FC-Trainer im InterviewWie Steffen Baumgart vom Kfz-Mechaniker zum Fußballprofi wurde

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Baumgart sauer

FC-Trainer Steffen Baumgart

  • Im Interview spricht Steffen Baumgart über seinen illustren Werdegang.

Köln – Herr Baumgart, am Samstag treffen Sie beim Benefiz-„Länderspiel“ zwischen „Ostfriesland“ und der „DDR“ in Emden etliche Weggefährten von einst wieder. Vor 30 Jahren haben Sie Ihre mecklenburgische Heimat verlassen und sind von Dynamo Schwerin als Vertragsamateur zum damaligen Viertligisten Sportvereinigung Aurich gewechselt. Sie kamen als 19-Jähriger nach Ostfriesland. Hat Sie die Zeit geprägt?

Absolut. Ich war das zweite Mal überhaupt erst von Zuhause weg und musste flügge werden. Und das quasi in einem neuem Land, denn die alten Bundesländer waren schon was anderes als der Osten. Das war meine erste Berührung mit dem Westen – auch wenn es Ostfriesland heißt. Und das war schon eine Umstellung, aber eine schöne und lehrreiche. Es waren drei super Jahre.

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FC-Trainer Steffen Baumgart

Stimmt es, dass der Transfer nur durch einen Zufall zustande kam und Sie von einem Schuhgroßhändler entdeckt wurden?

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Ja, so war es. Die Auricher Verantwortlichen waren ursprünglich zu unserem Ligaspiel gekommen, um meinen Mitspieler Steffen Benthin zu beobachten. Aber dann ist mir ein auffälliges Spiel gelungen, und ich war auf einmal der, den sie wollten. Ich hatte zwar auch ein, zwei andere Anfragen, aber die waren nie konkret. Es ging für mich damals auch darum, eine neue Ausbildung, eine Lehre zu beginnen. Meine berufliche Ausbildung als Polizist entsprach nicht den Weststandards. Ich hatte zwar zuvor schon in der 2. Liga in der DDR gespielt, doch mit Fußball als Broterwerb hatte ich eigentlich schon abgeschlossen. Ich sah mich eher nur noch als Freizeitkicker. Da kam die berufliche und sportliche Perspektive, die mir in Ostfriesland aufgezeigt wurde, ganz recht.

Baumgart spielt für die „DDR“

Nach dem Mauerfall träumten ostfriesische Amateurklubs wie der BSV Kickers Emden oder die Sportvereinigung Aurich vom großen Erfolg. In Emden war es Tankstellen-Magnat Dr. Helmut Riedl, der seine Beziehungen spielen ließ und die Kickers in den Profifußball bringen wollte. Die Klubs lockten etliche DDR-Fußballer mit der Aussicht auf ein neues Leben an die Nordsee. Darunter auch gestandene Erstligaspieler wie Michael Schulz (BFC Dynamo Berlin), den es ebenso wie den damals 19-jährigen Steffen Baumgart (Dynamo Schwerin) zum Viertligisten Aurich zog. Drittligist Emden sicherte sich 1990 unter anderem die Dienste des 20-jährigen Jörg Heinrich, der bis 1994 für die Ostfriesen auflief und anschließend eine große Karriere startete (37 Länderspiele, SC Freiburg, Borussia Dortmund, AC Florenz, 1. FC Köln). Die Vereine vermittelten den Spielern zudem Jobs. Einige machten eine Ausbildung, Baumgart im Autohaus, Heinrich in der Tankstelle als Bürokaufmann.

Der ostfriesische Fußball-Weltenbummler und Bayern-Fan Kai Schoolmann, der als Fan bei sechs Welt- und acht Europameisterschaften dabei war und stets seine Fahne „Grossheide“ kamerawirksam platziert, hatte die Idee, die Recken von einst wieder zusammen zu führen und als Mannschaft „DDR“ gegen ein Team „Ostfriesland“ antreten zu lassen, für das unter anderem Europameister Dieter Eilts oder Timo Schultz (St. Pauli) auflaufen. Anpfiff des „Länderspiels“ ist am Samstag um 15.30 Uhr im Ostfriesland-Stadion in Emden, die Erlöse des Benefiz-Kicks gehen an das Hospiz in Emden. ARD-Moderatorin Okka Gundel und Ex-Sky-Mann Rolf „Rollo“ Fuhrmann, gebürtige Ostfriesen, werden vor Ort sein. (LW)

Und dann haben Sie schön in einem typischen ostfriesischen Häuschen mit gepflegtem Vorgarten gewohnt?

