InterviewWas wir in der Klimakrise aus der Geschichte lernen können

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Portugal, Cabo Sardao: Steilklippen am Cabo Sardao. Derzeit ist der Nordatlantik so warm wie noch nie um diese Jahreszeit seit Beginn der Satellitenmessungen vor 40 Jahren.

Portugal, Cabo Sardao: Steilklippen am Cabo Sardao. Derzeit ist der Nordatlantik so warm wie noch nie um diese Jahreszeit seit Beginn der Satellitenmessungen vor 40 Jahren. (Symbolbild)

Mit seinem Buch über die Beziehung zwischen Mensch und Natur wirft Peter Frankopan ein neues Licht auf die Geschichte der Menschheit. Im Interview erzählt der Historiker, was wir angesichts der Klimakrise aus der Geschichte lernen sollten.

Herr Frankopan, bislang haben Sie sich als Historiker vor allem mit der Geschichte des Oströmischen Reichs beschäftigt. Warum haben Sie jetzt ein etwa 1000-Seiten-Buch über die Geschichte der Klima-veränderungen vom Urknall bis heute geschrieben?

Peter Frankopan: Das hat drei Gründe: Erstens bin ich Professor für Globalgeschichte in Oxford. Es gehört zu meinem Job, die Art und Weise, wie wir über die Welt denken, zu globalisieren. Es ist wichtig, andere Teile der Welt in die Geschichtsschreibung einzubeziehen – nicht nur die westliche Welt. Ich habe versucht, über Südostasien, Subsahara-Afrika, Polynesien und über das Amerika vor der Zeit von Christoph Kolumbus zu schreiben.

Der zweite Grund ist, dass sich die meisten Historiker auf einen bestimmten Zeitraum spezialisiert haben. Wir werden davon abgehalten, außerhalb dieser Perioden zu denken. Dabei ist das nicht wirklich hilfreich. Deswegen wollte ich mit dem Buch diese große Breite abdecken.

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Und der dritte Grund für das Buch?

Ich denke, dass der Klimawandel und die Veränderung unserer gesamten Umwelt die wichtigsten Geschichten des 21. Jahrhunderts sind. Wir stecken jetzt schon in Schwierigkeiten. Und als Historiker müssen wir auf die Fußspuren von uns Menschen zurückschauen. Wir müssen verstehen, wie wir an einen Punkt kommen konnten, an dem Wissenschaftler sagen, dass wir gerade ein Massenaussterben erleben.

Bei Ihrer Recherche haben Sie sich auf Quellen gestützt, die eher untypisch für Historiker und Historikerinnen sind: etwa Eisbohrkerne oder Baumringe. Die können uns viel über das Klima vor Tausenden von Jahren erzählen. War das ein großer Schritt für Sie?

Wissen Sie, es war mir noch nie peinlich zu sagen, dass ich die Antwort auf etwas nicht weiß. Für mich ist es völlig logisch, dass man immer dazulernt. Durch die Wissenschaft stehen uns Historikern immer mehr Quellen zur Verfügung. Kalkablagerungen in Höhlen verraten uns einiges über die Niederschlagsmengen, fossile Pollen geben uns Aufschluss darüber, wie viel früher auf Feldern angebaut wurde und manchmal sogar auch, was dort angebaut wurde.

Man kann heute nicht mehr über Migration schreiben und sich dabei nur auf schriftliche Quellen von vor 2000 Jahren verlassen. Man kann das jetzt auch anhand von Genmaterial nachverfolgen. Und das stellt unser Denken als Historiker völlig auf den Kopf.

Aber ist es nicht verkürzt gedacht, die ganze Menschheitsgeschichte plötzlich mithilfe von klimatischen Veränderungen zu erklären, beziehungsweise können Sie ein Beispiel nennen, wo der Einfluss des Klimas auf den Lauf der Geschichte zu kurz gedacht worden ist?

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion von 1941 ist so ein Beispiel. Das ist einer der wenigen Fälle, in denen die meisten Menschen das Wetter in ihre historische Bewertung einbeziehen. Oft heißt es: Es hat sehr viel geschneit, es war eiskalt, und deshalb hätte man die Sowjetunion nicht angreifen sollen.

Aber wenn das kalte Wetter kommt, ist das Problem nicht das kalte Wetter. Das Problem ist, dass man nicht gut vorbereitet ist. Die deutschen Truppen hatten zum Beispiel nicht genug Wintermäntel. Schon im Oktober 1941 mussten sich einige Soldaten Zeitungen in die Stiefel stopfen, um ihre Füße warm zu halten. Deshalb ging die Invasion schief. Natürlich gab es noch andere Gründe: Das Wetter hat definitiv nicht geholfen, die Größe der Roten Armee auch nicht. Aber die deutsche Armee ist offenbar zu schnell vorgerückt. Und so hat die Grundversorgung an der Front nicht mehr funktioniert.

Natürlich hat man dem Wetter die Schuld gegeben. Weil dann kein Mensch dafür verantwortlich gemacht werden muss. Es ist eben eine schöne, einfache Antwort.

Die meisten von uns glauben, dass wir in einer Welt leben, die immer sicherer, besser und vernetzter wird. Aber die Geschichte funktioniert nicht so.
Peter Frankopan

Sie warnen sehr deutlich vor den Folgen der Klimakatastrophe und rufen zum Handeln auf. Sehen Sie sich selbst jetzt nicht nur als Historiker, sondern auch als Klimaaktivist?

