Alkoholiker vor GerichtLeverkusener zeigt Hitlergruß, wenn er in die Ausnüchterung will

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Sitzung, Prozess, Öffentlich, nicht öffentlich. Foto: Ralf Krieger

Ein Sitzungsschild im Opladener Amtsgericht

Ein Straftäter stellt sich im Gericht mit „Beruf Alkoholiker“ vor. Mit Hitler will er nichts zu schaffen haben. 

Wer erst einmal derart durchs Raster gefallen ist, wie der angeklagte Mann am Montag vor Gericht, mit dem ist auch kein zivilisierter und vernünftiger Prozess mehr möglich. Er hatte auf der Straße den Hitlergruß gezeigt und laut Sieg-Heil gerufen: Wer so etwas tut, landet wegen „Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen“ vor Gericht.

Der Mann, das zeigte sich schnell, ist nicht vernünftig kommunikationsbereit, dürfte kaum schuldfähig sein. Nach seinem Beruf gefragt, antwortete er: „Alkoholiker“, gelernt habe er mal Rohrschlosser beim Bayer, dann als Kurierfahrer sei er betrunken gefahren, heute lebe er von Erwerbsminderungsrente.

Der Mann ist körperlich verwahrlost, die Finger schwarz, verfilzte Haare, ungewaschen, aber er hat eine eigene Wohnung in Quettingen. Auch vor der Verhandlung in Opladen habe er selbstverständlich getrunken, sagt er, Jägermeister. Der 56-jährige Mann hat auch eine Flasche Cola dabei, die Richterin bittet ihn, nicht während der Verhandlung zu trinken.

Die Richterin öffnet das Fenster

Zuerst geht es um seine Straftat. Erst streitet er ab, dann: „Ich sag’ »Sieg Heil« und strecke die Hand aus, wenn ich in eine Ausnüchterung will, dafür benutze ich dieses Zeichen“, sagt der Mann auf einmal fast klar, „ich bin Borderliner“. Es wird überlegt, ob man ein psychiatrisches Gutachten braucht. Der Pflichtverteidiger stimmt dem zu, will seinem Mandanten die Sache erklären, worauf der Angeklagte ruft: „Dem entziehe ich das Mandat.“

Dann will er erklären, weshalb er gar nicht rechtsextrem sein kann: „Was soll ich denn mit Hitler? Guckt mich an, ich habe lange Haare und so. Kann ich gehen?“ „Sie dürfen“, sagt die Richterin, der Angeklagte dreht mit seinem Rollstuhl um 180 Grad, schnappt sich die Flasche und fährt aus dem Gerichtssaal. „Tschüss“. Die Richterin erhebt sich und öffnet beide Fensterflügel. Das sei ja ein toller Start in die neue Woche gewesen, sagt die Staatsanwältin.

Der Mann ist polytoxikoman

Ein Betreuer von der Suchthilfe ist mit zur Verhandlung erschienen, gemeinsam suchen er, die Richterin und die Staatsanwältin nach einem Weg, wie man mit der Sache umgehen könne. Der Mann sei erst vor einer Woche aus einer Entgiftung gekommen, er sei polytoxikoman. Diese Süchtigen sind nicht wählerisch in der Auswahl ihrer Rauschmittel, sie nehmen, was zu bekommen ist.

Er sei nicht total besoffen, sondern auch überfordert und nervös, sagt der Suchtfachmann. Sein Klient sei nicht politisch, in der Suchthilfe hörten die Mitarbeiter oft rechtsextreme Aussagen, klärt er auf. Der Mann lebe im zweiten Stock, habe keinen Aufzug, neulich sei ihm ein Bein am Oberschenkel amputiert worden. Er schleppe und ziehe sich selbst die Treppen in die Wohnung herauf, die neulich um ein Haar gekündigt worden sei. Kaum noch ein Mitarbeiter vom Sozialdienst sei bereit, in seiner Wohnung ein wenig nach dem Rechten zu sehen. Er hänge im Raster zwischen allen Ebenen.

Um die Strafe geht es mit keinem Wort. Der Anwalt: „Gesundheitlich hat er das Ende der Fahnenstange erreicht.“ Was tun? Bevor sich endgültig Ratlosigkeit im Gerichtssaal breit macht, entscheidet man sich dazu, das psychiatrische Gutachten anfertigen zu lassen, das werde man auch bei kommenden Anklagen noch benötigen. Die Richterin sagt zum Schluss: „Ich glaube nicht, dass die Strafjustiz hier das beste Mittel ist.“

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