Lars Leese im InterviewDer Held von der Anfield Road

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Lars Leese im Gespräch am Geißbockheim

Lars Leese im Gespräch am Geißbockheim

  • In der neuen Serie „Helden des Lokalsports“ schauen wir auf Sportler und ihre Karrieren.
  • Im ersten Teil spricht Torwart Lars Leese, der bei Fortuna Köln und dem 1. FC Köln spielte, über seine Zeit als Spieler und Trainer.
  • Und natürlich blickt er auf den Höhepunkt zurück: Den Sieg beim großen FC Liverpool.

Köln – Lars Leese hatte eine lange Karriere als Torhüter und Trainer im Rheinland. Doch seine Zeit beim FC Barnsley in der englischen Premier League machte ihn zu einer Legende des Lokalsports.

Herr Leese, wenn man sich Ihre sportliche Vita anschaut, sticht ein Ereignis heraus.

Leese: Mein Sieg mit dem FC Barnsley beim FC Liverpool an der Anfield Road.

Am 22. November 1997.

Zum 20-jährigen Jubiläum des Siegs habe ich mir den Titel von Liverpools Einlaufmusik als Erinnerung auf den Unterarm tätowieren lassen. „You’ll never walk alone“, steht da jetzt. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Sportlich war das sicher der größte Tag meiner Karriere.

Um 14.57 Uhr, drei Minuten vor dem Anpfiff, betritt Leese den Spielertunnel. 41 000 Fans sind im Stadion, sie singen ihr Lied. Kurz bevor er den Rasen betritt, sieht Leese das Schild, auf dem „This is Anfield“ steht. Die Liverpooler berühren es aus Aberglauben mit der rechten Hand. Allen ist klar, dass es hier und heute nur um eines gehen kann: Die Niederlage überschaubar zu halten, bloß nicht schon wieder den FC Barnsley, das Schlusslicht der Premier League, blamieren.

Viele träumen ihr ganzes Leben davon, Fußballprofi zu werden. Arbeiten hart darauf hin – und schaffen es trotzdem nicht. Bei Ihnen ist es einfach so geschehen.

Ich saß im Büro in Hürth, im Frühjahr 1996 war das. Plötzlich hatte ich Andreas Rettig am Telefon, damals war er die rechte Hand von Rainer Calmund in Leverkusen. Ich wusste gar nicht, was er von mir wollte. Er sagte mir nur, dass ich am nächsten Tag mal vorbeikommen solle. Calli wolle mich sprechen.

Und dann?

Habe ich schlecht geschlafen. Am nächsten Tag kam es dann zu den ungewöhnlichsten Verhandlungen, die ich je erlebt habe. Leverkusen wollte mich als dritten Torwart. Ich sollte auf einen Zettel schreiben, wie viel ich verdienen möchte. Er notierte gleichzeitig, was er mir anbieten könne. Am Ende haben wir uns auf 14 000 Mark geeinigt.

Lars Leese

Lars Leese (Jahrgang 1969) spielte unter anderem bei Bayer Leverkusen und für Borussia Mönchengladbach und den 1. FC Köln.Er trainierte er u.a. die SV Bergisch Gladbach 09 und die SSVg Velbert. In dem Buch „Der Traumhüter“ beschreibt er seinen Weg aus der Kreisliga in die Premier League. Zur Serie: In „Legenden des Lokalsports“ stellen wir Sportler vor, die in den vergangenen Jahren durch besondere Leistungen weit über die Region hinaus Berühmtheit erlangten.

Sie waren kurz vorher mit dem VfB Wissen aus der Regionalliga abgestiegen und spielten zu jener Zeit bei Preußen Köln.

Ich hatte keine Ambitionen mehr, in den Profifußball zurückzukehren. Aber als das Angebot kam, habe ich Blut geleckt. Für mich war das der Schritt in eine andere Welt. Wir haben kurz darauf mit Bayer eine Mannschaftstour gemacht, an die ich noch heute oft denke. Wir waren in Mexiko, Los Angeles, Las Vegas. Ich bin wie im Katapult nach oben. Ich habe damals in meinem Bürojob 2800 Mark brutto verdient und saß abends auf einmal im Caesars Palace neben Rudi Völler am Pokertisch.

