Vermutlich waren es nur 150 Tote

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Wie viele Menschen fanden im Jahr 1416 bei der verheerenden Flutkatastrophe in Bad Münstereifel den Tod? Forderte das Hochwasser der Erft tatsächlich 1500 Menschenleben, wie auf dem steinernen Kreuz am Johannisstraße zu lesen ist?

Bad Münstereifel - Einer Sintflut gleich sollen die Hochwassermassen nachts innerhalb der Stadtmauern gewütet haben, Mensch und Tier unter sich begraben, Häuser und Brücken niedergerissen und das Werther Tor zum Einsturz gebracht haben. Der Befestigungsring und die des Nachts fest verschlossenen Stadttore erwiesen sich dabei als verhängnisvolle Falle und verhinderten ein Abfließen des Wassers.

Einige Münstereifeler Geschichtsschreiber, allen voran Jakob Katzvey in seiner 1854 / 55 entstandenen „Geschichte der Stadt Bad Münstereifel“, vertrauen auf die Richtigkeit der Inschrift des im 16. Jahrhunderts entstandenen Gedenkkreuzes. Andere bezweifelten seit je her diese Angabe und nennen 150 bis 200 Tote als realistisch anzunehmende Zahl der Opfer.

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In diesem Punkt der Münstereifeler Stadtgeschichte stritten seit langem die Gelehrten. Der Bonner Historiker und Rheinland-Experte Dr. Wolfgang Herborn beschäftigte sich im Rahmen einer Forschungsarbeit eingehend mit den mittelalterlichen Überschwemmungen in Bad Münstereifel und insbesondere mit der Flut im Jahre 1416. Die allgemeine Vermutung, dass die Zahlenangabe auf dem Kreuz in den Bereich der Legende gehört, konnte durch die Heranziehung neuer Quellen bestätigt werden.

Kürzlich referierte Herborn im Hürten-Heimat-Museum zum Thema „Überschwemmungen im mittelalterlichen Münstereifel“ und brachte Licht ins Dunkel der Stadtgeschichte. Ein auf 1423 datiertes, in lateinischer Sprache verfasstes Gedicht des L. von der Wye erwähnt das Hochwasser. „Weh! Was bracht in der Nacht des sechsten Juli das Wasser für greulichen Schaden!“ Das gefühlsbetonte Klagegedicht, das Herborn in ganzer Länge übersetzte, schildert ausführlich das nächtliche Hereinbrechen der Flut und ihre verheerenden Auswirkungen. Zudem enthält es wichtige Details wie den Satz: „Über 100 Städter und Fremde verschlang die Flutwelle.“

Im historischen Archiv der Stadt Köln machte sich Herborn auf die Spurensuche und stieß in zwei Versionen der „Cölner Jahrbücher des 14. und 15. Jahrhunderts“ auf die älteste chronikalische Überlieferung der Jahrhundertkatastrophe. In der „Rezension B“ der Jahrbücher heißt es im Jahr 1416, dass am 18. Juni ein schweres Gewitter niedergegangen sei, dessen Wassermassen am 23. Juni, um eine Woche verzögert, die Stadt überschwemmt hätten.

Neu ist, dass hier von einer zweiten Flutwelle die Rede ist, die am 6. Juli über Münstereifel hereinbrach und bis 10. Juli andauerte. Rund 14 Tage nach der ersten Überschwemmung folgte demnach eine zweite mit den überlieferten katastrophalen Folgen. „Über 14 Tage später auf einen Freitag (10. Juli), da versank es (Bad Münstereifel) allzumal in den Grund.“

In der „Rezension D“ (1445) der lateinisch verfassten Kölner Jahrbücher, greift Herborn auf jene Textpassagen zurück, die in der „Koelhoffschen Chronik (1499) fast wörtlich übernommen wurden. „Da ertranken mehr als 150 Menschen und mehr als 3000 Stück Vieh im Umkreis von anderthalb Meilen“. „Die von der Münstereifeler Lokalforschung propagierte Zahl von 1500 Toten befindet sich damit im Widerspruch zu allen zeitnahen mittelalterlichen Quellen,“ so Herborn. Zumal Münstereifel im betreffenden Zeitraum vermutlich nur 1000 bis 1200 Einwohner hatte.

Wie ist die Zahl von 1500 zu erklären? Handelt es sich dabei schlichtweg um einen Irrtum des Steinmetzes, wie Heimatforscher Karl Hürten 1926 in seiner “Volkstümlichen Geschichte der Stadt Bad Münstereifel“ annimmt, oder führte die in der Koelhoffschen Chronik verwendete Schreibweise der römischen Zahlen zu Missverständnissen?

Über die Zahl der Toten steht dort „IJ hundert“, wobei das zweite I mit einem Querstrich und einer Linksschleife versehen ist. Ein späterer Chronist hatte daraus „II hundert“ gelesen und die Zahl von 200 Toten abgeleitet, dabei aber nicht bedacht, dass ein durchgestrichenes römisches I die Menge einhalb ausdrückt. Das „IJ hundert“ in der Chronik bedeutet demnach soviel wie „eineinhalbhundert“, und das sind 150.

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