenblätter und hohlen Seiten der Rohlinge geglättet werden, darf Meinhard Spaunhorst selbst mit anpacken. Die Arbeit am Schleifautomaten geht ihm leicht von der Hand. Spaunhorst hat schon Übung. „Messer zu schmieden und zu schärfen, ist mein Hobby“, verrät der Vater von vier erwachsenen Kindern, der mit seiner Frau auch eine kleine Hobby-Landwirtschaft betreibt und Bienen und Schafe züchtet. Allerdings habe er in seiner heimischen Werkstattkeinen Schleifautomaten. „Ich arbeite am liebsten mit der Hand.“

Für Spaunhorst geht es nun weiter zum Pließten: „Sämtliche Teile des Scherenbecks müssen geglättet werden“, erklärt Axel Röltgen, „auch das Gewerbe.“ Was denn das Gewerbe einer Schere sei, fragt Spaunhorst. „Das ist das Verbindungsteil der beiden Scherenhälften, wo sich die Schraube befindet“, erklärt der BÖetriebsleiter undlegt Spaunhorst eine Scherenhälfte in die Hand: „Versuchen Sie es ruhig selbst einmal!“ Das lässt sich Meinhard Spaunhorst nicht zweimal sagen. Beck für Beck hält er an das Schleifband. Funken sprühen. Das Ergebnis ist buchstäblich glänzend. „Das machen Sie schon sehr gut!“, lobt Röltgen seinen von Materie und Material faszinierten Praktikanten. Einer der nächsten Bearbeitungsschritte ist das Vernickeln oder Verchromen der Scheren. „Das haben wir vor ein paar Jahren aber ausgelagert in eine große Galvanik“, sagt Römer. Die Umweltschutzauflagen seien heute so hoch, dass ein kleiner Betrieb sich die notwendigen Reinigungsanlagen nicht mehr leisten könne.Spaunhorst darf stattdessen einen Blick in die Gleitschleifanlage werfen, in der die Scheren vor dem Vernickeln in großen vibrierenden Becken mit kleinen Keramikteilen, Wasser und Schleifpaste poliert werden. Dann kommt eine kniffelige Aufgabe auf ihn zu: das Montieren der beiden Scherenhälften. Dafür werden je zwei passende Becks in eine Montiermaschine gelegt, um die Schrauben ins Gewinde zu drehen – was in der Sprache der Scherenmacher „Nageln“ heißt. „Das ist ein bisschen Übungssache“, kommentiert Röltgen, währen Spaunhorst sich müht, dass die Schraube weder zu fest noch zu locker, vor allem jedoch gerade sitzt.

„Als ich meine Ausbildung gemacht habe, haben wird die Schrauben noch von Hand gefertigt“, erzählt Röltgen. Der 64-Jährige ist gelernter Scherenmonteur und -kontrolleur. Heute gebe es diesen Beruf nicht mehr. „Auch Scherenhärter und -schleifer sind aussterbende Berufe“, sagt Röltgen nachdenklich und deutet an, dass die Branche Zukunftssorgen hat.Auch der Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften fehle.

Seitdem es die Firma Waldmin & Saam gibt, hat sich die Scherenherstellung massiv verändert, vor allem durch die zunehmende Maschinisierung. „Und die Konkurrenz aus Fernost ist groß“, sagt Röltgen.Waldmin & Saam habe eine Nische gefunden. „Wir arbeiten viel für Industrie und Handwerk und liefern an Kunden in der ganzen Welt“, so Röltgen. Wie Michael Römer hinzufügt, umfasst die Produktpalette der Firma rund 3000 unterschiedliche Modelle und Ausführungen. Auf dem Schreibtisch im Büro liegt ein Katalog, der aus den Anfangsjahren der Firma stammt. Röltgen: „Viele der Modelle, die wir heute herstellen, gab es damals schon.“ Neuerfindungen seien bei Scheren eher selten.

Wasden Tagespraktikanten begeistert, ist – neben der Technik – gerade diese Bewahrung der Tradition und des Fachwissens. „Es freut mich, dass Scheren hier noch mit so viel Sorgfalt, Ruhe und Nachhaltigkeit hergestellt werden und nicht aus dem Automaten kommen“, resümiert Meinhard Spaunhorst am Ende des Praktikumstages, den er als „Geschenk“ und „Volltreffer“ empfinde. „Die Wertschätzung, die hier in der Produktion jedes Detail erfährt, ist leider heute selten geworden.“

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