Die erste Halbzeit in Liverpool: Es sind drei Minuten gespielt, als Leese einen Rückpass schlecht annimmt. Plötzlich stürmt Liverpools Karl-Heinz Riedle auf ihn zu. Leese hat keine andere Möglichkeit, als ihn auszuspielen. Ob das gut geht? Natürlich nicht. Riedle klaut ihm den Ball, will ihn gerade ins leere Tor schieben, als Leese mit einer Grätsche von hinten den Ball ins Aus spitzelt. Als Barnsley nach 35 Minuten in Führung geht, nimmt das Wunder Formen an. Leese sagt später: „Die ersten fünf Minuten waren katastrophal. Unser Siegtreffer war gefühlt das einzige Mal, dass wir in deren Hälfte waren. Der Rest war Einbahnstraßen-Fußball auf mein Tor.“

Warum hatten Sie keine Lust mehr auf Fußball? Mit 15 zählten Sie zu den größten Torwarttalenten in Deutschland.

Ich hatte meine erste Freundin. Außerdem einen Trainer, mit dem ich nicht zurecht kam. Die Erwartungshaltung war exorbitant. Ich war ein pubertierender 15-Jähriger, der seinen eigenen Kopf hatte. Eine Auseinandersetzung mit dem Trainer, brachte das Fass zum Überlaufen.

Was ist passiert?

Wir haben 1:1 in Aachen gespielt. Auf der Rückfahrt im Bus sind wir eineinhalb Stunden lang zusammengeschissen worden. Ich wollte immer Spaß haben beim Fußball. Und das war dann nicht mehr gegeben. Da habe ich für mich beschlossen, dass es reicht. Christoph Daum war damals Jugendleiter beim FC und kam bei mir zu Hause mit einem Profivertrag vorbei. Ich habe ihn wieder nach Hause geschickt. So wollte ich nicht Fußball spielen.

War das ein Fehler?

Im Nachhinein habe ich es 100 Mal bereut. Aber das gehört zu meiner Vita dazu.

Und dann?

Bin ich zum BC Efferen gegangen. Die wollten natürlich, dass ich ins Tor gehe. Aber darauf hatte ich keine Lust. Ich habe mich dann dort der dritten Mannschaft angeschlossen und im Sturm gespielt. Ich habe jede Saison 50 oder 60 Tore geschossen. Etwas später haben mich Freunde überredet, mal in einer Thekenmannschaft im Westerwald mitzuspielen. Ich bin bei einem Turnier dort ins Tor gegangen. Am Ende haben wir den Pokal geholt – dreimal haben wir Unentschieden gespielt, dreimal haben wir im Elfmeterschießen gesiegt. Ein Sponsor hat dann gesagt: „Den Leese will ich hier behalten.“ Ich habe daraufhin bei den Sportfreunden Neitersen für 200 Mark im Monat etwas gekickt.

Das, was dann folgte, haben Sie im Buch „Der Traumhüter“ beschrieben. Plötzlich waren Sie Torhüter beim FC Barnsley in der Premier League.

Mein Berater hat mich dorthin vermittelt. Ich bin an einem grauen Februartag für eine Woche nach Barnsley zum Probetraining geflogen. Dort habe ich einen einzigen Ball gehalten, mehr waren es wirklich nicht. Dann kam der Trainer zu mir und sagte: „You are my man.“ Heute kann ich es ja verraten, dass wir bei den Verhandlungen auch ein wenig geschwindelt haben.

Die zweite Halbzeit in Liverpool: Leese wird zum Protagonisten des Duells. Der Druck des FC Liverpool wird mit jeder Minute größer. Wie Wellen rollen die Angriffe auf sein Tor zu. Aber Leese wehrt sie alle ab. Er zeigt einige spektakuläre Paraden. Die englische Presse schreibt am nächsten Tag von einer Weltklasse-Leistung.

Wie das denn?

Damals konnte man noch nicht im Internet alles recherchieren über die Spieler. Wir haben erzählt, dass ich zweiter Torwart in Leverkusen sei und für einen Wechsel nach Barnsley auf die Champions League verzichten würde. In Wahrheit war ich dritter Keeper und ziemlich weit weg von einem Einsatz bei den Profis. Aber unsere kleine Flunkerei hat geholfen. Ich bin dann 1997 für eine Ablöse von 750 000 Mark nach Barnsley gewechselt. Für damalige Verhältnisse war das richtig viel Geld. Entsprechend bin ich dort angekündigt worden. Kein Mensch dort wusste, dass ich noch nie ein Profispiel bestritten hatte.

