Was ist, wenn der Staudamm bricht?

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Heute ist die Staumauer der Rurtalsperre so zugewachsen, dass man gar nicht mehr erkennen kann, wie hoch das Wasser über dem Tal steht. Aber diese ältere Luftaufnahme macht das Problem deutlich.

Heute ist die Staumauer der Rurtalsperre so zugewachsen, dass man gar nicht mehr erkennen kann, wie hoch das Wasser über dem Tal steht. Aber diese ältere Luftaufnahme macht das Problem deutlich.

Eifel - Keine Angst: Die Talsperren der Eifel stehen sicher, sie werden sorgsam und nach dem Stand der Technik gewartet. Bis zu einem Jahrhundert lang haben sich die ältesten Anlagen bereits bewährt. Aber die Terroranschläge vom 11. September 2001 machten deutlich, dass scheinbar sichere Bauwerke angreifbar und verletzbar sind. Auch „natürliche“ Ereignisse, selbst wenn sie bislang noch nicht aufgetreten sind, kann niemand gänzlich ausschließen.

Nun erstellte die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen im Auftrag des „Wasserverbandes Eifel-Rur“ (WVER) eine grundlegende Studie zum „schlimmsten denkbaren Fall“, einem Versagen der Staumauer in Schwammenauel.

Heimbach unter Wasser

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Was passiert, wenn beispielsweise als Folge eines gigantischen Dauerregens infolge der globalen Klimaveränderung die Staumauer der Rurtalsperre massiv überspült wird und sich dadurch eine Bresche in der Steinschüttung ergibt? Wenig später wäre Heimbach unter einer rund 30 Meter hohen reißenden Flut versunken. Ähnlich erginge es den Orten flussabwärts entlang des Rurtales. Selbst in der 35 Kilometer entfernten Stadt Düren ständen beiderseits des Flusses auf einer Breite von anderthalb Kilometern die Häuser bis zu fünf Meter hoch unter Wasser.

Andererseits blieben mehr als zwei Stunden, um die Dürener aus der Gefahrenzone zu evakuieren. In Heimbach müssten die Menschen sich allerdings innerhalb ganz kurzer Zeit auf die angrenzenden Nationalpark-Hänge retten.

Die Wissenschaftler um Professor Jürgen Köngeter (Lehrstuhl für Wasserbau) und der Diplomingenieur Herbert Polczyk vom WVER hatten keine leichte Aufgabe: Sie sollten das Undenkbare denken. Denn was den Menschen, die den Bau der Talsperren noch selbst erlebt haben, durchaus geläufig war, haben die meisten heutzutage vergessen und verdrängt: Es handelt sich um technische Bauwerke, die durchaus unter bestimmten Umständen versagen könnten.

Industrienorm geändert

Angesichts dieses immerhin latent vorhandenen Gefahrenpotenzials wurde nun die entsprechende Industrienorm bezüglich der deutschen Talsperren geändert. Neuerdings müssen die Talsperrenbetreiber den Behörden offen legen, was maximal passieren könnte. Die Ergebnisse der RWTH-Studie stellten jetzt Dezernent Robert Steenmans und Abteilungsleiter Herbert Polczyk vom WVER dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor.

Eine Analyse von 360 Staudammbrüchen ergab, dass 44 Prozent durch Überströmen der Mauerkrone ausgelöst wurden. Die Rurtalsperre mit gut 200 Millionen Kubikmetern Stauvolumen ist die zweitgrößte Talsperre Deutschlands. Bislang wurden maximal 328 Kubikmeter Zufluss pro Sekunde gemessen. Als „hundertjähriges Hochwasser“ werden 450 Kubikmeter angenommen. Die Wissenschaftler simulierten eine Havarie, bei der ein Zustrom in den Stausee von 600 Kubikmetern angenommen wurde, bei bereits randvollem Speicher.

Wenn es dann zum massiven Überströmen des Damms käme, würde sich nach relativ kurzer Zeit eine Bresche im Damm bilden. Durch das überströmende Wasser würden Steine aus der Mauerkrone gerissen. Die letztlich entstehende Bresche wäre rund 50 Meter tief (bei einer gesamten Dammhöhe von 77 Metern).

38 Minuten nach Beginn des Überlaufens über die Dammkrone setzte die „Erosion“ der Dammkrone ein. Nach 66 Minuten wäre der Damm bereits ein Stück eingekerbt, in weniger als anderthalb Stunden würde der maximale Wasserdurchfluss durch die Bresche beobachtet: 33 310 Kubikmeter Wasser strömten dann pro Sekunde durch die Lücke ins Rurtal.

Zehn Minuten nach dem Beginn der Ausfräsung an der Krone erreichten die ersten Ausläufer der Flutwelle fünf Kilometer talwärts die Stadt Heimbach. Die Strömungsgeschwindigkeit läge bei mehr als 20 Metern pro Sekunde (72 km / h). Deutlich langsamer würde das reißende Wasser erst rund 30 Kilometer hinter der Mauer, wenn die Rur in die Tiefebene eintritt. Die Stadt Düren würde die Flutwelle nach rund 150 Minuten erreichen.

Die Wasserhöhe im Rurtal wäre sehr unterschiedlich. Am schlimmsten wäre Heimbach betroffen. Dort würde der Fluss auf mehr als 30 Meter Höhe anschwellen. Die durchschnittliche Wasserhöhe flussabwärts im engen Rurtal läge zwischen zehn und 20 Metern.

Dass eine Talsperre durchaus ein - wenn auch winzig kleines - Risiko-Potenzial bergen kann, darüber waren sich die Erbauer seinerzeit durchaus klar. So wurden beispielsweise beim Bau der Staumauer Sirenen in Kreuzau installiert zu dem Zweck, die Bürger im Notfall schnell alarmieren zu können. Diese Sirenen gibt es noch. Aber ihr Sinn und Zweck waren weitgehend in Vergessenheit geraten.

Nun müssen sich angesichts einiger tausend Menschen im unteren Rurtal und angesichts von Wirtschaftswerten von rund acht Milliarden Euro entlang der Rur die Behörden den Kopf zerbrechen, wie man mit der Studie umgeht.

Fest steht, dass eine derartige Katastrophe höchst unwahrscheinlich wäre und dass sie nicht von jetzt auf gleich einträte, sondern dass es längere Vorwarnfristen gäbe. Diese Frist wäre auf jeden Fall zu nutzen, um die Menschen aus der Gefahrenzone zu bringen.

Ähnliche Berechnungen wie zur Staumauer Schwammenauel über die Folgen von Havarien sollen bald auch für Olef- und Urfttalsperre folgen.

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