Köln-Ehrenfeld - Venloer StraßeDie zentrale Achse im Kontakt zur Welt

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Wir sind Anfang der 70er Jahre in einen westlichen Vorort von Köln gezogen: mein Vater, meine Mutter, meine ältere Schwester und ich. Fortan war sie die zentrale Achse im Kontakt zur Welt, die Venloer Straße, die mich bis heute mit meiner Geschichte und mit der elterlichen Wohnung verbindet. Meine Mutter arbeitete dort, nicht weit vom Denkmal der Edelweißpiraten entfernt, das damals noch gar nicht existierte und ich ging ins Neptunbad zum Schulschwimmen. Dann kam ich aufs Gymnasium und bis zum Abitur war "die Venloer" mein Weg zur Schule. Weil die Bahn noch oberirdisch fuhr, hatte ich ihr Wesen und Werden über Jahre täglich im Blick.

Damals existierten in Ehrenfeld noch drei Kinos. Das Helios-Kino, das Urania und ich glaube, dass auch das Kino in der Platenstraße noch in Betrieb war, bevor es zu einem Lebensmittelmarkt mit dem seltsamen Namen "Zum bösen Wolf" umgewandelt wurde. Gleich zwei Warenhäuser werteten die Venloer als Einkaufsstraße auf: die Kaufhalle und Woolworth - beide, wie ich später entdeckte, ebenfalls in ehemaligen Kinos angesiedelt. Außerdem gab es einen riesigen Supermarkt, zu dem wir mit dem Auto zum Einkaufen fuhren. Genau dort, wo Ende der 50er der erste Selbstbedienungsladen Kölns eröffnet worden war, in der Rheinlandhalle - von der ich jedoch erst lange danach erfuhr. Auch der Leuchtturm erklärte sich mir erst Jahre später, denn ich kannte ihn nur defekt, so dass er als solcher gar nicht in Erscheinung trat.

Wenn wir an besonderen Tagen zum Essen ausgingen, an Ostern oder am Muttertag, dann fuhren wir zum Ehrenfeldgürtel und aßen in jener bürgerlichen Speisegaststätte, die stets nach Nudelsuppe roch und nach würziger, brauner Bratensauce: im "Strohhut". Nie habe ich dort etwas anderes zu mir genommen als Wiener Schnitzel mit Pommes Frites, mein Kinderfesttagsessen. Bis heute verleiht diese Erinnerung jedem Wiener Schnitzel einen festtäglichen Glanz.

Mindestens zwei Brillen, die ich als Heranwachsende trug, stammten von der Venloer. Wenigstens drei Friseure habe ich ausprobiert, und wenn ich anfinge zu zählen, ich wüsste nicht, ob ich noch alle Schuhe zusammen bekäme, die ich an dieser Straße erworben habe! Ein Paar ist mir jedoch noch genau im Gedächtnis. Es sind meine Kommunionschuhe, die meine Mutter und ich im Helios Schuhhaus erstanden hatten. Ich war so schnell gewachsen, dass Schuhe in meiner Größe schon wie richtige Damenschuhe aussahen, was mich sehr unglücklich machte. Bei Helios fand ich ein Paar Schnürhalbschuhe aus weißem Lackleder, sie hatten zwar schon Größe 37 oder 38, gingen aber eben noch als Kommunionsschuhe durch. Ich war unglaublich stolz auf sie.

Mit vierzehn erlebte ich meine erste Beerdigung auf dem Westfriedhof. Eine alte Dame, die ich gelegentlich besuchte, um ihre Post zu erledigen, war gestorben. Sie wurde von einer winzigen Trauergemeinde auf einem riesigen Friedhof beigesetzt. Einige Jahre danach betrat ich erstmalig den Jüdischen Friedhof nebenan. Ein eindrucksvoller Ort, der von der Vergangenheit erzählt und vom Ende kündet. Für mich auch vom Ende der Straße, denn meine mentale Kartierung der Venloer reichte immer genau vom Friesenplatz bis zum Militärring.

Mit der U-Bahn Anfang der 80er Jahre stieg das Veränderungstempo. Erst wurde Woolworth geschlossen, dann die Kaufhalle, dann zog Woolworth in die ehemalige Kaufhalle. Ich habe viele (Fach-)Geschäfte kommen und vor allem gehen sehen. Auf dem 4711-Gelände entstand das Barthoniaforum, das Neptunbad wurde aufpoliert, diente als Bad, als Fernsehstudio und inzwischen als Wellnesstempel. Unvergessen sind die vielen leuchtenden Reklamezeichen, die mich von Kindheit an faszinierten: der Funkturm auf der Fassade von Radio Wilden, ein Herrenanzug, der für Wallpott warb. Schon Jahre vor dem U-Bahnbau war in dem früheren "Strohhut" ein McDonalds eingezogen. Allein eine Neonreklame mit Hut hielt das Andenken wach. Eine in Licht gespeicherte Erinnerung.

Vielleicht weil ich an der Neusser Straße groß geworden bin, hatte ich stets eine enge Bindung an Straßen wie diese. Ach, die Neusser! Wir benutzten sie täglich, um zu meinem Kindergarten zu kommen. Ich weiß zum Beispiel noch, wie ich mit der Laterne beim Martinssingen die Geschäfte abklapperte. Damals in den 6oern auf der Neusser Straße...

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