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Ein Gastbeitrag von Yaroslava Black-TerletskaKöln – eine alte Stadt mit neuem Geist

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Yaroslava Black-Terletska

  • Ein Gastbeitrag von Yaroslava Black-Terletska. Die in Köln lebende Ukrainerin erklärt, was man über die Stadt wissen muss.

Liebe ukrainische Freunde!

Die gute alte Stadt Köln ist ihren Gästen gegenüber sehr aufgeschlossen. Dieses runde O mit zwei lustigen Pünktchen lässt schon im Klang eine Gemeinschaft fühlen, die einem mit verschmitztem Lächeln willkommen heißt.

Hier am Rhein leben Menschen aus aller Welt. Sie machen diese Stadt so interessant und bunt wie die Karnevalswagen, die jedes Jahr durch die belebten Straßen der Stadt ziehen. Der Karneval, der hier als fünfte Jahreszeit bezeichnet wird, wurde dieses Jahr etwas anders gefeiert. Es waren bunte friedvolle Demonstrationen, dominiert von den Farben Blau und Gelb. Menschen verschiedener Nationalitäten gingen auf die Straße, um für die Ukraine zu singen, einfach um zusammenzustehen, um mitzufühlen, um den Schmerz zu teilen.

Alles zum Thema Lukas Podolski

Köln liebt es zu singen. Hier lebt die wunderbare Sängerin und Komponistin Mariana Sadovska, gebürtig aus Lwiw, hier lebt die talentierte Jazzsängerin und Komponistin Tamara Lukasheva, gebürtig aus Odessa. Hier leben viele begabte Künstler. Kein Wunder, denn Köln hat eine gute Musikhochschule, eine Freie Kunstschule, eine Filmhochschule und ganz viel Kreativität. Die Stadt ist voll von kleinen und großen Theatern, auch Kabarett-Bühnen: Hier wird gerne gelacht. Hier liebt man sein eigenes Bier, das anders als in München und in kleine dünne Gläser gezapft wird. Es ist ein helles Bier. Die anderen Feinheiten muss man bei Gelegenheit selbst rausschmecken.

Zur Person

Yaroslava Black-Terletska stammt aus der Ukraine. Aufgewachsen in Galizien – dem grünen Vorland der Karpaten – studierte sie in Czernowitz Germanistik und Philosophie. In Deutschland und der Ukraine hat sie Lyrik, Erzählungen und Essays veröffentlicht und übersetzt. Sie ist auch Kinderbuchautorin. Ihr letztes Kinderbuch „Zug der Fische“ aus dem Carlsen Verlag bekam den Hamburger Bilderbuch Preis, wie auch KIMI - Das Siegel für Vielfalt. Seit 2005 ist Yaroslava Pfarrerin, sie lebt mit ihrem Mann in Köln.

Auch wenn es den Geschmack von „Lwiw“, „Tschernihiw“ oder „Obolon“ nicht ersetzt, wird es Ihnen zumindest mit seiner feinen leichten Note gefallen. Was die Küche angeht: Kölner Kartoffelpuffer werden den Ukrainern ein vertrauter Geschmack sein, aber erwarten Sie bitte keine saure Sahne dazu. Kartoffelpuffer, hier Reibekuchen genannt, werden in Köln mit Apfelmus serviert. Sie dürfen aber sagen: Ich komme aus der Ukraine. Diese Parole bedeutet: Kein Apfelmus für mich!

Manchmal versteht man es nicht gleich. Dann greifen Sie zu einem anderen Zauberwort: Smetana! Das Wort ist den meisten wegen des bekannten tschechischen Komponisten bekannt. Was nur die Feinschmecker wissen ist, dass Smetana auch die dicke saure Sahne bezeichnet. Ja, für viele von uns ist das eine echte Pfadfinderausbildung – hier guten Sauerrahm zu finden. Doch wer sucht, wird fündig, auch wenn es sich hinter der seltsamen französischen Aufschrift „Crème fraîche” verbirgt.

