Region – Im schnellen Lauf überquert der Rothirsch die Brücke. Er läuft durch das hohe Gras, Büsche und Sträucher säumen seinen Weg. Von den Autos und Lkw, die unter ihm über die A3 bei Köln-Königsforst brausen, bekommt der Hirsch nicht viel mit - eine graffiti-beschmierte Schutzwand fängt einen Großteil des Lärms ab. Weniger in Eile sind eine Bache und ihre Frischlinge. Die Wildschweine lassen sich auf dem Weg von der einen auf die andere Seite gemächlich das frische Gras schmecken.
Die Grünbrücke über der A3 ist eine von insgesamt zehn in ganz Nordrhein-Westfalen, die neueste an der Autobahn 61 südlich des Kerpener Kreuzes wird gerade fertiggestellt. Sie soll, wie die anderen Bauwerke auch, die Überlebenschancen der heimischen Arten fördern. Vor allem zur Paarungszeit gehen viele Tiere auf Wanderschaft, längst nicht alle erreichen am Ende ihr Ziel. Etwa 221 000 Hirsche, Wildschweine und andere Wildtiere kommen nach BUND-Schätzungen jedes Jahr auf Deutschlands Straßen ums Leben.
Ob Wildkatze, Fuchs oder Igel - viele Tiere leben in isolierten Arealen, überall zerschneiden Autobahnen, Bundes- und Landstraßen ihre Lebensräume. Die Tiere können keine neuen Gebiete mehr erobern, ein genetischer Austausch mit Artgenossen anderer Populationen findet nicht mehr statt. Die Folgen: Inzucht und eine höhere Anfälligkeit für Krankheiten. Biologen sprechen von einer Gefahr für die Artenvielfalt.
Um vor allem die Überlebenschancen der hier beheimateten Tiere zu erhöhen, werden in Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren nun spezielle Querungshilfen unter und über die Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen gebaut. Die Kosten für Grünbrücken - für ein etwa 50 Meter breites Bauwerk werden im Schnitt bis zu fünf Millionen Euro fällig - an Bundesautobahnen und -straßen trägt dabei grundsätzlich der Bund, Brücken über Landesstraßen finanziert das Land. Die Grünbrücke über der A3 wurde aus Mitteln des Konjunkturpakets II finanziert. Während für Amphibien, beispielsweise Frösche und Kröten, oftmals kleine Tunnelanlagen konzipiert werden, nutzen vor allem größere Tiere die Grünbrücken über den Autobahnen - auch in den anderen Bundesländern und im EU-Ausland gibt es solche Querungshilfen.
Die Grünbrücke über die Landesstraße 361n ist 30 Meter lang und 60 Meter breit. Sie wurde im Jahre 2003 eingeweiht und verbindet die rekultivierten Gebiete des ehemaligen Braunkohletagebaus Fortuna-Garsdorf mit der Erftniederung zwischen Bergheim-Glesch und Paffendorf sowie mit der Börde in Richtung Elsdorf. Die Brücke südlich des Segelflugplatzes Bergheim wurde vom Landesbetrieb Straßenbau im Zuge des Ausbaus der L 361n errichtet und hat vor zwölf Jahren knapp 900 000 Euro gekostet.
