Sechs Milliarden Euro Rückstellungen hat RWE Power gebildet, um die Renaturierung des Braunkohlereviers zu finanzieren. Das Projekt wird frühestens im Jahr 2100 abgeschlossen sein.
Rheinisches Revier nach KohleausstiegVater Rhein muss das Grundwasser retten

Der Tagebau Hambach im Jahr 2030: Über Kaskaden an der Porta Sophia bei Elsdorf soll das Rheinwasser 40 Jahre lang unaufhörlich aus dem Einleitbauwerk in die Grube fließen.
Copyright: Visualisierung: ZRR
Die Aussichtsplattform am Tagebau Hambach, ein knallroter Betonklotz mitten im Rheinischen Braunkohlerevier, können Graffitis, Tags und Aufkleber nicht noch mehr verschandeln. Wer sie erklimmt, bekommt eine Ahnung von dem gigantischen Ausmaß dieser Mondlandschaft, die sich ab 2030 innerhalb von 40 Jahren in einen der größten Seen Deutschlands verwandeln soll. 36 Quadratkilometer groß, der tiefste Punkt bei 411 Metern.
Die Jugend hat den Ort längst in Beschlag genommen. Vor allem an Spätsommer-Abenden. Er ist ideal für Partys. Hier stört sie kein Mensch, hier gibts keinen Stress. Es ist der perfekte Platz zum Abhängen.
Von diesem Gemütszustand ist die Expertengruppe, die an diesem Dienstagvormittag von der Plattform auf die größte Landschaftsbaustelle Europas blickt, so weit entfernt wie der Kontinent vom Einhalten der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Doch eben genau darum geht es.
Alles zum Thema RWE
- Tagebau Hambach Polizei beendet Besetzung des Schaufelradbaggers
- Erneuerbare Energien RWE darf Windpark im Ärmelkanal bauen
- Neuer Rosamunde-Pilcher-Film „Ich bin voll in den Kölner Karneval geboren“
- Schrittweiser Hausverkauf RWE startet im Herbst 2025 Verkauf von Häusern in Braunkohle-Dörfern
- Überschwemmung Bedburger räumen nach dem schweren Unwetter ihre Häuser auf
- Der letzte Zug der Kleinbahn Vor 60 Jahren ging in Wahnheide ein Stück Schienenverkehrs-Geschichte zu Ende
- Wirtschaftsverbrechen Säure-Anschlag auf Topmanager – Neue „interessante Spur“
Und zwar nicht bloß hier, im Tagebau Hambach. Sondern auch in den benachbarten Tagebauen Garzweiler und Inden, die in einem Einzugsgebiet von knapp 5000 Quadratkilometern mit den Kreisen Düren und Euskirchen, Heinsberg und Rhein-Erft, dem Rhein-Kreis Neuss, der Städteregion Aachen und der Stadt Mönchengladbach liegen. Ein Gebiet, in dem 2,5 Millionen Menschen leben, 15 Prozent der Einwohner von Nordrhein-Westfalen.
Indesee wird mit Rur-Wasser befüllt
Der Strukturwandel des Rheinischen Reviers hat viele Facetten. Es geht um die Sicherheit der Energieversorgung, die durch den Bau neuer wasserstofffähiger Gaskraftwerke längst auf dem Weg sein müsste, aber wegen fehlender Grundsatzentscheidungen der alten und der neuen Bundesregierung bei RWE Power bloß als fertige Pläne in der Schublade liegen. Es geht um die Transformation alter Industrien und Ansiedlung neuer Unternehmen, die durch die angekündigte Drei-Milliarden-Investition von Microsoft in den Bau von drei Großrechenzentren in Bedburg, Bergheim und Elsdorf schon für Aufbruchstimmung gesorgt hat.

Sie haben bald ausgedient: 2030 wird die Förderung im Tagebau Hambach eingestellt.
Copyright: imago images/Alice Dias Didszoleit
An diesem Dienstag geht es ums Wasser. Um „Wasser im Wandel in einer Region im Aufbruch“, wie es der Erftverband formuliert. „An dieser Stelle, wo jetzt noch die Plattform steht, werden ab 2030 pro Sekunde 14 Kubikmeter Rheinwasser aus einem neuen Auslauf-Bauwerk über mehrere Kaskaden den Tagebau fluten“, sagt Boris Linden, Geschäftsführer der Neuland Hambach GmbH. Und das über einen Zeitraum von 40 Jahren. „Plus vier Kubikmeter Sümpfungswasser.“ So nennen Bergleute das Grundwasser, das zum Trockenhalten der Tagebaue abgepumpt werden muss.
„Das Rheinwasser wird über Rohrleitungen mit einem Durchmesser von 2,20 Meter von Dormagen über Grevenbroich bis zu uns geleitet“, sagt Linden. In Grevenbroich sollen zwei kleinere Leitungen zum Nachbartagebau Garzweiler abzweigen. Dessen Befüllung steht erst ab 2036 auf dem Plan. Der deutlich kleinere Indesee soll mit Wasser aus der Rur befüllt werden.
Die Zeitalter, in der sich die Region bis zum Jahr 2070 in eine Seen-Landschaft mit hohem Freizeitwert entwickeln soll, beginnt in rund vier Jahren. Ob das gelingen wird, daran zweifelt in der Gruppe niemand. Ob der Rhein das mitmacht? Über so einen langen Zeitraum? Wo es doch jetzt schon immer wieder extremes Niedrigwasser gibt, dass die Schifffahrt behindert?

