Porträt FDP-KandidatChristian Lindner spricht über Kälbchen, Klima und eine Sackgasse

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Über Klimawandel, Mobilität und Umwege spricht Christian Lindner (M.) auf den Kürtener Höhen mit Guido Wagner (l.) und Sascha Wandhöfer.

Über Klimawandel, Mobilität und Umwege spricht Christian Lindner (M.) auf den Kürtener Höhen mit Guido Wagner (l.) und Sascha Wandhöfer.

Rhein-Berg – Als Christian Lindner zu Beginn der „1000 Schritte zur Bundestagswahl“-Tour erzählt, dass er als Kind ursprünglich gerne Landwirt geworden wäre, ahnt er nicht, dass ihn die Podcast-Wanderung am Ende noch genau dahin bringen wird.

Warum wir uns an einem Feldweg auf den Kürtener Höhen zwischen Weier und Petersberg treffen? „Weil ich das Bergische Land, meine Heimat, genau für diese Natur liebe“, sagt der FDP-Bundesparteichef und erzählt von seinem ersten Berufswunsch Bauer. Lindner lacht: „Also gut, ich war vier, aber die Liebe zur Natur ist geblieben.“

Lindner skeptisch über Bus und Bahn in Rhein-Berg

In Wermelskirchen aufgewachsen, trat Lindner bereits mit 16 in die FDP ein, war viele Jahre Kreisvorsitzender der Liberalen in Rhein-Berg. In diesem Wahlkreis tritt er nun auch erneut als Direktkandidat für die Bundestagswahl an.

Lindner ist mit dem Auto angereist. Öffentlicher Personennahverkehr sei auch unabhängig von seinem engen Terminplan „ein Abenteuer“, findet er und schätzt, dass man von Overath mit dem ÖPNV schneller in Frankfurt sei als in Wermelskirchen. Er hat recht, wie sich bereits im Faktencheck zur Podiumsdiskussion dieser Zeitung und Radio Berg gezeigt hat.

FDP will sich nicht auf Elektroantriebe festlegen

Benzin habe er nicht im Blut, widerspricht er früheren Selbsteinschätzungen: „Ich habe Freiheit im Blut. Ich würde mich da heute nicht mehr festlegen auf einen Antrieb, aber individuelle Mobilität finde ich in der Tat enorm wichtig.“ Reine Elektromobilität sei noch „nicht das Mittel der Wahl“, gerade im ländlichen Raum bedürfe es einer Vielfalt: Neben Elektromobilität im Kraftverkehr auch Wasserstoff bei Nutzfahrzeugen und synthetische, klimaneutrale Flüssigkraftstoffe für Verbrennungsmotoren. „Klimaschutz muss Teil einer Wachstums- und Fortschrittspolitik sein“, proklamiert der FDP-Chef.

Christian Lindner in seinem Wahlkreis.

Christian Lindner in seinem Wahlkreis.

Dass der Weg allmählich steiniger wird, stört Lindner auch in seinen feinen Lederschuhen nicht. „Wenn Sie das steinig nennen, kennen Sie keine steinigen Wege“, sagt er. Auch Morast auf der gesamten Breite des Weges hält ihn nicht auf. Lindner geht ein paar Schritte zurück.

Auch in der Politik manchmal einen Schritt zurück gehen

Geht der Politiker in einer Sackgasse auch schon mal zurück? „Das war jetzt aber eine so elegante Überleitung“, quittiert der FDP-Chef die Reporterfrage: „Das qualifiziert Sie für die Nachfolge von Markus Lanz.“ Spricht’s und und arbeitet sich dann an einer Pferdekoppel entlang wieder nach vorne: „Wie Sie sehen, gibt es immer auch noch eine weitere Lösung.“

Doch Lindner weicht der Frage nicht aus: „Mit dem Zurückgehen – das stimmt. Manchmal gibt es keinen direkten Weg zu einem Ziel. Für mich ist nicht immer nur wichtig voranzukommen, sondern auch Glaubwürdigkeit.“ So habe er auch bei den am Ende gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit CDU und Grünen 2017 in Berlin „einen Schritt zurückgehen“ müssen.

Auf- oder Umforstung wird benötigt werden

Das sei damals durchaus eine Stärke gewesen, findet Lindner. „Jetzt aber würden wir gerne einen Schritt vorangehen“, lässt der FDP-Chef keinen Zweifel daran, dass er in der nächsten Legislaturperiode gern mitregieren würde. Und dafür sieht er gute Chancen. Vor allem wenn Armin Laschet (CDU) den Regierungsbildungsauftrag erhalten würde. Den kennt er schließlich noch von der gemeinsam 2017 in Düsseldorf aufs Gleis gesetzten schwarz-gelben NRW-Landesregierung.

Direktkandidaten

Um das Direktmandat für den Bundestag im Wahlkreis 100/Rheinisch-Bergischer Kreis bewerben sich bei der Bundestagswahl am 26. September Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU), Kastriot Krasniqi (SPD), Christian Lindner (FDP), Maik Außendorf (Grüne), Dr. Harald Weyel (AfD), Isabelle Casel (Linke) , Uwe Wirges (Freie Wähler), Markus Blümke (Volt) und Helga Aufmkolk (Die Basis). (wg)

Es geht durch einen nach Trockenheit und Borkenkäferbefall abgestorbenen Fichtenwald. „Wir werden in Deutschland eine ganz breit angelegte Initiative benötigen zur Auf- oder besser Umforstung.“ Wegen der „unabweisbaren Klimafolgen“ werde man künftig andere Baumarten anpflanzen müssen, die mit den klimatischen Bedingungen besser umgehen könnten, prognostiziert der Politiker. Denn Wald sei nicht nur als Erholungsraum und zum Schutz vor Erosion wichtig, sondern binde auch eine Menge CO2 .