Kölner lieben ihren Fußballspieler Lukas Podolski

Köln ist mehrsprachig, weltoffen und fröhlich. Kölner lieben ihren Fußballspieler Lukas Podolski, gebürtig aus Polen, und sie lieben ihren Schriftsteller und Denker, Navid Kermani, gebürtig aus dem Iran. Übrigens reiste er vor ein paar Jahren in die Ukraine und schrieb dann ein Buch über seine Reise nach Osteuropa „Entlang der Gräber”. Navid Kermani leitet in Köln einen bekannten Literatursalon, wo auch unsere Landsleute wie Jurij Andruchowytsch, oder Serhij Zhadan oft zu Besuch sind. Neben der reichen literarischen Tradition der Stadt, nennen wir nur Heinrich Böll oder der in Kiew geborene Lew Kopelew, gab es seit dem Mittelalter eine besonders starke Kunstbewegung. Weltberühmt war hier die Schule der Ikonenmalerei, deren wunderbare Werke Sie in den Museen der Stadt bewundern können. Im Museum Ludwig können Sie neben vielen anderen Schätzen auch unseren berühmten Landsmann, den in Kiew geborenen Kasimir Malewitsch, entdecken.

Köln ist eine wunderbare Mischung aus Alt und Neu

Köln ist eine wunderbare Mischung aus Alt und Neu. Ein gutes Beispiel dafür ist das besondere Kolumba Museum im Stadtzentrum, das von einem der besten Architekten der Gegenwart, Peter Zumthor, auf den Ruinen einer alten ausgebombten Kirche errichtet wurde. Sie werden Neues neben Altem sogar im ältesten und majestätischsten Gebäude der Stadt sehen, im Kölner Dom, der dem Klang nach für slawische Ohren das vertraute Wort "Haus“, oder Zu Hause" bedeutet. Den Kölner Dom, der alle Ankommenden am Hauptbahnhof grüßt, zieren neben den alten Buntglasfenstern auch ganz moderne Fenster: Sie sind das Werk von Gerhard Richter, einem bekannten, in Köln lebenden zeitgenössischen Künstler.

Im Dom befindet sich auch eine alte vergoldete Truhe, ein Schrein, der der Legende nach die Gebeine der Heiligen Drei Könige hütet. Gewiss, kann niemand es mit Sicherheit wissen, denn selbst das Evangelium weiß nicht, wohin die drei Könige nach der Anbetung des neugeborenen Christus gegangen sind. Aber die Legende lebt weiter und zieht Tausende von Touristen aus der ganzen Welt an.

Drei Kronen schmücken das Wappen der Stadt und lassen die weisen Könige aus fernem Land nicht in Vergessen geraten: Die Könige der alten Kulturen kamen, um das Neue, das Unbekannte anzubeten. Unter den drei Goldenen Kronen sieht man elf Tropfen, die elf Jungfrauen symbolisieren. Sie wurden zusammen mit der bretonischen Prinzessin Ursula von den Hunnen in Köln ermordet. Der Kölner Dom erhebt sich über dem Rhein und bildet das Herzstück der Altstadt.

Zwölf romanische Kirchen - die 13. ist der Dom, die im gotischen Still erbaute Kathedrale - sind stille Oasen und Kraftquell sowohl für die Besucher als auch für die Bewohner der Stadt.

Der Kölner Dom ist nicht nur ein Schmuckstück der Stadt, er ist ein Symbol für die Blütezeit der Kultur: das 13. Jahrhundert, die Zeit der großen Persönlichkeiten wie Albertus Magnus (begraben in der Andreaskirche) und seines Schülers Thomas von Aquin. Albert war Wissenschaftler, Theologe, Alchemist. Es wurde gemunkelt, dass er durch Gebete den Winter in den Sommer verwandelte und dass er so weise war, dass selbst die Esel in seiner Anwesenheit Latein verstanden.

Zu ihm kamen Menschen aus ganz Europa, um zu studieren: Rom, Paris, Rotterdam. Und obwohl die Stadt Köln eine altrömische Gründung war, waren es diese Persönlichkeiten, die eine neue geistige Substanz legten. Die Universität zu Köln ist neben Paris eine der ältesten Universitäten Europas. Der Name der Stadt Köln (Cologne) kommt von der Definition einer römischen Kolonie, einer römischen Siedlung.

Viele wichtige Dinge sind hier zum ersten Mal entdeckt, geschrieben oder hergestellt worden. Das eine ist Ihnen wohl bekannt, weil es auch in die ukrainische Sprache als Wort eigegangen ist: „Одеколон“. Richtig, in unserer Stadt mit einem guten Gespür für Mode und alchemistische Traditionen erschienen die ersten Parfums in Europa. Sie hießen auf Französisch Wasser aus Köln – „Eau de Cologne 4711”.

