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SondermüllverbrennungVor der Explosion in Leverkusen gab es keine Regeln für diese Stoffe

Lesezeit 4 Minuten
Rauch über dem Bürriger Sondermüllofen.

Der Bürriger Sondermüllofen ist längst wieder in Betrieb, das letzte Gutachten zur Wiederinbetriebnahme wurde jetzt abgegeben.

Der Begleitkreis Bürrig, der die Wiederinbetriebnahme des Sondermüllofens von Currenta begleitet hatte, wird aufgelöst.

Der Begleitkreis Bürrig wird aufgelöst. Seine Aufgabe, die Wiederinbetriebnahme des Sondermüllofens von Currenta zu begleiten, sei erfüllt, so eine Mitteilung aus der Currenta-Geschäftsführung. Und mit der Veröffentlichung des fünften Teilgutachtens zum Wiederanfahren der potenziell gefährlichen Anlage sei der Auftrag des Gutachterteams um den Frankfurter Chemiker Christian Jochum ebenfalls beendet.

Dieses letzte Gutachten behandelt den Umgang mit zähflüssigen Chemieabfällen, die erhitzt werden müssen, damit sie durch die Rohrleitungen der Anlage zu den Verbrennungsöfen fließen können. Vor heißen Abfällen hat man in der Branche besonders nach dem Leverkusener Unglück Respekt, weil sich manche Abfälle selbst erhitzen und bei einer bestimmten Temperatur „hochgehen“ können, also explodieren, wie das am 27. Juli 2021 geschah. Die neue Regel besagt, dass der Abfall grundsätzlich um 100 Grad Celsius unter dieser kritischen Temperatur gehalten werden muss. Das ist der letzte Schritt; die Verbrennungsanlage läuft wieder vollständig.

Currenta reparierte seine Anlage und nach und nach ließen die Behörden die einzelnen Anlagenstränge wieder ans Netz gehen: Zuerst ein kaum beschädigter Drehrohrofen für feste Abfälle oder Pasten, das war 2022. Dann die Klärschlamm- und die Abwasserverbrennung, für die die Anlage entweder teures Heizöl zum Feuern braucht, oder eben flüssige Abfälle, denn nur so funktioniert das Geschäft: Unbrennbarer, aber gefährlicher Abfall, wird mit gut brennbaren flüssigen Abfällen auf über 1000 Grad erhitzt oder entzündet und so zumindest unschädlicher gemacht. Der Rauch wird gefiltert und gewaschen, die Asche kommt auf die Deponie.

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Erst nach der Leverkusener Explosion wurden Regeln geschrieben

Das Gutachterteam um Jochum entwickelte neue technische Regeln für Currenta, die inzwischen nicht nur in Leverkusen zur Anwendung kommen. Jochum glaubt, dass diese Leverkusener Regeln bald auch europaweit gelten dürften. Er sagt, dass Sondermüllverbrennung vor dem Unfall in Leverkusen erheblich unsicherer gewesen sei. Abfälle habe man bis in die 1980-er und 90er-Jahre im Prinzip einfach weggekippt. Dann kamen die Umweltgesetze, in denen viele Fragen um gefährliche Abfälle „bis ins i-Tüpfelchen“ geregelt worden seien – Nur für den Umgang mit selbst erwärmenden Chemieabfällen habe es keine einzige Vorschrift gegeben. Die Gefahren im Umgang damit haben die Mitarbeiter der Firmen bis dahin selbst eingeschätzt. Eine solche exotherme Reaktion, die am Morgen des 21. Juli 2021 außer Kontrolle geraten war, war die Ursache der Explosion im Entsorgungszentrum Bürrig, das streng genommen im Stadtteil Wiesdorf liegt.

„Wir sind zufrieden, denn wir haben zu einer verbesserten Anlagensicherheit beigetragen“, sagt Christian Jochum über die Arbeit seines Teams. Mit der Explosion im Tank 3, in dem vier Chemikalien gemischt waren, waren die Befürchtungen und Emotionen der Bewohner im Stadtteil Bürrig hochgegangen; die Diskussionen im Begleitkreis habe zur Versachlichung beigetragen, sagt Jochum, auch wenn einige Fakten geheim geblieben seien, weil sie Betriebsgeheimnisse seien oder wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die noch nicht in einer Anklage gemündet sind.

Medien waren im Begleitkreis eigentlich nicht vorgesehen

Medien waren im Begleitkreis nicht vorgesehen, bis der „Leverkusener Anzeiger“ sich hineindrängte und erst dadurch frühzeitig viel Detailwissen mitteilen konnte. Dazu kam eine zögerliche und als mangelhaft empfundene Öffentlichkeitsarbeit von Currenta, meist wurden juristische Gründe angegeben, weshalb man etwas nicht mitteilen konnte. Das erhielt mindestens einen Rest an Misstrauen. Bis heute gibt es die Einschätzung, dass die Anlage stillgelegt werden soll, weil sie viel zu nah an der Siedlung steht, wofür sich eine Bürgerinitiative einsetzt.

Die Anlage würde heute sicher nicht mehr genehmigt, weshalb Currenta  auch mit den vorhandenen Anlagenteilen arbeiten muss. Genehmigungen etwa für neue Tanklager zu bekommen – das ist kaum realistisch. Die Kritik, dass die Gutachter, die für die Wiederinbetriebnahme arbeiten, nicht neutral sein können, weil sie von Aufträgen derer leben, die sie begutachten müssen, kennt Jochum. Besonders die Tüv-Fachleute trifft diese Kritik. Currenta zahlt die Gutachten.

Luftbild des explodierten Tanklagers neben der Sondermüllverbrennungsanlage im Entsorgubngszentrum Leverkusen  Foto: Ralf Krieger

Was weg ist, ist weg: Ein Luftbild des explodierten Tanklagers der Sondermüllverbrennungsanlage. Neue Tanks würden kaum genehmigt.

Für sich selbst reklamiert der ehemalige Hoechst-Mitarbeiter Christian Jochum, dass er unabhängig sei: „Ich bin jetzt 82, ich muss nicht nach neuen Aufträgen schielen.“

Tatsache ist, dass Leverkusen ein Zentrum der Abfallentsorgung ist, dass in Leverkusen ein signifikanter Anteil des Sondermülls Deutschlands verbrannt wird, das bestätigt Jochum. Die genauen Zahlen sind Betriebsgeheimnis. Wie lange die Webseiten www.currenta-info-buerrig.de und begleitkreis-buerrig.de, mit allen Gutachten zum Herunterladen online bleiben, liegt in der Verantwortung von Currenta.