Sie haben etwas gebraucht, um Stammspieler zu werden.

Spätestens nach meiner unfassbaren Leistung beim Sieg in Liverpool war klar, dass ich gesetzt bin. Blöderweise habe ich mir dann nach einem Training im Supermarkt um die Ecke zwei halbe Hühner gekauft.

Wieso war dieses Huhn ein Problem?

Weil es verdorben war und ich mir dadurch eine schlimme Lebensmittelvergiftung eingefangen habe. Während ich drei Tage mit dem Kopf über der Kloschüssel hing, hat mein Stellvertreter überragend gehalten – und ich war wieder raus.

Nach Barnsley, nach dem Höhepunkt Ihrer Karriere, waren Sie plötzlich arbeitslos.

Ich habe mit meiner Frau zuhause gesessen und war am Ende. Ich war ganz oben und plötzlich ganz unten. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Es kam nichts, überhaupt nichts. Nach einem dreiviertel Jahr wurde ich dann plötzlich zu einem Probetraining beim VfB Stuttgart eingeladen. Blöderweise war ich die Monate vorher aus Frust zweimal am Tag im Fitnessstudio und habe ordentlich Muskelmasse aufgebaut. Ich habe 110 Kilogramm gewogen. Gehalten habe ich auch keinen Ball, weil ich extrem unbeweglich geworden war. Rangnick war dort Trainer, als Spieler liefen da Balakow und Bobic rum – und ich als halber Bodybuilder. Das war ein peinlicher Auftritt.

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Nach dem Spiel in Liverpool: Lars Leese wollte Karneval in Liverpool machen. Er wollte feiern. Aber seine Mitspieler gingen komplett erschöpft in die Kabine. Leese hingegen war übervoll mit Adrenalin. Als er später in die Kabine kam, herrschte dort – trotz des Sieges – eine Stille wie bei einer Beerdigung. Leese sagt später: „Alleine den Prinz Karneval zu machen, macht auch keinen Spaß.“

Sie haben Ihre Laufbahn dann im Amateurbereich ausklingen lassen und 2005 Ihre Trainerkarriere beim SV Bergisch Gladbach 09 gestartet.

Eigentlich mit dem Ziel, es auch als Trainer in den Profibereich zu schaffen.

Warum hat es denn nicht geklappt?

Ich hatte oft Angebote von anderen Vereinen, stand aber bei meinem Klub im Wort. Und das war und ist mir wichtig. Im Gegensatz zu anderen war ich nie einer, der sich bei anderen Vereinen angebiedert hat. Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das auch. Damit habe ich mir sicherlich einige Türen verschlossen.

Bleibt die Hoffnung auf eine zweites Märchen, in dem Lars Leese als Trainer wie Phoenix aus der Asche aufsteigt?

Ich will nichts ausschließen. Klar ist aber, dass ich heute mindestens genauso glücklich wie damals bin. Ich arbeite in verantwortlicher Position als Vertriebsleiter bei der Targo-Versicherung und bin da zeitlich extrem eingespannt.

Gibt es denn noch Angebote?

Immer wieder mal. Aber es muss wirklich alles passen. Vor einigen Jahren zum Beispiel habe ich mich mal bei Darmstadt 98 vorgestellt. Das war noch zu deren Drittliga-Zeiten. Ich habe mich und meine Idee vom Fußball präsentiert und auch einen guten Eindruck hinterlassen. Das war im November. Aber der Verein wollte mir nur einen Vertrag bis zum Ende der Saison geben. Ich wollte aber mindestens eineinhalb Jahre haben, um etwas aufzubauen und mich mit der Aufgabe identifizieren zu können. Aber da sind wir uns nicht einig geworden, und dann habe ich eben abgesagt. Wenn ich eine neue Aufgabe übernehme, dann mit vollem Herzen. Ich erwarte von Spielern eine hohe Identifikation und lebe diese aus selbst vor. In dieser Hinsicht bin ich ein Fußball-Romantiker.

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