Vor allem Rehen, Füchsen, Mardern, Igeln, Mäusen, Maulwürfen und Eichhörnchen bietet die Brücke die Möglichkeit, die vielbefahrene Landesstraße gefahrlos zu überqueren. (nk)
Für erhebliche Diskussionen in der Region sorgte die am 20. Dezember 2012 bei Nettersheim-Engelgau an der A 1 eröffnete Wildbrücke Heinzenberg. Sie verbindet große Waldgebiete. Um die Brücke als Passage auch für das Rotwild und Wildkatzen attraktiv zu machen, wurde sie mit einer Breite von 50 Metern errichtet und oben artgerecht begrünt. Das Vorhaben schlug mit 3,5 Millionen Euro zu Buche. Architektonisch handelt es sich um eine europaweit einzigartige Konstruktion in Hybridbauweise aus Holz und Beton. Wenige Tage nach der Eröffnung nutzten Rehe, Füchse und Feldhasen den Öko-Korridor, nach einigen Wochen kamen die ersten Hirsche. Auch Baummarder, Waschbären und Wildkatzen sind belegt. (fa)
Die beiden hintereinander liegenden Grünbrücken über A 3 und L 284, die Ende 2013 in Betrieb gingen, verbinden die Wahner Heide mit dem Königsforst. Finanziert wurden sie großenteils aus dem Konjunkturpaket II, mit dem der Bund die Rezession im Winter 2008/09 abmildern wollte. Die hohen Kosten von zehn Millionen Euro, von denen die Stadt Köln vier Millionen trug, sind zu Beginn in der Bevölkerung auf erheblichen Widerstand gestoßen. Angelegt wurden die Grünbrücken auf einem alten Wildwanderweg. Gedacht sind sie vor allem für Rotwild. Genutzt wird die Querung aber auch von Wildschweinen. Zudem wurden für Schlingnatter und Zauneidechsen auf halber Strecke Schlupfwinkel angelegt. (RHn)
Die Brücke ist 43 Meter lang und 37 Meter breit. Sie wurde Ende 2012 im Zuge der A-4-Verlegung in Betrieb genommen und hat rund zwei Millionen Euro gekostet. Die Brücke auf dem Gebiet von Kerpen-Dorsfeld dient zusammen mit der Grünunterführung unter der L 477n den dort zahlreich lebenden Amphibien und anderen Tieren, um den Weg vom Waldgebiet bei Geilrath in das Waldgebiet Steinheide zu ermöglichen. Fachleute zählten in dem Gebiet sieben Amphibienarten. Im Zusammenhang mit der Brücke wurden erstmals auch „Fledermausüberflughilfen“ wie zum Beispiel die Bechsteinfledermaus an einer Autobahn montiert, die den Zusammenstoß der Tiere mit Fahrzeugen verhindern helfen sollen. (nk)
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Dank der Brücken können die wildlebenden Tiere stark frequentierte Verkehrswege wieder gefahrlos überqueren. Auch Vögel, beispielsweise Mäusebussarde, überfliegen sie - sie orientieren sich an der Bepflanzung. Die richtet sich übrigens nach den Anforderungen der Tiere, auch der Standort der Brücken wird sorgfältig ausgewählt. Hier arbeiten Umwelt- und Verkehrsministerium in NRW eng zusammen. Bau und Instandhaltung der Brücken sind Aufgabe von Straßen.NRW.
Aber nehmen die Tiere die Brücken auch an? "Das geht relativ schnell", sagt Birgit Königs vom Naturschutzbund NRW. Der Wildwechsel wird wissenschaftlich untersucht, Fährten und Fraßspuren werden fotografiert und vermessen. Auf einigen Brücken dokumentieren Kameras das Wanderverhalten zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten. Laut dem Fachmagazin "Rheinisch-Westfälischer Jäger", der monatlichen Mitgliederzeitschrift des Landesjagdverbandes NRW, wurde auch die Grünbrücke über der A3 bei Köln schon wenige Tage nach ihrer Öffnung von Hirschen, Füchsen und Feldhasen angenommen.
Immer mal wieder zeigen Kameraaufnahmen aber auch Menschen, die Wildbrücken überqueren. Birgit Königs vom NABU NRW warnt davor: "Die Tiere sollen die Brücken ungestört nutzen können, um Autobahnen sicher überqueren zu können. Das ist aufgrund der normalen Fluchtdistanz gegenüber Menschen nicht mehr möglich, wenn diese auch regelmäßig von Menschen genutzt würden. Solche Brücken verlieren für Tiere an Wert."
Grünbrücken dienen übrigens nicht nur dem Artenschutz, sondern sollen vor allem auch die Zahl der Wildunfälle reduzieren. In NRW kam 2014 bei insgesamt 309 schweren Wildunfällen laut Innenministerium ein Mensch ums Leben – 72 Personen wurden schwer, 223 leicht verletzt. Mittlerweile prüft Straßen.NRW bei jeder Straßenplanung, ob der Bau von Tierquerungshilfen erforderlich ist.