Und wenn es schon um Wasser geht, dürfen wir nicht vergessen, dass Köln eine Stadt der alten Brunnen ist, von denen jeder seine eigene, ungewöhnliche Geschichte hat. Ein besonderer Zauber spielt sich in der Nähe des Brunnens von „Heinzelmännchen“ ab. Diese lustigen Wichtel können bei der Hausarbeit helfen. Aber wenn die Leute ihre neugierigen Nasen in ihre Angelegenheiten stecken oder, Gott behüte, sie ausspionieren wollen, dann verspricht es nichts Gutes.

Das größte und bedeutsamste Wasser dieser Stadt fließt jedoch: der Rhein. Uralt und in jedem Augenblick neu fließt er unaufhörlich und trennt, wie in Kiew, das rechte und das linke Ufer. Nur hier ist es umgekehrt: Das linke Ufer ist die Altstadt und das rechte die Neustadt. Der Rhein steht für die Erinnerung dieser Stadt und für ihre Erneuerung: Alles fließt, alles ändert sich.

Das Fließende ist Teil des Charakters der Rheinländer. Es lebt auch im kölschen Dialekt, dessen Melodie einer Strömung ähnelt, deren Wellen immer aufsteigen. Daher werden sich auch Sätze, die mit einem Punkt enden müssen, für Sie womöglich so anhören, als bestünde das Gespräch der Kölner aus lauten Fragen.

Sie müssen also nichts beantworten, sondern können einfach zuhören und lächeln. Irgendwie erinnert diese Melodie an Odessa mit ihren lustigen Dialogen, in denen Fragen mit Fragen beantwortet werden. Was hier härter klingt, ist das kölsche L: Es klingt fast wie in Poltava, die Heimat unseres Landmanns Gogol, also werden sich Poltava-Leute hier auch zu Hause fühlen.

Generell fällt es einem leicht, sich in Köln zu Hause zu fühlen. Die Menschen sind offen und gastfreundlich, sie wenden sich sehr schnell per du an Sie und pflegen sich gegenseitig statt „Auf Wiedersehen” alles Mögliche zu wünschen. So werden Sie sogar an der Kasse in einem Supermarkt hören: Einen schönen Tag noch, gutes Wochenende, schöne Feiertage, mehr Sonne und dass der FC Köln endlich gewinnt. Die Hauptsache ist, man sagt zum Abschied ein paar nette Worte.

Köln lacht gern, und wenn es nun ernst sein soll, verfasst es doch eigene Gesetze. Es hat nämlich seine eigenen besonderen Gesetze.

Wie viele? Natürlich elf, entsprechend den Tropfen auf dem Wappen. Sie werden kölsch ausgesprochen, und auch wer den Dialekt nicht spricht, kennt sie auswendig. Manche von ihnen kommen mir sehr slawisch vor. Besonders das erste, das zweite und das vierte Gesetz. Da sagen Ukrainer auch oft und gerne: „Es ist, wie es ist“, „es kommt, wie es kommt“, und: „was vom Karren gefallen ist, ist weg.“

Köln hat fast alles - außer Schnee

Köln ist reich und hat fast alles, außer Schnee. Köln ist eine der wärmsten Städte Deutschlands, und es mag sein, dass sich die Ukrainer aus dem Süden hier glücklich fühlen werden. Für mich, aus Karpaten stammend, ist es im Winter etwas traurig. Darum schreibe ich im Winter Kinderbücher oder fahre stadtauswärts und schaue mir die Kinder an, die aus dem mühselig zusammengekratztem Schnee einen Schneemann basteln. Manchmal schaffen sie sogar, eine kurze Weile auf ihren Schlitten von den Hügeln herab zu rutschen.

Die Kölner wissen sehr gut, was Krieg und Verwüstung heißt: Köln war so heftig zerbombt, dass die Stadt zwischen Aschewolken und Rauchsäulen nicht mehr zu sehen war. Zwischen den Bränden stand nur die Kathedrale, die wie durch ein Wunder überlebte: schön und einsam.

Nach dem Krieg wurde die Stadt wiederaufgebaut, und Menschen aus verschiedenen Nationen und mit verschiedenen Religionen trugen dazu bei. Sie alle, so unterschiedlich und jeck, waren in diesen schweren Jahren Erbauer von etwas Neuem. Kölns Vielfalt ist sein fröhliches Gemüt und seine Stärke. Manche sagen: Köln ist vielleicht nicht die schönste Stadt der Welt. Mag sein.

Aber diese Stadt prahlt nicht, sie belehrt nicht, sie erzieht nicht. Sie lässt frei. Und alles was frei lässt – kann man lieben.

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