Debatte um LangzeitstrategieWie geht es weiter nach dem harten Lockdown?

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Bekam für seine Studie viel Gegenwind: Hendrik Streeck

Bekam für seine Studie viel Gegenwind: Hendrik Streeck

  • Bis zum 10. Januar gilt nun der bundesweit härtere Lockdown. Die Virologen Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck fordern erneut eine längerfristige Strategie zur Viruseindämmung, bei der der Schutz von Risikogruppen im Vordergrund stehen sollte.
  • Andere Virologen sehen reine Forderungen nach einem Strategiewechsel hingegen als wenig zielführend.
  • Lesen Sie hier die Hintergründe.

Deutschland steckt im bundesweiten Lockdown: Kurz vor Weihnachten wird Alltags- und Wirtschaftsleben erneut heruntergefahren, Schulen schließen, nur noch Läden zur Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten dürfen öffnen. Vorerst gelten die verschärften Corona-Maßnahmen bis zum 10. Januar. Aber was kommt danach?

Die Ansätze unterscheiden sich nicht nur unter Politikern – auch Virologen fokussieren an unterschiedlichen Stellen, wenn es um die langfristige Strategieausrichtung in der Pandemie geht.

So fordern die Wissenschaftler Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck erneut einen grundsätzlichen Strategiewechsel mit einer baldigen Abkehr von Lockdown-Maßnahmen und mehr Tests in Pflegeeinrichtungen. Virologen wie Christian Drosten und Isabella Eckerle kritisieren diese Forderung – solange sie das aus ihrer Sicht notwendige Drücken der Fallzahlen in der Gesamtbevölkerung nicht in den Blick nimmt.

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Schmidt-Chanasit und Streeck: Lockdowns sind keine langfristige Strategie

Umgehend nach den Verkündungen von Bund und Landesministern forderte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin mehrmals, jetzt umgehend längerfristige Strategien für die Pandemiebekämpfung in diesem Winter zu entwickeln. Angesichts der Vielzahl täglicher Todesopfer und der weiterhin hohen Anzahl positiv Getesteter sei das dringend notwendig. Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck machte das am Montag deutlich, als er auf Twitter schrieb: „Der Lockdown allein ist noch keine Strategie. Wir sollten aufhören, lediglich Infektionszahlen zu verwalten.“ Bei einer Corona-Langzeitstrategie müssten insbesondere die Risikogruppen gezielt und damit besser geschützt werden.

Der Lockdown über Weihnachten reiche nicht aus, sagte auch Schmidt-Chanasit am Dienstag im „ZDF-Morgenmagazin“. „Damit verschiebt sich das Problem nur um einige Wochen.“ Sobald die Infektionszahlen wieder stiegen, müsse der nächste Lockdown folgen. Das dürfe jedoch nicht das Ziel sein. Es brauche dauerhaft niedrige Infektionszahlen. In diesem Punkt sind sich Virologen und Zahlenkenner auch weitgehend einig. Allerdings sagt Schmidt-Chanasit, dass dafür die verschärften Corona-Maßnahmen ein denkbar ungeeignetes Mittel seien.

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Ähnliches äußerte er bereits am Sonntagabend nach der Verkündung von Merkel und den Landesministern im ARD-„Brennpunkt“. Es brauche zwar jetzt diese Notbremse, räumte Schmidt-Chanasit ein. Der Lockdown sei aber keine nachhaltige Strategie. Ihn bis in den März oder April zu verlängern sei „ein bisschen wenig“. Neu ist seine Kritik nicht: Auch im November kritisierte Schmidt-Chanasit, dass Lockdown-Maßnahmen keinen langfristigen Erfolg hätten. „Man kann den besten Impfstoff, die beste Behandlung und die beste Diagnostik haben, wenn man die Bevölkerung nicht gewinnt, wird es schwer, eine Epidemie einzudämmen“, sagte Schmidt-Chanasit damals im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk (RND).

Forderung: Bessere Teststrategie in den Pflegeheimen

Nur was tun, um langfristig die Infektionszahlen auf niedrigem Niveau zu halten – ohne verschärfte Maßnahmen? Nach Ansicht von Schmidt-Chanasit und Streeck ist der Schutz von Risikogruppen elementar und sollte an erster Stelle stehen. Über das in Deutschland gut ausgebaute Hausarztnetz seien eine „schnellere Diagnostik und mehr Testungen“ möglich, erklärte Schmidt-Chanasit im „ZDF-Morgenmagazin“.

