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Top-Berater Struth über den 1. FC Köln„Aus meiner Sicht tanzen die im Märchenland“

Lesezeit 9 Minuten
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Volker Struth

  • Der FSV Mainz habe den 1. FC Köln längst abgehängt und die Entlassung von Horst Heldt sei reiner Populismus.
  • Auch ziere sich der FC vor der Bereitschaft, Geld durch Investoren zu generieren und handele weder markt- noch zeitgerecht.
  • Der Kölner Spielerberater Volker Struth über die Führung des 1. FC Köln, den Wert des Klassenerhalts und die Aussichten des Klubs im Profigeschäft.

Köln – Herr Struth, welche Bedeutung hat der Klassenerhalt für den 1. FC Köln? Der Klassenerhalt war überlebenswichtig, denn der Wiederaufstieg wäre schwieriger geworden als je zuvor. Ein Abstieg hat ja schon grundsätzlich gewaltige wirtschaftliche Folgen. Aber durch Corona potenziert sich das noch. Es wäre der brutalste Abstieg der Vereinsgeschichte geworden, weil wir in der nächsten Saison die stärkste Zweite Liga aller Zeiten erleben werden. Darum freue ich mich sehr mit dem FC.

Wie beurteilen Sie die Entlassung von Horst Heldt?

Ich halte diesen Vorgang für reinen Populismus. Hier wird nur ein Opfer gesucht. Natürlich hat Horst Heldt auch Entscheidungen getroffen, die er heute so nicht mehr treffen würde. Dennoch ist unter Horst Heldts Führung der Klub zweimal in der Bundesliga geblieben. Alle feiern jetzt meinen Freund Friedhelm Funkel. Aber eingestellt wurde er auch von Horst Heldt. Ich fürchte, dass der Abstieg nur aufgeschoben ist.

Alles zum Thema Timo Horn

Nimmt der 1. FC Köln grundsätzlich zu wenig Geld in die Hand? Oder wird es nur falsch eingesetzt?

Zunächst einmal zeigt der Verein viel zu wenig Bereitschaft, Geld zu generieren. Man wehrt sich gegen Investoren, grundsätzlich gegen alles, was man für Kommerz hält. In jedem Klub gibt es Fehlentscheidungen, aber beim FC mit der dürren finanziellen Ausstattung macht sich das ganz anders bemerkbar. Nehmen wir den vergangenen Winter als Beispiel: Jetzt wird Horst Heldt Emmanuel Dennis vorgeworfen. Aber mit seinem Mini-Budget hatte er ja kaum Möglichkeiten. Mainz 05 hat im Winter drei Spieler verpflichtet, die von uns beraten werden und die dann eine tragende Rolle bei der Mainzer Rettung gespielt haben. Die hätten sehr gut zu den Lücken im Kader des FC gepasst. Aber der FC hätte sie nicht annähernd finanzieren können.

Zur Person

Volker Struth (54), geboren in Köln, gründete im Jahr 2007 die Spielerberatungs-Agentur SportsTotal, eine der größten weltweit. In diesem Jahr trennte sich Struth von seinem langjährigen Partner Dirk Hebel und gründete die Agentur Sports360, die unter anderem Dayot Upamecano, Toni Kroos und Niklas Süle betreut. Beim 1. FC Köln vertritt Struth Torhüter Timo Horn. Im Frühjahr vermittelte der Kölner den Wechsel von Trainer Julian Nagelsmann von RB Leipzig zum FC Bayern München. (ksta)

Ist das eine Tatsache: Mainz hat den 1. FC Köln abgehängt?

Absolut, das ist so. Der Fußball im Jahr 2021 hat sehr viel mit Geld zu tun. Wenn eine Vereinsführung ihren Mitgliedern sagt, dass sie das anders sieht und da nicht mitmachen will, muss man das akzeptieren. Dann darf man sich aber auch nicht wundern, wenn man in ein paar Jahren in der Dritten Liga gegen Zwickau spielt. Aus meiner Sicht tanzt der Vorstand beim 1. FC Köln im Märchenland.

Es gibt den Ansatz, es mit Geduld und Akribie aus eigener Kraft zu schaffen, Mönchengladbach gilt da als Vorbild.

Keine Chance. Und ich hoffe, dass die Mitglieder mal in einer größeren Zahl an den Versammlungen teilnehmen. Wir haben mehr als 100 000 Mitglieder, und ich frage mich, wo die bei den Wahlen sind. Ich bin seit vielen Jahren in diesem Business, ich habe Einblicke in zig Vereine. Aber ich hänge am FC und kann nur sagen: Dieser Verein agiert weder markt- noch zeitgerecht.