Ein Feuchtgebiet von Menschenhand: die renaturierte Schwalm im Naturpark Schwalm-Nette.
Copyright: ZRR
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Klima habe sämtliche Szenarien durchgespielt, sagt Linden. Das Ergebnis: Selbst bei einem ungebremsten Klimawandel mit langen Trockenperioden und Extremwetter-Ereignissen, die immer häufiger auftreten, werde sich das Befüllen „nur um wenige Jahre verlängern“. Aus dem Rhein werde in Dormagen abhängig vom Pegelstand weniger als ein Prozent der Abflussmenge entnommen.
Wir gehen davon aus, dass wir schon 2040 einen Teil des Hambach-Sees nutzen können
„Das ist der Wissensstand, den wir heute haben“, so Linden. „Auf dieser Grundlage müssen wir planen. Am Ende des Tages ist die Zukunft aber immer ungewiss. Wir gehen davon aus, dass wir 2040, also zehn Jahre nach dem Beginn der Befüllung, einen Teil des Sees schon nutzen können.“ Drei See-Zugänge seien schon in Planung.
Bei der Rekultivierung dieser Mondlandschaft werde sich RWE nicht aus der Verantwortung stehlen, beruhigt Gero Vinzelberg, Chef der wasserwirtschaftlichen Planung bei RWE Power. Die bergbauliche Aufsicht bei der Bezirksregierung Arnsberg werde den Konzern nicht aus der Pflicht nehmen, „bis das erledigt ist“.
Der Hambach-See ist wichtiger Teil des Rekultivierungskonzeptes, auf das sich RWE bei der Eröffnung aller Tagebaue in den 1970er Jahren verpflichtet hat. Das bedeutet auch, den alten Grundwasserspiegel im Kohlerevier wieder herzustellen.
„Das gilt auch für Hambach und Inden. Die werden einmal gefüllt und anschließend hoffen wir, dass nicht zu viel verdunstet. Sie müssen wieder mit dem natürlichen Grundwasser-System verbunden sein. Wir wollen hier ein sich selbst regulierendes System hinterlassen“, so Vinzelberg. Für die Rekultivierungen habe man sechs Milliarden Euro an langfristigen Rückstellungen gebildet. „Die enden nach dem Jahr 2300. Wir müssen hier sehr langfristige Aufgaben erledigen.“
Feuchtgebiete werden seit den 1990er Jahren künstlich bewässert
Der Ausmaße sind gigantisch, schließlich wurde das Grundwasser im Rheinischen Revier seit den 1950er Jahren lokal um bis zu 400 Meter abgesenkt, um die Tagebaue trocken zu halten. Mit der Folge, dass in einem Gebiet von etwa 3000 Quadratkilometern, das sind ungefähr zehn Prozent der Fläche von NRW, der Grundwasserspiegel immer weiter gesunken ist. „Ungefähr 2035 werden wir beispielsweise bei Erkelenz den tiefsten Stand erreicht haben“, sagt Stefan Simon, Grundwasser-Experte beim Erftverband. „Wenn wir mit der Seefüllung beginnen, wird es sehr schnell und deutlich wieder ansteigen.“
Um die Feuchtgebiete im Naturpark Schwalm-Nette zwischen Mönchengladbach und Niederkrüchten zu schützen, hat RWE in den 1990er Jahren damit begonnen, sie im Nordraum des Tagebaus Garzweiler über ein 160 Kilometer langes und weit verzweigtes Leitungsnetz aus zwei Wasserwerken in Jüchen und Wanlo mit aufbereitetem Sümpfungswasser aus dem Tagebau zu stützen. Pro Jahr wird mehr Wasser infiltriert, als die Millionenstadt Köln im Jahr an Trinkwasser verbraucht.
Nach dem Kohleausstieg 2030 muss das Sümpfungs- durch Rheinwasser ersetzt werden. Grundsätzlich sei es geeignet, sagt Simon. Derzeit werde geprüft, ob über das Ausfiltern von Schwebstoffen eine weitere Aufbereitung erforderlich sei. Die Experten gehen davon aus, dass der Grundwasserspiegel im Rheinischen Revier um das Jahr 2100 wieder das Niveau des Jahres 1950 erreicht haben wird.
„Seit den 1990er Jahren gilt der Grundsatz, dass die gesamte Region nicht schlechter gestellt wird, als hätte es den Tagebau nie gegeben“, sagt Dietmar Jansen. Leiter des Gewässer-Bereichs beim Erftverband. „Wir achten sehr genau darauf, dass hier nicht alles nach Bergbau-Interessen läuft.“