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PrüfberichtDas Rettungsdienst-Desaster in Leverkusen: Wie es geschah

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Die Verantwortung für einen Schaden jenseits von 50 Millionen Euro im Rettungsdienst liegt bei der Feuerwehr. Hier die Ampel an der Ecke Edith-Weyde-Straße/Willy-Brandt-Ring.

Die Verantwortung für einen Schaden jenseits von 50 Millionen Euro im Rettungsdienst liegt bei der Feuerwehr. Hier die Ampel an der Ecke Edith-Weyde-Straße/Willy-Brandt-Ring.

Das Rechnungsprüfungsamt hat die Affäre um die nicht abgerechneten Gebühren und den gigantischen Schaden aufgearbeitet. Das Urteil ist vernichtend.

Leverkusens Feuerwehr hat die Finanzkatastrophe beim Rettungsdienst zu verantworten. Zu diesem Ergebnis kommt das Rechnungsprüfungsamt in der Stadtverwaltung. Der Bericht liegt dem „Leverkusener Anzeiger“ vor.

Nur ein einziges Mal, seit die Feuerwehr für das Thema zuständig war, hat sie die Kosten für den Rettungsdienst ermittelt, das war 2022. Dabei hatte der Stadtrat ein Jahr zuvor beschlossen, dass die Kalkulation jedes Jahr gemacht werden muss. Diese Anweisung wurde „über mehrere Jahre weitgehend unbeachtet gelassen“, so die Prüfer. Das Ergebnis sei ein Schaden von mehr als 50 Millionen Euro. „Dieser Betrag ist unwiederbringlich verloren.“

Eine Abfolge von Versäumnissen

Eine Chronologie listet alle Versäumnisse und Probleme auf. Im Mai 2018 geht das Thema Rettungsdienstgebühren von der Kämmerei zur Feuerwehr über. Das wird auch in der Verwaltung thematisiert. Klar ist: „Es ist ein hohes finanzielles Potenzial durch die Abrechnung der Rettungsdienstgebühren gegeben, welche teilweise die Refinanzierung der Stelle sichert.“

Doch bereits im Januar 2019 wird von „Arbeitsrückständen in der Rettungsdienstabrechnung“ berichtet, und dass sie sich vergrößern. Im Juli heißt es, dass es wegen des „bestehenden hohen und intensiven Arbeitsaufkommens“ im Jahr 2020 keine neue Gebührensatzung für den Rettungsdienst geben werde – aber 2021. Im Mai 2020 verweist die Kämmerei auf eine Tabelle mit „roten Zahlen“. Darin waren offenkundig die Abschlüsse der Jahre 2017, 2018 und 2019, sowie Prognosen für 2020 und 2021 enthalten.

Exakte Zahlen fanden die städtischen Rechnungsprüfer nicht: „Die angegebene Excel-Datei konnte im Rahmen der Prüfung nicht identifiziert werden.“

Seit 2021 interessiert sich die Politik

Im März 2021 interessiert sich erstmals die Politik für das Thema. Zu dieser Zeit ist von Außenständen die Rede, die im Vergleich zum jetzigen Befund klein wirken: 7,5 Millionen Euro. Indes fordert die SPD-Fraktion im Stadtrat zwei weitere Stellen in der Feuerwehrverwaltung, damit die ausstehenden Forderungen schneller bearbeitet werden können. Falls man keine Leute finde, sei „übergangsweise Personal in Form von Abordnungen bereitzustellen“. Gefordert wird auch, die Gebührensatzung vom Februar 2018 „umgehend zu überarbeiten“ und an die aktuell tatsächlich anfallenden Kosten anzupassen. Nur so könne „Klarheit in der Finanzierung des Leverkusener Rettungsdienstes geschaffen werden“.

Ferner soll die Stadtverwaltung in regelmäßigen Abständen über den Stand in der Sache berichten. Das geschieht aber nicht. Mitte Oktober 2021 äußert sich auch ein Mitarbeiter der Kämmerei, weil die Gebühren offenbar sinken: „Dies scheint mir sehr merkwürdig. Bitte kritisch prüfen, auch im Vergleich der Gebührenhöhe mit anderen Städten.“

Leider haben wir ja niemanden sonst, der sich in diesem Zahlenwerk überhaupt zurechtfindet.
Die Feuerwehr in einer internen Mail

Eine Mail der Feuerwehr von Anfang November 2021 liest sich erstmals wie ein Offenbarungseid: „Leider haben wir ja niemanden sonst, der sich in diesem Zahlenwerk überhaupt zurechtfindet.“ Daran hat sich zwei Jahre später offenbar nichts geändert: Die Feuerwehr bittet die Kämmerei um Unterstützung bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen. Die kommt aber nicht.

