Im September wird eine Ausstellung mit den im Kreis Euskirchen entstandenen Bildern aus dem Projekt „Heimat finden in NRW“ bestückt.
Heimat findenOffener Kunsttreff im Café International der Caritas Euskirchen

Versunken und konzentriert: Die Teilnehmenden am Kunsttreff zeigen Ideenreichtum, wie das leere Blatt Papier gefüllt werden kann.
Copyright: Heike Nickel
Neun Frauen und ein junger Mann sitzen rund um die zusammengeschobenen Tische und haben die Augen geschlossen. Birgit Urbanus leitet sie mit sanfter Stimme durch ihre Erinnerungen – an schöne Kindheitserlebnisse, an den Geruch des Hauses, in dem man aufgewachsen ist. An die Kinder, mit denen man damals gespielt hat. Und daran, wie sich der erste Tag in der Schule angefühlt hat. Weiter geht die Reise, vom ersten Verliebtsein über Heirat oder Kinderkriegen bis hin zu diesem Moment, hier im Café International des Caritasverbandes mitten in Euskirchen.
Es ist Donnerstagnachmittag, seit Anfang des Jahres treffen sich hier jede Woche alte und neue Nachbarn zu dem Projekt „Kunst im Café“. Heute sind acht Nationalitäten vertreten. Nicht alle hier sprechen schon fließend Deutsch, aber das spielt beim künstlerischen Werkeln auch keine Rolle. Hier stehen andere Mittel zur Verfügung, um sich auszudrücken. Die Stimmung am Tisch ist eher konzentriert und zurückgenommen. Alle scheinen versunken in ihre Gedanken und das Blatt oder die Leinwand, die vor ihnen liegt.
Heimatstücke heißen die Bilder, die bald auf Vogelsang ausgestellt werden
Die meisten hier wollen sich gerne am Projekt „Heimat finden in NRW“ beteiligen (siehe „Heimat finden in NRW“). Fast alle hatten zuvor eine andere Heimat in einem anderen Land. Nur Nousrin, eine der Frauen mit Migrationsgeschichte am Tisch, hebt ihre Hand, als Birgit Urbanus die Frage in die Runde stellt, wer sein Heimatland freiwillig verlassen hat. „Ich bin vor 46 Jahren nach Deutschland gezogen, weil ich hier als Biologin in der Zellforschung arbeiten konnte“, erzählt sie.
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Heute will Nousrin ihr Bild fertigstellen, das eines von vielen ist, die in der Ausstellung auf Vogelsang einem breiten Publikum vorgestellt werden. In dem schwarzen, viereckigen Rahmen, der für alle Heimat-Kunstwerke der gleiche ist, hat sie „Erinnerungen meines Lebens“ zusammengestellt. Makroaufnahmen von Zellstrukturen bilden den Hintergrund, dazu arrangiert hat sie das Blatt eines Lebensbaumes sowie verschiedene kunstvoll bemalte Steine, von denen jeder einzelne eine persönliche Bedeutung für Nousrin hat.

Generationsübergreifend: Nousrin hilft einem jungen Mann aus Afghanistan, die richtige Vorlage für sein Bild zu finden.
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Kunstpädagogin Birgit Urbanus hinter dem Materialtisch. Für jeden ist etwas dabei.
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Studentin Hadja, die begeistert mitmalte, möchte später gerne mit Geflüchteten arbeiten.
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Die „Heimatstücke“ sind alle in der gleichen Größe gerahmt. Die Kunstwerke hinter dem Glas sind so vielfältig wie die Menschen, die sie erschaffen haben.