„Technologie-Weltmeister werden“

Was er angesichts des kaum noch haltbaren Ziels des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, vorschlägt? „Wir müssen Technologie-Weltmeister werden“, sagt Lindner. Das würde auch den Milliarden Menschen in anderen Ländern dieser Welt helfen, die „nicht auf Wohlstand verzichten können, weil sie keinen haben“. „Was wir brauchen, ist im industriellen Maßstab Technik die Klima schützt.“

Kindheitserinnerungen: Als Vierjähriger wollte Lindner Bauer werden.

Kindheitserinnerungen: Als Vierjähriger wollte Lindner Bauer werden.

Ein Beispiel: Ein Windpark auf Flößen vor der Küste, der direkt vor Ort Wasserstoff produziert. „Das plant übrigens ganz konkret BASF, um den Chemiepark in Ludwigshafen CO2 -neutral zu machen“, sagt Lindner.

Lindner ein paar mal pro Quartal im Bergischen

Klimaschutz also durch Innovation und ganz ohne Verbote? „Halt! Ich bin für ein Verbot,“ überrascht der Liberale: „Für das Verbot, zu viel CO2 auszustoßen.“ Es müsse festgelegt werden, wie hoch das verbleibende Budget an CO2 -Emissionen sei, das noch ausgestoßen werden dürfe, und wer daran einen Anteil haben wolle, müsse dafür bezahlen. Das gebe Anreize, CO2 -neutrale Technologien zu entwickeln oder CO2 zu speichern, etwa in Form von Wald, denn dann bekomme man aus dem System etwas ausgezahlt, erläutert er.

Im Gespräch: Lindner (r.) mit Landwirt Hans-Georg Theunissen (l.).

Im Gespräch: Lindner (r.) mit Landwirt Hans-Georg Theunissen (l.).

Ein paarmal im Quartal, so erzählt Lindner, schaffe er es heutzutage noch ins Bergische: „Ich habe hier Freunde und Familie. Und: Meine politische Basis ist hier.“ Der Blick schweift übers Kürtener Schulzentrum. Die Gemeinde weiß nicht, wie sie die Sanierung von mehr als 60 Millionen Euro stemmen soll.

An Schulen Respekt vor Kindern und Jugendlichen ablesen

Ist Politik nach der Pandemie und den dadurch entstandenen Lasten ohne Steuererhöhungen möglich? „Ja“, sagt Lindner. „Wir brauchen Investitionen von Privaten.“ Städte und Gemeinden müssten durch eine neue Reform der deutschen Finanzverfassung entlastet werden, und der Bund müsse sich stärker engagieren bei der Modernisierung des Bildungswesens. Das gelte auch für die Kürtener Schulsanierung. „Man muss am Schulgebäude den Respekt vor Kindern und Jugendlichen ablesen können“, findet Lindner ganz grundsätzlich.

Kandidaten-Podcast

„1000 Schritte zur Bundestagswahl“: Spaziergänge, bei denen Redaktionsmitglieder mit den Direktkandidaten der im Bundestag oder Rhein-Bergs Räten vertretenen Parteien über ihren Weg in die Politik, ihre Ziele und Arbeit sprechen, kann man im Internet kostenlos anhören und herunterladen – im Podcast von Bergischer Landeszeitung, „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Radio Berg.

Am landwirtschaftlichen Betrieb von Hans-Georg und Sohn Niklas Theunissen biegen wir spontan ab. Der FDP-Chef geht auf die Kälbchen zu. Kindheitserinnerungen. „Wenn ich mal älter und nicht mehr so beruflich eingebunden bin, wäre mein Lebenstraum ein kleiner Nebenerwerbshof mit Hühnern und Eier für mich und meine Familie“, bekennt er. Familie? „Ja, das ist nicht nur vorstellbar, sondern auch wünschenswert, aber generell will ich lieber durch Ergebnisse überzeugen und nicht durch Ankündigungen.“

Lindner kann sich Finanzministerium vorstellen

Landwirt Hans-Georg Theunissen kommt schnell mit dem Politiker ins Gespräch. Zum Beispiel über die Düngeverordnung. „Wir haben ganz viele bürokratische Vorgaben, die weit entfernt sind von wissenschaftlicher Erkenntnis“, weiß Lindner. „Mir machen vor allem die Zukunftschancen der nachfolgenden Generation Sorgen“, sagt Hans-Georg Theunissen mit Blick auf Sohn Niklas.

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Lindner verspricht, dass Theunissen ihn auch in Berlin ansprechen könne. Finanzminister – das Amt könnte sich Lindner dort in einer neuen Regierung schon gut vorstellen. „Wenn Ideen von uns dabei sind: zum Beispiel Schuldenbremse erhalten, keine Steuererhöhung, Investitionen anschieben.“ Was daraus wir, wird sich nach dem 26. September zeigen.

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