„Mein Veedel“ mit Steve BlameEin guter Ort, sich selbst zu finden

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Die Diskussion über die feiernden Leute am Brüsseler Platz verstehe ich nicht, denn das gehört doch auch zum Stadtleben. (Bild: Christoph Hennes)

Die Diskussion über die feiernden Leute am Brüsseler Platz verstehe ich nicht, denn das gehört doch auch zum Stadtleben. (Bild: Christoph Hennes)

Innenstadt – „Vor einem Publikum zu stehen statt vor einer TV-Kamera ist ein ganz neues, tolles Gefühl für mich.“ Das sagt ein Mann, der durch das Fernsehen bekannt wurde: Steve Blame. Der einstige Moderator brachte früher via MTV einer ganzen Generation die Neuigkeiten aus der Musikwelt in die heimischen Wohnzimmer.

Vor dem Club Subway an der Aachener Straße steht er nun, der einstige Anchorman des Senders. Steve Blame trägt schwarzes Jackett, dunkle Hose, elegante Schuhe und ein blaues Halstuch. Natürlich ist er ein wenig gealtert in den fast 18 Jahren (ist das wirklich schon so lange her?), in denen er nicht mehr auf der TV-Bildfläche zu sehen war. Seine legendäre Anmoderation „Hi, Steve Blame here with MTV News“ klingt mir noch heute in den Ohren. Und sofort fällt mir auf, dass die Stimme dieselbe geblieben ist, heute spricht Blame allerdings fast fehlerfrei Deutsch – mit einem äußerst charmanten britischen Akzent.

Eine Treppe führt nach unten ins Subway. Hier ist er nicht nur Gast, sondern er entwirft derzeit mit dem Besitzer des Clubs und DJ Dennis Bigell eine Show. „Dennis macht die Musik, ich steuere Videos bei und erzähle Geschichten – beispielsweise die, in der Madonna mich während eines Interviews selbstironisch fragte, was jetzt wohl Madonna antworten würde.“ Die Deutschland-Premiere der Multimedia-Show „Vaseline“ ist voraussichtlich im Sommer. „Wir möchten noch ein wenig an dem Konzept feilen.“

Alles zum Thema Musik

Zeit scheint der 53-Jährige also zu haben, an schnellem neuen Ruhm ist ihm keinesfalls gelegen. Neuigkeiten von ihm gab’s lange keine mehr – bis er vor einem guten Jahr seine Autobiografie „Getting lost is Part of the Journey – MTV, Deutschland und ich“ veröffentlichte und auf den Lesungen Erfahrungen mit Publikum machte, an die er mit seiner Multimedia-Show anknüpfen will. Von wilden Zeiten berichtet er in seinem Werk, aber auch von düsteren Momenten, die es zwischen dem ganzen Rummel um die Stars und nicht zuletzt auch um seine eigene Person gegeben hatte.

„Witzig“ findet Steve, dass viele Kölner ihrem Viertel sehr verbunden sind – „manche gehen höchstens zum Einkaufen am Samstag über die Grenze“, hat er beobachtet. „Das sind dann für mich die Belgisches-Viertel-Inselaffen“, scherzt der Brite in Anspielung darauf, dass seine Landsmänner wenig schmeichelhaft als solche bezeichnet werden.

Einrichtung vom Flohmarkt

Von der Aachener Straße aus geht es hinüber zum Brüsseler Platz, wo es jetzt ruhig ist, aber vor allem im Sommer nachts laut gefeiert wird. „Die Diskussion darüber verstehe ich nicht, denn das gehört doch auch zum Stadtleben“, meint Blame. „Hier gibt es den einzigen Tee, der mir schmeckt“, sagt er über das Café „Miss Päpki“, nachdem er es sich dort auf einer mit Brokatstoff überzogenen Bank an einem weißgestrichenen Tischchen gemütlich gemacht hat. Der Tee muss in einer Kanne ziehen und auch darin serviert werden, in die Tasse wird zuerst die Milch eingegossen, darauf besteht der Brite.

Er nippt an der farbenfrohen Tasse, die vom Stil her, jedoch farblich nicht zur Untertasse passt. „Viele Dinge habe ich auf Flohmärkten gekauft oder gesammelt, bevor ich mein Café eröffnet habe“, erzählt die Besitzerin Claudia Papke. „Wegen des mädchenhaften Ambientes kommen mehr Frauen als Männer her.“ „Was das wohl über mich aussagt“, fragt Blame und lacht.

In Köln die wahren Leidenschaften entdecken

Seit 1994 wohnt der gebürtige Engländer in Köln, nachdem er von MTVs Konkurrenzsender Viva Zwei hierhin gelockt worden war. Obwohl die Zusammenarbeit mit dem damaligen Senderchef Dieter Gorny nach kurzer Zeit vor Gericht endete, ist er geblieben. „Die Menschen hier sind sehr offen, das hat mir am Anfang, als ich noch niemanden kannte, sehr geholfen“, sagt Blame, als wir unseren Weg durch das Belgische Viertel fortsetzen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass er sich hier, in einer neuen Kultur, selbst besser kennenlernen könnte – und seine wahren Leidenschaften entdecken, etwa Drehbücher zu schreiben und TV-Shows zu entwickeln.

