Reif für die Insel

Lesezeit 4 Minuten
Ausgedehnte Dühnenlandschaften auf Spiekeroog

Ausgedehnte Dühnenlandschaften auf Spiekeroog

Wo die Teezeiten heilig und Touristen willkommen sind: ein Besuch auf der Insel Spiekeroog.

Nicht auszudenken, wie kopflos sich ihre Liebhaber geben würden, wäre sie sanft und anschmiegsam. Aber das ist sie nicht. Dennoch ist die Zahl derer, die ihr verfallen sind, beachtlich. Manche haben ein seltsames Glitzern in den Augen, wenn sie von ihr erzählen: Spiekeroog, eine der ostfriesischen Inseln, die wie eine Kette vor der deutschen Küste liegen: Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Wangerooge - und eben Spiekeroog.

Ja, sie „springt dich an“, wenn du dich auf sie einlässt, obwohl ihre Reize auf den ersten Blick nicht überwältigend sind. Die Wege zum Strand sind weit, pulsierendes Nachtleben gibt es nicht, Autos auch nicht, selbst Fahrräder sind den Insulanern suspekt, und das einzige Dorf, das seit 1600 unverändert an der gleichen Stelle liegt, hat sich erfolgreich gegen allzu große Veränderungen zur Wehr gesetzt. Nicht einmal die Naturgewalten haben es geschafft, dem Örtchen, in dessen Zentrum die älteste Kirche der sieben Ostfriesen-Inseln steht, die Existenz streitig zu machen.

Prominente, die hierherkommen, wollen vor allem eins: in Ruhe gelassen werden. Ex-Bundespräsident Johannes Rau verbringt in einem bescheidenen Haus am Dorfrand seine Inselferien. Schauspieler Manfred Krug gehört zum Promi-Zirkel, Bremens Bürgermeister Henning Scherf und ein paar Kicker von Werder Bremen.

Wer die schönen Seiten Spiekeroogs aufzählt, der wird ausschweifend, denn er zappelt bereits im Netz dieser ostfriesischen Sirene. Die Insel ist im Gegensatz zu ihren Nachbarn eine grüne Insel mit uralten Bäumen, die der Wind in Form gepresst hat, mit einer erstaunlichen Vegetation in der weiten Dünenlandschaft, die trotzig dem rauen Klima die Stirn bietet. In den Mulden der Dünen ergießen sich im Frühsommer Blütenmeere. Von unendlicher Weite ist die Ostplate der Insel, das, so sagt man, größte Salzwiesen-Gebiet der deutschen Küste. Augen und Sinne genießen grenzenlos, und auf diesem wasserumspülten Fleck mit seinen rund 800 Einwohnern ist es noch möglich, Watt-Spaziergänge ohne Touristentrubel zu genießen. Das hält niemand für möglich, der auf der vollen Fähre die Überfahrt erlebt hat und sich im Stillen fragt, ob sich die vielen Gäste nicht gegenseitig auf die Füße treten werden. Sie tun es nicht. Kaum angekommen, verteilen sie sich auf wundersame Weise, um erst bei der Rückfahrt wieder als Pulk an Deck zu klettern. Gelegentlich trifft man sich, etwa im „Old-Laramie“, In-Treff und Musik-Café. Aber „um Gottes willen keine Disco“, wehrt Besitzer Dirk Nannen ab, um „tausend Ecken verwandt mit Henri Nannen“, dem einstigen „Stern“-Chef. Von legendärem Ruf ist der Café-Begründer, Eddi von Laramie, dessen Grab auf dem Inselfriedhof immer noch von Gästen besucht wird. Eddi war Westfale, Vertreter von Küchengeräten, und brachte die ersten Fritteusen unters Volk. Als er genug hatte vom Geschäft mit Quirl & Co. wurde er Aussteiger: Im alten Café Westend von Spiekeroog nistete er sich ein, das seit der verheerenden Flut 1962 brachlag. Dort, am westlichen Zipfel, stand vor rund 100 Jahren das erste Warmbad für Gäste, die - welch Luxus - in Wannen mit erwärmtem Meerwasser tauchen konnten. Die Nazis nutzten das Bad als Abfertigungsgebäude für den nahen Flugplatz. Heute trifft man sich zu Kaffee und Kuchen am Nachmittag, Musik und Billard am Abend. In der touristenarmen Zeit kommen auch die Einheimischen ins Laramie zu Dirk Nannen und trinken bei ihm Sanddornschnaps.

Spiekeroog hat nach wie vor eine beachtliche Zahl alter Insel-Familien, obwohl Bauboom und Investoren vom Festland die Preise für Immobilien beachtlich in die Höhe getrieben haben. Die Insulaner haben sich ihre Rückzugsgebiete erhalten - vor allem in den Traditionsclubs. Man trifft sich im Jagdclub, weil auf der Insel Rehe, Fasane und Hasen geschossen werden. Im Segelclub bleibt man unter sich und vor allem im Verein der Klootschießer, einer Spielart des Bosselns, bei der große und kleine Kugeln über kilometerlange Strecken geworfen und geschleudert werden. Heilig sind den Insulanern die Teezeiten um 11 und 17 Uhr. Und sie genießen die „Delikatessen vom Fischkutter“: Scholle, Seezunge und Krabben.

Bei aller Traditionsliebe: Touristen werden längst nicht mehr als Eindringling empfunden, den man am liebsten aufs Festland zurückwünscht, vorausgesetzt er lässt sein Geld auf der Insel. Ein Erbe vielleicht aus alten Inseltagen, als man von Strandpiraterie und Walfang lebte, der die Insulaner bis weit hinter Grönland verschlug. Das harte Leben prägte die Menschen und formte die Insel zu dem, was sie ist: eine herbe verführerische Schöne.

KStA abonnieren