Hat das mit den Personen zu tun oder mit den Strukturen?

Beides. Ich halte es für grundsätzlich schwierig, dass Mitglieder den Verein führen. Wenn dann aber in einem Gremium wie dem Mitgliederrat eine Haltung so klar dominiert, wird es gefährlich. Es gibt die Bereitschaft von Investoren, sich beim 1. FC Köln zu engagieren, ohne gleich den Verein übernehmen zu wollen. Aber die Debatte darüber wird gar nicht erst geführt.

Am 17. Juni steht zunächst die Wahl des Vizepräsidenten Carsten Wettich an.

Es wird hoffentlich eine deutlich höhere Wahlbeteiligung geben, weil die Versammlung virtuell stattfindet. Sein Wahlergebnis wird ein sehr guter Hinweis darauf sein, in welche Richtung die Mitglieder tendieren. Wer einen derart radikalen Weg beschreiten will, braucht sehr viel mehr als eine Mehrheit. Der braucht einen klaren Auftrag.

Sie fordern mehr Meinungsvielfalt.

Genau. Wenn schon ein Mitgliederrat, müssen da andere Leute rein. Unternehmer, auch Sportler. Leute, die etwas mit dem Business Profifußball zu tun haben. Und die stellen dann mal ein Präsidium auf, das sich nicht wie das Fähnchen im Winde von Fan-Interessen leiten lässt. Sondern einen echten Willen zum Gestalten mitbringt. Und dem Cheftrainer zur Begrüßung auch mal die Hand schüttelt.

Die Mitgliederräte sind überzeugt davon, das Richtige zu tun. Sie wollen das aus ihrer Sicht Beste für den Verein.

Das mag sein, aber ich sehe zu wenig Kompromissbereitschaft. Wenn eine Mehrheit der 110 000 Mitglieder das will, ist das alles in Ordnung. Aber dann müssen solche Entscheidungen auf einer anderen Basis getroffen werden, nicht von 2500 Mitgliedern. Würden sich mehr Mitglieder bei den Wahlen engagieren, muss ich ganz ehrlich sagen: Dann wären die Herren, die momentan beim FC die Feder führen, sofort Geschichte. Ich bin vor 15 Jahren in dieses Geschäft eingestiegen, und ich weiß noch, wie mir damals Sportdirektoren sagten, das Wachstum im Fußball würde enden, die Branche stehe kurz vor dem Kippen. Und was ist seitdem passiert? Es ist immer weiter gegangen, und es wird auch nach der Pandemie weitergehen.

Beim FC diskutiert man darüber, dass es mittelfristig digitale Lösungen geben wird, die den Stadionbesuch ersetzen.

Also bitte. Wir haben nicht erst durch Corona erlebt, welche Bedeutung das Erlebnis Stadion hat. Die Leute können es doch kaum erwarten, wieder ins Stadion zu gehen. Die Stadien werden voll sein, die Inhaber der TV-Rechte werden ihr Geschäft machen. Es ist ein wachsender Markt, und der 1. FC Köln ist Teilnehmer an diesem Markt. Sich dem zu verschließen, führt dazu, dass man den Anschluss verliert.

Die Fans und Mitglieder beim FC sind das größte Kapital. Deren Willen zu ignorieren, wäre nicht zielführend.

Dem stimme ich vollkommen zu. Aber ich habe den Eindruck, dass einigen Mitgliedern nicht bewusst ist, was für eine Philosophie die Leute haben, die den Verein führen. Die Personen, die die Strukturen besetzen, vertreten nur eine Interessensgruppe, wenn auch eine wichtige, die ein berechtigtes Anliegen hat. Das es aber zu diskutieren gilt. Der Kompromiss wäre für mich: andere Personen in denselben Strukturen. Das ist das Problem, dass die Strukturen, die es dem Verein schon grundsätzlich nicht leicht machen, von Personen gelebt werden, die bis aufs Blut ihre absoluten Positionen vertreten, ohne Spielräume.

Der Gedanke war ja eine Demokratisierung des Vereins.

Ja, aber das Absurde ist doch, dass das Argument der Demokratisierung dazu führt, dass eine demokratische Debatte nicht stattfindet. Die Strukturen werden von Einzelpersonen genutzt, wohl wissend, dass sich der Großteil der Mitglieder gar nicht so intensiv mit den Themen beschäftigt. Es gibt nichts Einfacheres, als Menschen, gerade in einem Traditionsklub, gegen eine vermeintliche Über-Kommerzialisierung aufzuhetzen. Das ist beim FC an der Tagesordnung. Da werden auch Ängste geschürt.