Nein, das war ein bisschen anders (lacht). Nach meiner Ankunft habe ich mit meinem Teamkollegen Matthias Kämpfert, der noch heute mein Freund ist, mehrere Monate in eine WG gebildet und im Obergeschoss des Kabinentrakts am Ellernfeld-Stadion in Aurich gewohnt. Und wissen Sie was? Das war super. Wir waren beide 19 und hatten eine Menge Spaß. Später gab es dann auch einen legendären Stammtisch, da haben wir uns alle ein bis zwei Wochen im Biersalon in der Stadt getroffen. Da wurde auch schön gezockt. Und mancher Abend ging länger, als beabsichtigt war. Als Erinnerung an diesen Stammtisch habe ich heute noch einen Teller, der bei mir einen Ehrenplatz hat. Ein befreundetes Rentnerehepaar hatte sich damals auch um uns gekümmert und uns öfter zum Essen eingeladen. Fast jeder hatte uns geholfen und war bemüht. Es war wirklich eine schöne Zeit.

Im „Autohaus am Deich“ zwischen Norden und Norddeich machten Sie damals eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. War das mit dem Fußball schwierig zu vereinbaren?

Ach, für mich nicht. Wenn ich heute höre, dass es heute einige nicht hinbekommen, ihre Schule mit dem Training zu vereinbaren, da sage ich: Da hatten wir damals ganz andere Sachen durchgemacht. Für mich gab es Anfang der 90er nur das: Arbeit und Fußball. Da gab es nicht viel Ablenkung. Morgens bin ich zur Arbeit gefahren, abends habe ich dann gekickt. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, ob das vielleicht stressig werden könnte. Ich war bei jedem Training und habe auch jedes Auswärtsspiel mitgemacht. Die Frage hat sich gar nicht gestellt.

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1996: Rostocks Steffen Baumgart am Ball, Bayerns Christian Nerlinger, Markus Babbel und Christian Ziege schauen zu.

Sie erwähnten es, dass Sie damals mit einer Profi-Karriere praktisch abgeschlossen hatten. Es kam dann ganz anders. 1994 wechselten Sie von Aurich gleich zu Hansa Rostock. Später gingen Sie auch noch für Union Berlin und Energie Cottbus auf Torejagd.

Ich hatte nie über die Bundesliga nachgedacht. Ich wollte einfach nur Fußball spielen. Du kannst ja nicht in Aurich in der Vierten Liga spielen, im Autohaus am Deich arbeiten und dann gleichzeitig von der Bundesliga träumen. Die war so weit weg wie die Südsee von der Nordsee. Wie dann alles für mich gekommen ist, hatte auch mit Zufall zu tun oder dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. In dem Spiel, in dem mich Frank Pagelsdorf (damaliger Trainer von Hansa Rostock, d. Red.) entdeckte, haben wir den A…vollgekriegt ohne Ende und 1:5 verloren. Zum Glück hatte ich das eine Tor für uns erzielt. Aber einen Masterplan, den hatte ich nicht.

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Heute werden Karrieren durchgeplant: von den Spielern, Eltern, Vereinen und natürlich den Beratern.

Das mit den Beratern kam erst gegen 1996, 1997 so richtig auf. Meine Verträge hatte ich zuvor noch ohne Berater, sondern mit meinem Vater zusammen gemacht. Später hast du dann gemerkt, dass es schon besser war, dass man einen fachkundigen Berater an der Seite hat, schließlich gab es auch rechtliche Angelegenheiten zu klären.

Am Samstag stehen Sie nun mit vielen alten Weggefährten auf dem Platz. Werden Sie vor dem Anpfiff auch die alte DDR-Hymne mitsingen? Die soll ja neben „Wir sind Ostfriesenkinder“ vor dem Anpfiff gespielt werden.

Das entscheide ich spontan (lacht). Spiel und Treffen sind doch eine witzige Idee. Und ich denke, es interessiert auch einige. Es ist doch auch für mich spannend zu erfahren, wie es mit einigen Jungs von damals weitergegangen ist. Bei Jörg Heinrich (der Ex-Nationalspieler wechselte 1994 von Kickers Emden erst nach Freiburg, dann zum BVB) oder dem aktuellen Pauli-Trainer Timo Schultz (einst TuS Esens, d. Red.) weiß man es ja, aber bei einigen eben auch nicht. Manche von damals sind auch in Ostfriesland geblieben, haben Familien gegründet und arbeiten immer noch beispielsweise bei der Versicherung. Und das ist auch alles gut so. Ich freue mich einfach auf den Tag und den Abend. Und über Nacht bleibe ich einfach bei meinem alten Kumpel „Kämpfi“.

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