ProjektKinder, allein im Netz

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Kleine Kinder sollten digitale Medien nur in Begleitung von Eltern nutzen.

Kleine Kinder sollten digitale Medien nur in Begleitung von Eltern nutzen.

Köln – Leon (Name geändert) zockte oft bis in die Nacht, ging nicht mehr zum Basketballtraining, war morgens müde und konnte sich in der Schule nicht konzentrieren. Die Schulleistungen wurden schlechter und unter dem Medienkonsum litt auch das Familienleben – das Thema führte zu immer mehr Konflikten. „Wenn die Mutter versuchte, die Nutzung einzuschränken, gab es nur Streit“, erinnert sich Alessa Schevardo an einen Fall aus ihrer Beratungsarbeit bei der Kölner Drogenhilfe. Leons Mutter machte sich auch Sorgen um die beiden jüngeren Kinder, vier und zwei Jahre alt, die die Bedeutung, die Fernseher und Computer im Leben des großen Bruders und der Familie spielte, natürlich wahrnahmen.

Vor dem Fernseher geparkt

Als Alleinerziehende war es für Leons Mutter oft nicht einfach, die Kinder zu beschäftigen, so dass der Fernseher häufig lief, wenn sie Dinge im Haushalt erledigen musste oder für ein paar Minuten Zeit für sich brauchte. „Das jüngste Kind war einmal bei dem Beratungsgespräch dabei, und als es anfing zu quengeln, nahm die Mutter ihr Smartphone aus der Tasche, gab es ihm und der Kleine war sofort still.“

Das Beispiel zeigt, wie stark digitale Medien den Alltag von Kindern und Eltern beherrschen. Denn viele Mädchen und Jungen sind schon im Kleinstkindalter fasziniert von der Welt der bewegten Bilder. Die Blikk-Medien-Studie, bei der im vergangenen Jahr knapp 5600 Eltern und deren Kinder befragt wurden, kam zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Kinder das Smartphone ihrer Eltern länger als eine halbe Stunde am Tag nutzen. Die Autoren der Mini-Kids-Studie fanden heraus, dass Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren täglich 30 Minuten, im Alter von vier bis fünf Jahren 45 Minuten fernsehen.

Viel zu viel, sind sich Experten einig. Fazit der Blikk-Studie ist, dass die intensive Mediennutzung von Kindern zu Sprachentwicklungsstörungen und motorischer Hyperaktivität führen könne. Der richtige Umgang mit den digitalen Medien habe einen „durchaus berechtigt hohen Stellenwert in Beruf und Gesellschaft eingenommen“, sollte aber „frühzeitig kontrolliert und geübt werden“, sagt Rainer Riedel, Direktor des Instituts für Medizinökonomie und medizinische Versorgungsforschung der Rheinischen Fachhochschule Köln. Riedel ist einer der Organisatoren der Blikk-Studie.

Das Kölner Projekt „Smart Kids“, eine Initiative der von „wir helfen“ unterstützten Drogenhilfe Köln um Alessa Schevardo, will nun den Medienkonsum von Kindergarten-Kindern in den Fokus nehmen. Einerseits sollen Fachkräfte aus Kindertagesstätten geschult werden. Andererseits sollen Eltern über mögliche gesundheitliche Schäden durch intensives „Medien-Parken“ im Kleinkindalter informiert werden.

Sprache und Motorik leiden

Wenn Kinder zu viel Zeit mit dem Handy oder anderen technischen Geräten verbringen, dann laufen sie Gefahr, andere Dinge wie kreative Spiele oder auch das Gespräch mit anderen Kindern oder Eltern zu vernachlässigen. Beim Medienkonsum werden nur die visuellen Fähigkeiten geschult, alle anderen vernachlässigt. Es leidet etwa die Kompetenz, Probleme zu lösen, es leiden Sprache und Motorik. In den Vorträgen könnten Eltern zum Beispiel lernen, dass Kinder unter drei Jahren überhaupt keine neuen Medien nutzen sollten. Denn wer vor dem Bildschirm klebt, hat keine Zeit zu spielen und verpasst damit die Chance, im Spiel zu lernen.

Ein Märchen der Werbeindustrie

Stattdessen sollten Eltern den Fokus auf kreative Spiele lenken. Kindern, die bereits an den Fernseher, den Computer oder ans Handy gewöhnt sind, sollten zum Beispiel zeitliche Grenzen aufgezeigt werden. „Wir wollen elektronische Medien nicht verteufeln“, sagt Schevardo. Es gebe aber keine Studien, die zeigten, dass der Medienkonsum für kleinere Kinder von Vorteil wäre. Die oft beschworene digitale Kompetenz sei ein Märchen der Werbeindustrie.

Noch steckt „Smart Kids“ selbst in den Kinderschuhen: Bereits mit sieben Kindertagesstätten ist das Projekt im Gespräch, weitere sollen folgen. Als erstes will Schevardo mit den Erzieherinnen analysieren, welche Informationen in den Vorträgen oder Flyern an Erzieher und Eltern weitergegeben werden sollen.

Für den Start will sich „Smart Kids“ auf Köln beschränken. „Später wollen wir bundesweit agieren.“ Vorstellbar sei auch, Informationen für Eltern und Erzieher ins Internet zu stellen. Finanziert wird das Projekt allerdings zunächst nur für ein Jahr von der Rhein-Energie-Stiftung und der Stiftung „Ein lachendes Herz“. Schevardo ist zuversichtlich, dass es auch für das Jahr 2019 finanzielle Unterstützung geben wird. Geldgeber werden aber noch händeringend gesucht.

So können Eltern bei der Mediennutzung helfend zur Seite stehen

Regeln festhalten: Jüngere Kinder sollten ein tägliches Maß Medienzeit nicht überschreiten (vier bis sechs Jahre: bis zu 30 Minuten pro Tag, zehn Jahre: bis zu 45 Minuten pro Tag, elf bis 13 Jahre: bis zu 60 Minuten pro Tag). Computer oder Konsole braucht ein Grundschulkind noch nicht im Zimmer. Ein Handy empfehlen Experten ab neun Jahren. Bei älteren Kindern können Eltern zusammen mit ihnen ein wöchentliches Zeitkontingent für Internet, Fernsehen und Handy festlegen. Die Regeln sollten verbindlich vereinbart und in einem Mediennutzungsvertrag festgehalten werden.

Verstehen statt verbieten: Soziale Netzwerke und mobile Messenger sollten nur vorübergehend verboten werden, da sie oft wichtig sind für soziale Kontakte der Kinder und Jugendlichen.

Vorbild sein: Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen und TV, Handy und Computer öfter mal abschalten. Experten empfehlen einen gemeinsamen Medien-Fastentag pro Woche.

Infoquelle nicht Zeitvertreib: Kinder sollten Medien nicht gegen Langeweile einsetzen und lernen, dass das Internet ein Werkzeug ist für die Erreichung von Zielen, nicht aber Zweck an sich.

Hilfe suchen: Gibt es Anhaltspunkte für eine „Mediensucht“ bei ihren Kindern oder führen die Medien zu Konflikten, sollten Eltern sich beraten lassen. (kro)

www.mediennutzungsvertrag.de

www.surfen-ohne-risiko.net/netzregeln

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