Köln-Altstadt-Süd - SeverinstraßeGeschichte, Kunst und pralles Leben

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Aufgewachsen im Ruhrgebiet, wo es am kohle-schwärzesten war, und das Geschichtsbewusstsein bestenfalls 100 Jahre zurückreicht bis zur ersten Zechengründung, versetzte mich meine Firma ins 2000-jährige Köln. Wir übernahmen die Wohnung eines Vorgängers im Haus Severinstraße 196. Im Erdgeschoss betrieben der Besitzer und seine Frau mit Erfolg ein bescheidenes Möbelgeschäft, denn noch gab es keine riesigen schwedischen Möbelhäuser auf grüner Wiese, und der Ersatzbedarf der Kölner für im Krieg Zerstörtes war groß. Gegenüber von Nummer 196 produzierte die Linde Fabrik Eis in Blöcken, denn auch die elektrische Kühlung von Bier in Kölschen Pinten war, wenn überhaupt schon erfunden, eher die Ausnahme. Zum Rhein ging der Blick frei über Trümmer und einiges Aufgebaute bis ins "unheilige" Köln der Nächelsgasse, wo in kleinen Häuschen die Damen des ältesten Gewerbes der Welt ihre Dienste anboten. Nebenan wurde Brot in einem notdürftig geflickten Parterre-Bau gebacken. Nur der Schornstein, ebenfalls notrepariert, reichte bis zu unserer zweiten Etage und qualmte heftig.

Vor sieben Jahren hatte die Währungsreform mich gezwungen, das Studium der Archäologie und Kunstgeschichte abzubrechen, und nun wohnte ich auf der Via Appia der Colonia Claudia Ara Agripinensis mit großartigen Kirchenbauten in Fußgänger-Reichweite, fast alle auf der Basis römischer Vorgängerbauten, alle vom Krieg hart getroffen. Die städtischen Archäologen nutzten die Chance, größere Klarheit über die Baugeschichte zu gewinnen. Der Aufbau lief; wurde dabei ein Gräberfeld angeschnitten, sah man häufig mancherlei Gebein in den Baugruben. Die Severinsbrücke wurde in Angriff genommen. Wenn die Arbeiter Feierabend gemacht hatten, kamen Jugendliche und buddelten nach Schätzen, fanden Tonscherben und vielleicht anderes, gruben Höhlen in die Seitenwände, brachten sich durch möglichen Einsturz in Lebensgefahr.

Doch nicht nur das erhabene, "antike" Köln bereichert die Erinnerung an meine Jahre im Vringsveedel. Die kleinen, mühsam wieder eingerichteten Geschäfte und Betriebe boten Erstklassiges in bester Handwerkstradition, gepaart mit einem kräftigen Schuss Kölner Originalität. Stellvertretend sei die Konditorei Schoeneberg genannt, deren kleines Café nur ein schmaler Raum war. An der Theke regierten die Frauen der Familie, die Chefin mit Tochter und die "Tant". Die Männer blieben in der Backstube, wo sie hervorragende Kuchen und Torten zauberten. Kein Verwandten-Besuch ins Ruhrgebiet, den ich nicht mit Schoeneberger Kuchen bereicherte. Für den weihnachtlichen Mandelstollen erhielt ich Voraus-Bestellungen. Jawohl, ich habe den Ruhm Kölner Konditorkunst in die Welt getragen.

Und dann der Karneval! Mit Staunen und Entzücken sah ich an Weiberfastnacht die kleinen Trupps Frauen in gleichen Motiv-Kostümen, Frauen von Hausgemeinschaften, die ihre Kostüme selbst geschneidert hatten. Als der Rosenmontagszug den Weg zum ersten Mal (?) durch die Severinstraße nahm, drängten sich Verwandte und norddeutsche Kollegen an den Fenstern meiner Wohnung, doch keiner ergatterte eine Kamelle, denn bis zur zweiten Etage flogen weder Strüssjer noch Kamellen. Wir Karnevals-Laien hatten versäumt, uns an die Straße zu stellen.

Ich erinnere mich an den Mann, der regelmäßig aus dem Haus kam, um seinen kostbaren Besitz, ein rotes Goggomobil, in den Schatten zu fahren, damit die Sonne es nicht ausbleichte. Einmal wöchentlich hüllte er es in ein Schaumbad und lederte es sehr vorsichtig ab. Ich kaufte Nudeln und anderes in dem kleinen Kolonialwaren-Geschäft der Familie Schmitz, wo man schon ein wenig Kölsch verstehen musste, um klarzukommen. Einmal standen in dem engen Laden, in dem Frau Schmitz in der Kittelschürze und Herr Schmitz in Hemdsärmel bedienten, zwei elegante Herrn vom Außendienst einer Markenartikel-Firma und kamen mir etwas ratlos vor. Die Severinstraße bot alles: Geschichte, Kunst und pralles Leben.

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