Copyright: Heike Nickel
Asraa ist heute das erste Mal zu „Kunst im Café“ gekommen. Die 19-Jährige stammt aus Syrien, doch bereits mit acht Jahren floh sie mit ihrer Familie in die Türkei. Als ihr Vater sich weiter nach Deutschland aufmachte, blieb die Familie zunächst zurück. „Ich habe ihn sechs Jahre nicht gesehen“, sagt die junge Frau. Vor zwei Jahren sei ihr Vater verstorben. Zeichnen gehöre schon lange zu ihrem Leben, sagt Asraa. Was sie fühlt, fließt über den Stift in ihren Block. Einen hat sie mitgebracht. Schüchtern zeigt sie ihre schwarz-weißen Bleistiftzeichnungen, meist Porträts von Frauen, in deren Augen sich Trauer und Schmerz spiegeln.
„Manchen Menschen hier, die sich mit dem Thema ‚Heimat‘ befassen, wird erst einmal das Herz schwer und sie sind traurig“, weiß Birgit Urbanus vom Caritas-Team Neue Nachbarn. Was die Teilnehmenden am Ende ihres künstlerischen Prozesses in den Bilderrahmen packen, sei einfach nur toll und sehr berührend. Die Palette reicht von Werken, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt, die gesprüht oder fotografiert wurden.
Manchen Menschen hier, die sich mit dem Thema ‚Heimat‘ befassen, wird erst einmal das Herz schwer und sie sind traurig.
Es gibt Collagen, grafische Werke und auch ein Comicbild. Ein Teilnehmer hat bei Zülpich ein gelbes Rapsfeld vor tiefblauem Himmel fotografiert. Durch die Bildgestaltung kann man auch die ukrainische Flagge darin erkennen. Ein anderer Teilnehmer, der aus Guinea nach Deutschland kam, hat einen Zeitungsbericht über seinen Weg des Ankommens in den Rahmen gepackt. Und eine Fotocollage zeigt eine Person, der weiße Federn angeklebt wurden. „Dieser Mann befand sich sozusagen im Abflug. Das Bild hier ist an seinem letzten Tag in Nordrhein-Westfalen entstanden“, erzählt Birgit Urbanus, die auch Kunstpädagogin ist. „Jeder Mensch hat einen anderen Blick darauf, was der Begriff Heimat bedeutet“, so Urbanus. Den dazu aufkommenden Gefühlen, Erinnerungen und Assoziationen freien Lauf zu lassen, darum gehe es in diesem Projekt.
Asraa überlegt eine ganze Weile, womit sie das weiße Blatt vor sich auf dem Tisch füllen könnte. Heimat, das ist für viele ein diffuses Dazwischensein. Einerseits eine Sehnsucht, andererseits ein Gefühl von Sicherheit. Der Plural von Heimat lautet Heimaten – er liegt so schwer im Mund, weil er niemals gebraucht wird. Vielmehr spricht man von alter und neuer Heimat oder von erster und zweiter.
Asraa unterteilt das Zeichenpapier in drei Segmente, weil drei Länder und Kulturen für ihren bisherigen Lebensweg stehen. In das erste Feld zeichnet die 19-Jährige mit feinen Bleistiftstrichen ein Abbild des Hauses ihrer Kindheit in Syrien, und am Ende eine große Explosionswolke darüber.
Suche mit Pinsel, Buntstift und Farbe
Seit Januar finden die offenen künstlerischen Begegnungen beim Caritasverband Euskirchen statt, an denen Menschen unterschiedlichster Herkunft teilnehmen. Kreativ gearbeitet wird zum Thema „Heimat finden in NRW“. Mit Pinsel, Buntstift und Farbe machen sich die Teilnehmenden auf eine Suche zwischen Flucht, Vertreibung und neuer Nachbarschaft.
Am Ende steht eine partizipativ gestaltete Kunstausstellung, die am 25. September, 16 Uhr, in den Räumen des Kooperationspartners Vogelsang IP eröffnet wird. Zu sehen sind die Werke, die sich dem Begriff der Heimat in fantasievoller und sehr persönlicher Weise annähern. Neben diesen „Heimatstücken“ sollen auch Stellungnahmen von Teilnehmenden über eine Lichtleiste laufen.