Der Bearbeitungsrückstand wird immer größer

Zwischendurch stellt die Kämmerei allein für 2022 ein Defizit von 4,8 Millionen Euro fest. Mit der Bearbeitung sei die Feuerwehr zehn Monate im Rückstand, berichtet Bau- und Feuerwehrdezernentin Andrea Deppe Stadtkämmerer Michael Molitor. Mitte August 2023 greift die SPD das Thema wieder auf, will wissen, wie es mit den Außenständen aussieht. Das Büro des Oberbürgermeisters berichtet daraufhin von etwa zwölf Monaten Bearbeitungsrückstand. Exakte Zahlen werden nicht genannt.

Zur selben Zeit interessiert sich auch die Kommunalaufsicht für das Thema. Die Stadtverwaltung muss einräumen, dass sie binnen zwei Jahren mit der Aufarbeitung der Rückstände nicht weitergekommen ist. Die von der Bezirksregierung geforderte Übersicht wird zurückgereicht, mit einer Stellungnahme von Andrea Deppe, in der sie die Komplexität und Probleme bei dem Thema beschreibt.

Im April 2024 schalten sich die Rechnungsprüfer ein

Ab April 2024 drängen auch die städtischen Rechnungsprüfer auf eine Lösung des Problems. Allerdings weitgehend erfolglos. Zunächst heißt es von der Feuerwehr, dass eine neue Satzung Ende 2024 vorliegen könne. Im Oktober ist dann vom Februar 2025 die Rede. Aber auch diese Deadline wird überschritten; erst im März ist eine neue Satzung entworfen, doch sie weist „grundlegende Fehler in den Abrechnungen früherer Gebührenjahre auf“, bilanzieren die Rechnungsprüfer.

Dabei will die Feuerwehr mit dieser Satzung die enormen Rückstände der Jahre 2018 bis 2023 von den Krankenkassen ausgeglichen haben. Sie geht von 25 Millionen Euro Rettungsdienstgebühren aus. Zuvor waren es zehn Millionen.

Aber die Kassen zeigen sich sperrig mit Blick auf die Tatsache, dass die Stadt Leverkusen jahrelang keine neue Gebührenkalkulation vorgelegt hat. Wenn man die Sache derart schleifen lasse, gälten Defizite „als gewollte Unterdeckungen und sind aus den allgemeinen Haushaltsmitteln zu tragen“ – also nicht von den Kassen. Das ergebe sich aus dem Kommunalabgabengesetz. Die Feuerwehr Leverkusen widerspricht dem im Mai dieses Jahres vehement. Allerdings weitgehend vergeblich.

Im Juni 2025 bietet sich der Gutachter an

Am 11. Juni meldet sich erstmals der externe Gutachter in der Stadtverwaltung, am 21. Juli wird Marvin Pötsch von der in Leverkusen ansässigen KAG-Consulting verpflichtet. Zehn Tage später beziffert er ein finanzielles Risiko, das weit über das hinausgeht, was bislang in der Stadtverwaltung kursierte: 44,6 Millionen Euro. Ende August äußert er sich umfänglich zum Thema „mögliche Dienstvergehen“ und schockiert Tage später mit der Aussage, dass das finanzielle Risiko für die Stadt mittlerweile bei 90 bis 100 Millionen Euro liegen könne.

Die Feuerwehr, so Pötsch, könne man aber nicht komplett für das finanzielle Desaster zur Verantwortung ziehen: So seien dort die Gebäudekosten für die Feuer- und Rettungswache an der Edith-Weyde-Straße nicht bekannt gewesen. Die aber kann man und muss man in die Gebühr einrechnen.

Trotzdem zieht Oberbürgermeister Uwe Richrath am 27. August die Reißleine: Er entbindet die für die Feuerwehr verantwortliche Dezernentin Andrea Deppe vom Dienstgeschäft. Nächsten Montag soll sie vom Stadtrat abgewählt werden.