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Welche Art Vorstand wünschen Sie sich?

Einen Vorstand, der eine Präsenz hat. Der auch eine Orientierung am Geißbockheim bietet. Dass der Vorstand Friedhelm Funkel weder persönlich willkommen geheißen noch vor den entscheidenden Spielen wenigstens Glück gewünscht hat, zeigt für mich die Defizite. Dem wurde nicht mal guten Tag gesagt. Ich stelle mir einen Präsidenten vor, der im Verein alle im Arm hat. Den die Leute anschauen, wenn er in den Raum kommt. Man muss einen Verein mit einem ganzen Werkzeugkasten voller Kenntnisse führen. Auf diesem Werkzeugkasten muss allerdings 2021 stehen – nicht 1974.

Was wäre möglich in Deutschlands viertgrößter Stadt mit 110 000 Mitgliedern?

Wenn dieser Verein einen richtigen Kopf hat und zeitgerechte Strukturen, gibt es keine Grenzen. Ich komme aus Köln, erlebe aber Fußballstandorte in ganz Europa. Diese Leidenschaft, diese Euphorie, diese Hingabe – die gibt es nur bei uns: Wo sonst singen die Leute denn freitagabends in der Kneipe Lieder über ihren Klub? Wir sind Rheinländer, wir sind abholbar. Die regionalen Unternehmen, die sich gern viel größer beim FC engagieren würden – die sind da. Die wollen aber abgeholt werden und nicht hören: Was soll ich denn mit dir und deinem Geld?

Bei Hertha BSC ist jede Menge Investorengeld geflossen, dennoch stockt das Projekt.

Gutes Beispiel. Da wirft eine Investorengruppe sehr viel Geld rein. Aber wo ist denn der Kopf? Das Gesicht? Wo ist derjenige, der das verkauft, verpackt, der das den Menschen erklärt? Ich verstehe, dass ein Beispiel wie Hertha BSC den Fans Angst macht. Ich glaube allerdings, dass Hertha mit Fredi Bobic den idealen Mann geholt hat.

Ihnen könnte man vorwerfen, dass Sie direkt davon profitieren, wenn mehr Geld in den Verein strömt.

Grundsätzlich tue ich das ja auch, das ist mein Geschäft. Aber ich kann Ihnen versprechen: Die Umsätze, die ich mit dem 1. FC Köln mache, spielen für mein Unternehmen eine zu vernachlässigende Rolle.

Sie glauben an einen Mittelweg, eine moderierte Version von Hertha BSC.

Absolut. Auch da geht es um die Debattenfähigkeit. Was hat Uli Hoeneß immer gekonnt? Er hat polarisiert und damit Diskussionen ausgelöst. Aber er war nie ein Fähnchen im Wind. Die Leute müssen wissen: Da kommt der Boss. Wenn ich daran denke, dass der 1. FC Köln Florian Wirtz verliert, der einer der größten Spieler der FC-Geschichte hätte werden können. Da frage ich mich: Wo ist der Kopf, der dafür sorgt, dass so etwas nicht passiert? Oder wenigstens nie wieder. Das größte Talent im deutschen Fußball läuft jeden Tag an meinem Fenster vorbei. Dann verliere ich den Spieler – und trotzdem haben sich hinterher noch alle lieb?

Sie sind der Kopf einer der größten Berateragenturen Europas. Würde Sie eine Führungsrolle beim FC reizen?

Momentan ganz klar: Nein. Ich habe ein gut laufendes Unternehmen, auch in diesen Zeiten. Aber es gibt sicherlich viele gute Leute in dieser Stadt, die dem FC eine Hilfe sein könnten. Im Übrigen würde ich dem Klub raten, alles daran zu setzen, einen erfahrenen Mann und Top-Menschen wie Friedhelm Funkel an den Verein zu binden. Und der Verein sollte alles dafür tun, Alexander Wehrle nicht zu verlieren.

Sie würden helfen, ohne bestimmen zu dürfen?

Ich weiß, was in dieser Stadt mit Vorständen und Funktionären passieren kann, das habe ich bei Werner Spinner gesehen. Ich war selbst zweimal schwer krank, ich habe ein Privatleben, eine Familie und eine gewisse Lebensqualität. Es gibt in einem solchen Amt wenig zu gewinnen, daher kommt das für mich momentan nicht in Frage. Ich will das nicht. Aber ich gehe ans Telefon, wenn man mich anruft.

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