Ich würde mich nicht in eine Reihe mit den Menschen stellen, die sich für Umweltschutz starkmachen. Aber es stimmt schon, dass ich beim Schreiben des Buches zum Beispiel etwas über die Luftverschmutzung gelernt habe, die nicht nur für das Atemsystem schädlich ist, sondern auch unsere kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt. Davon wusste ich vorher nichts.

Und es ist mir peinlich, dass ich früher dachte, dass es nur um die Bäume im Amazonas und die Erderwärmung geht. Mir war nicht klar, dass wir zu sehr auf schnelle Gewinne aus sind und dass die Regierungen nicht genug regulieren.

Was wollen Sie mit dem neuen Buch erreichen, was sollen Ihre Leserinnen und Leser am Ende mitnehmen?

Es gibt ein Zitat von Benjamin Franklin: „Wer bei der Vorbereitung versagt, bereitet sein Versagen vor“. Der Geologische Dienst der USA hat das 2021 verwendet, um davor zu warnen, dass der große Vulkan „Mauna Loa“ auf Hawaii wieder erwacht.

Wenn man sieht, dass Probleme auf einen zukommen, sollte man sich Gedanken machen. Und wir sollten nicht nur darüber nachdenken, wie wir mehr saubere Energie und Wärmepumpen in Deutschland einsetzen können. Sondern wir sollten uns fragen: Was sind die anderen großen Dinge, die auf uns zukommen werden?

Eine Plastikflasche treibt in Vaasa im finnischen Meer (Archivbild).

Eine Plastikflasche treibt in Vaasa im finnischen Meer (Archivbild).

Das erinnert an ein Kapitel aus Ihrem Buch: 2253 v. Chr. wurde Naram-Sin zum neuen Herrscher der reichen Stadt Akkad, im heutigen Irak. Es soll damals eine Dürre gegeben haben. Die Folge waren Ernteausfälle und die Waren sollen teurer geworden sein. Die Menschen hungerten, die Wirtschaft brach zusammen. Akkad gilt manchen als Beispiel, wie der Klimawandel zum Untergang eines großen Reichs führen kann.

Der „Fluch über Akkad“ ist ein sehr berühmter Fall von Umweltveränderung, die angeblich zu einem Staatsversagen geführt haben sollen. Tatsächlich ist es zwar so, dass Naram-Sin die Götter verärgert haben soll und es gab diese Katastrophen. Aber nach dieser Zeit mit knappen Ernten vergrößert Naram-Sin das Reich, zentralisiert seine Macht weiter und wird noch mehr wie ein Donald Trump, indem er überall Inschriften anbringt, die sagen, wie großartig er sei. Beim „Fluch über Akkad“ kann man also eher sehen, wie ökologischer Stress durch kluge Planung und Entscheidungen abgemildert werden.

Das ist aber nicht immer so?

Es gibt viele Beispiele, wo das nicht so gut funktioniert. Eliten passen sich sehr schlecht an. Denn je kleiner die Gewinnanteile werden, desto größer ist der Druck, an der eigenen Position festzuhalten. Aber das ist auf lange Sicht keine gute Lösung. Schauen Sie sich zum Beispiel die Französische Revolution an – oder den Zusammenbruch Deutschlands im Jahr 1918.

Bei beiden Ereignissen hat jeweils die Bevölkerung den monarchischen Eliten ein Ende bereitet …

Wenn es Zeiten der Knappheit gibt, können Herrscher oder Regierungen Entscheidungen treffen, die allen zugutekommen – oder sie können Entscheidungen treffen, die nur einige wenige belohnen.

In Ihrem Buch geben Sie sich recht pessimistisch, wenn es darum geht, die aktuelle Klimakatastrophe noch abzumildern. Warum? Kommen wir Menschen in unserer Geschichte auf diesem Planeten wirklich so schlecht weg?

Als Historiker ist es unvermeidlich, so zu denken. Schauen Sie sich das 20. Jahrhundert an: Die Zahl der Toten im Ersten und Zweiten Weltkrieg, durch den Holocaust, in der Sowjetunion oder in China. Das waren mehr als 100 Millionen Tote durch Krieg, Hunger und Vertreibung. Heute sind wir nicht aufgeklärter, netter oder besser als Menschen, die vor 100 Jahren unter falschen Umständen lebten. Menschen tun sich gegenseitig schreckliche Dinge an.

Die meisten von uns glauben, dass wir in einer Welt leben, die immer sicherer, besser und vernetzter wird. Aber die Geschichte funktioniert nicht so. Es gibt immer Dinge, die schiefgehen. Es ist wie mit Flugzeugabstürzen: Fast immer ist es menschliches Versagen. Und so sieht die Geschichte auch aus. Fast immer geht es um Menschen, die schlechte Entscheidungen treffen.

Einige Klimawissenschaftler und -wissenschaftlerinnen wollen die Frage nach „Hoffnung“ im Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht mehr so gerne hören. Aber Sie als Historiker: Schöpfen Sie aus der langen Menschheitsgeschichte auch Hoffnung?

Klar, vieles gibt mir Hoffnung. Als Spezies sind wir unglaublich erfinderisch. Wir haben Kathedralen gebaut, Symphonien komponiert, Essen kreiert, das einen mit einem Bissen in den Zustand der Glückseligkeit versetzt. Ich glaube zwar nicht, dass Technologie und Innovation all unsere Probleme lösen werden, aber sie werden einige von ihnen weit weniger schlimm machen, als wir denken. Ich bin also optimistisch, was unseren Erfindungsreichtum angeht. Aber man muss Glück haben, das ist alles. Das ist, denke ich, das Wichtigste: Man muss Glück haben mit den Menschen in Machtpositionen und mit dem Timing.

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