In der Bismarckstraße geht es in das Fahrradgeschäft „Radfieber“ , hier hat er vor einiger Zeit gelesen. Mit einem der Verkäufer trifft er sich außerdem zum Tennis. „Linos versucht oft, mir ein Rad zu verkaufen, aber das ist nichts für mich. Ich benutze meine Beine lieber zum Gehen.“

Generation MTV

Trotzdem startet Linos Meier einen neuen Versuch, Steve von dem Fortbewegungsmittel zu überzeugen. „Vielleicht wäre ein E-Bike das Richtige für dich“, fragt Meier am Ende der Präsentation etwas verzweifelt. „Dafür bin ich noch zu jung“, witzelt der 53-Jährige. Auf die Frage, ob er immer noch als früherer MTV-Moderator erkannt wird, antwortet Blame ganz bescheiden und leise „nein, nein“. Das kann man ihm nun glauben oder nicht. Doch zumindest die „MTV Generation“, also die heute 30- bis 50-Jährigen, die in ihrer Jugend zu Hause Kabelanschluss hatten, dürften nicht an ihm und dem Musiksender vorbeigekommen sein.

MTV war neu und innovativ und löste das Radio als wichtigstes Medium der popmusikalischen Sozialisation ab. Bis heute unvergessen sind Blames witzige Moderationen und Interviews mit Musikern wie David Bowie und Tina Turner, denen Blame oft mehr entlockte als langweilige Standardphrasen. Auch hinter der Kamera wirkte er an MTVs Entwicklung mit, Kampagnen wie die zum jährlich stattfindenden Welt-Aids-Tag entstanden unter seiner Regie.

Kunstperformance im Hinterhof

Doch diese glorreichen Zeiten sind vorbei, was Steve Blame aber keinesfalls bereut. Sein heutiges Leben in einer anderen Kultur gefällt ihm genauso wie sein Viertel, dessen Gesicht sich in den vergangenen Jahren gewandelt hat: „Es siedeln sich Modedesigner und Künstler an, und es kommen auch immer mehr Menschen von außerhalb hierher.“ Bildende Künstler treffen wir auch auf unserem Weg. Der 31-jährige Steffen Ademmer hat in der Maastrichter Straße seine „Staatsgalerie Delirien“ aufgemacht: Ein einfaches, kleines Schaufenster, zum Ausstellungsort umfunktioniert – die wahrscheinlich kleinste Galerie der Welt. Jeden Monat hängt hier ein anderes Exponat.

In einem Hinterhofatelier in der Richard-Wagner-Straße entstehen die Pappmodelle, Zeichnungen und Bilder der Schwedin Anna-Karin Engdahl. Sie lädt Steve Blame zu einer Ad-hoc-Kunstperformance ein. Der macht gerne mit, und so zieht er sich ein Jute-Säckchen mit Augenschlitzen über den Kopf und tanzt zusammen mit Engdahl, deren Mann und Tochter um einen Pappbaum. „Das ist eine Anspielung auf die schwedischen Mittsommer-Feste, bei denen zwar Familien und Bekannte zusammen feiern, sich aber trotzdem fremd bleiben und ihre Maskeraden nicht ablegen.“ Begegnung der Kulturen – im Schmelztiegel Belgisches Viertel.

Wo liegt die Zukunft des Musikvideos

Wieder unterwegs mit dem Ziel Restaurant Hallmackenreuther schüttelt Steve Blame die Hand eines Passanten, der ihn mit „Hi Steve“ begrüßt. „Das ist Erçin Filizli, der Musikvideos gedreht hat und den ich bei Viva kennengelernt habe.“ Kaum hat er’s ausgesprochen, rauscht ein weiterer Ex-Viva-Kollege auf dem Rad vorbei. „Ach guck mal, da ist Phil Daub“, ruft Blame. Der gehörte genauso zu den Anfangstagen des Musiksenders Viva wie Steve Blame zu MTV Europe.

Mit MTV entwickelte sich auch das Musikvideo als Medium weiter. „Ich denke, dass die Zukunft des Musikvideos in der Interaktivität liegt. Die Verlagerung ins Internet und auf Seiten wie Tape.TV sind ein erster Schritt. Es muss aber technische Möglichkeiten dafür geben, dass jeder von seinem Computer aus Musikvideos verändern kann.“

MTV nur noch gegen Bezahlung

Das Musikvideo ist nach Blames Meinung zwar noch nicht tot – „im Gegensatz zu dem MTV, wie es früher war“ – es hat aber schon bessere Zeiten gesehen. Seit gut einem Jahr ist MTV in Deutschland nur noch gegen Bezahlung zu empfangen.

Das Philosophieren über Vergangenheit und Zukunft des Musikfernsehens und -videos muss er dann leider vorzeitig beenden, schließlich steht ein weiterer Termin an. Nach einer herzlichen Verabschiedung entschwindet Steve Blame in die gegengesetzte Richtung – im Trubel des Belgischen Viertels.

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