Die hohe Sterblichkeit von Covid-19-Patienten aus Alten- und Pflegeheimen zu verhindern sei bisher zu wenig im Fokus gewesen, bemängelt er. Regelmäßige und flächendeckende Schnelltests beim Pflegepersonal könnten dazu beitragen, das Ansteckungsrisiko zu senken. Im RND-Interview im November schlug er konkret vor, das gesamte Personal zweimal wöchentlich gut koordiniert und schnell zu testen. Neu sind diese Forderungen nicht. Schon Anfang November, am Tag der Verkündung des milderen Teil-Lockdowns, veröffentlichten die beiden Virologen in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bereits ein Positionspapier mit ähnlichen Forderungen: mehr Schutz von Risikogruppen, auf Gebote statt Verbote in der Bevölkerung setzen.

Ohne Lockdown Risikogruppen schützen? Drosten und Eckerle widersprechen

Forderungen nach Langzeitstrategien „ohne Inhalte“ kritisiert Christian Drosten, Leiter der Abteilung Virologie an der Berliner Charité. „Bei hoher Gesamtinzidenz ist es kaum irgendwo gelungen, die Pflegeheime zu schützen, da kann man noch so viel fordern“, schrieb er bei Twitter. „Deswegen muss prioritär die Gesamtinzidenz reduziert werden, wenn man Leben schützen will. Strategiewechselforderungen ohne Lösungsvorschläge sind irreführend.“ Sie würden die Bemühungen der Handelnden und der Politik verkennen. Seit Monaten entwickle das Robert-Koch-Institut bereits Schutzkonzepte für Pflegeheime. Drosten verweist dazu auf die von Deutschlands oberster Gesundheitsbehörde entwickelten Richtlinien, die bereits 14-mal erweitert worden seien.

Die Zeit für die Entwicklung einer Langzeitstrategie zur Vermeidung von neuen Lockdowns wäre im Sommer gewesen, äußerte die Virologin Isabella Eckerle, die an der Schweizer Universität in Genf forscht, ebenfalls bei Twitter. „Natürlich brauchen wir eine Post-Lockdown-Strategie“, räumte sie ein. Es gebe internationale Beispiele, wie das gelingen könne, und auch viele Vorschläge von hiesigen Wissenschaftlern. „Aber Prio 1 ist jetzt Fallzahlen senken. Und: Auch die Impfung wird die Pandemie nicht sofort beenden“, betonte sie auf der Social-Media-Plattform.

Infektiologin Herold: Tests schützen nicht immer vor Ausbrüchen in Pflegeheimen

Wissenschaftler äußern zudem Bedenken, dass der Einsatz von Schnelltests in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen nur eine kurze Momentaufnahme sein könne, die Tests zwar in der Regel, aber nicht immer akut Infizierte erkennen und deshalb keinen absoluten Schutz bieten könnten. Wenn nur ein unerkannt Infizierter durch ein Pflegeheim gehe, reiche das bereits für einen großen Ausbruch, verdeutlichte die Infektiologin Susanne Herold in der Talkshow „Hart aber fair“ am Montag die Problematik.

Allein in ihrem Landkreis habe es vor kurzer Zeit neun Ausbrüche in Pflegeheimen gegeben – trotz des Einsatzes von Tests. „Das schützt nicht vor Ausbrüchen in Pflegeheimen – das ist ganz klar“, sagte die Professorin für Infektionskrankheiten von der Universität Gießen. Neben fehlender Sicherheit hake es auch an der Umsetzung: Jeden Tag die Mitarbeiter und Bewohner zu testen sei logistisch im Moment gar nicht möglich, sagte Herold.

Es fehle oft an geschultem Personal, das diese Tests durchführen könne, gibt auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek zu Bedenken. Im „Coronavirus-Update“-Podcast des NDR wies Ciesek auch auf die Fehleranfälligkeit der Tests hin: „Sie können hochinfektiös sein, aber einen sehr schlechten Abstrich gemacht haben.“ Ein vermeintlich negatives Testergebnis wiege dann in falscher Sicherheit. Der Goldstandard bleibe der PCR-Nachweis. 

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