Kölner Schulen„Pro Klasse gibt es ein bis zwei Schüler mit Dyskalkulie“

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Schule Symbolbild

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  • Schüler mit einer Lese-, Rechtschreib- oder Rechenschwäche sind häufig benachteiligt.
  • Eine Mitschuld daran gibt Tanja Blum vom Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie den Schulen.
  • Sie rechnet damit, dass es im Durchschnitt ein bis zwei Kinder pro Klasse mit einer Dyskalkulie gibt.

Frau Blum, wie viele Kölner Kinder sind von einer Lese- und Rechtschreibschwäche betroffenen, wie viele haben besondere Problemen mit dem Rechnen?

Pro Klasse gibt es im Durchschnitt fünf bis sieben Kinder, die besondere Schwierigkeiten mit dem Lesen oder Rechtschreiben im Sinne des schulisch verbindlichen LRS-Erlasses haben. Mediziner wenden ein engeres Diagnoseverfahren an, wonach rund fünf Prozent der Kinder betroffen sind. Für die Schule gilt wie gesagt die „pädagogische“ Diagnose des LRS-Erlasses, wonach es im Durchschnitt ein bis zwei Kinder pro Klasse mit einer Dyskalkulie, also Rechenschwäche, gibt. In Köln haben demnach rund 25000 Kinder eine LRS und etwa 6000 Kinder eine Dyskalkulie. Rund 25 Prozent der Kinder mit LRS haben auch eine Rechenschwäche.

Tanja Blum leitet den ehrenamtlich tätigen Kölner „Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.“

Tanja Blum leitet den ehrenamtlich tätigen Kölner „Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.“

Wie machen sich LRS und Dyskalkulie bemerkbar?

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Betroffene verschlucken unter anderem beim Lesen Endungen, raten Wörter statt sie zu lesen, verbinden Silben nicht richtig oder verwechseln Buchstaben. Kinder mit einer Rechenschwäche verdrehen zum Beispiel Zahlen, haben Schwierigkeiten beim Überschreiten des Zehner- und Hunderterraums, vergessen immer wieder das Einmaleins oder ihnen fällt das Kopfrechnen schwer. Die Probleme können sehr unterschiedlich sein – was die Art und den Schweregrad anbelangt. Typisch für beide Schwächen ist, dass es trotz intensiven Übens nur zu geringen Lernfortschritten kommt.

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Dyskalkulie kann seelische Probleme erzeugen

Wann sollten Eltern aufhorchen?

Wenn mehrere dieser Faktoren zusammentreffen, sollten Eltern das Gespräch mit den Lehrkräften suchen. Aber schon im Kindergartenalter können Hinweise für mögliche, später auftretende Schwierigkeiten beim Lesen-, Schreiben- oder Rechnenlernen auffallen. Wenn ein Kind etwa oben, unten, rechts und links verwechselt, Schwierigkeiten beim Fangen und Werfen eines Balls hat, beim Hüpfen und Balancieren oder Mengenverhältnisse schwer abschätzen kann.

Welche Ursachen haben LRS und Rechenschwäche?

Sie können genetisch bedingt sein, aber auch ungünstige Einflüsse und Entwicklungen in der Kindheit fördern LRS und Dyskalkulie – etwa häufige Mittelohrentzündungen, eine Winkelfehlsichtigkeit oder auch viele Lehrerwechsel.

Gibt es auch psychische Folgen?

Kinder entwickeln unter anderem Schul- und Versagensängste, haben Furcht, ausgelacht zu werden, es fehlen soziale Kontakte, das Selbstwertgefühl sinkt dramatisch und die Kinder denken oft: Ich bin das dümmste Kind der Welt. Den seelischen Problemen können körperliche folgen – wie Kopf- oder Bauchschmerzen, sogar Depressionen. Die Kinder, die keine Unterstützung erfahren, geraten oft in einen Teufelskreis. Die einen werden zum Pausenclown, andere aggressiv und manche ziehen sich in sich zurück. Je früher eine LRS oder Rechenschwäche auffällt, desto eher kann das Kind gefördert, können psychische und körperliche Probleme verhindert oder gemildert werden.

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Pro KLasse gibt es 5 bis 7 Kinder mit LRS

Laut LRS-Erlass sind Schulen für die Förderung der Kinder verantwortlich.

Das Problem ist: Die Themen kommen in der Ausbildung der Lehrkräfte kaum vor. Daher wissen sie nicht, wie sie die Schwierigkeiten erkennen können und wo die Förderung ansetzen muss. Hinzukommt, dass Lehrerinnen und Lehrer heute einen großen Spagat bewältigen müssen. Sie haben zu große Klassen mit bis zu 32 Kindern – einer bunten Mischung aus hochintelligenten, langsamen, von ADHS oder einer LRS und Dyskalkulie Betroffenen. Hier mangelt es an Know-how, wie in derart heterogenen Klassen Unterricht organisiert werden kann – und an Experten, die die Lehrer beraten und vor Ort unterstützen.

Wie könnten Schulen denn trotz dieser Widrigkeiten besser fördern?

Man muss unterscheiden zwischen der Förderung im eigentlichen Unterricht und LRS-Kursen, die an manchen Schulen angeboten werden. Für letztere fehlt es allerdings oft an geschultem Personal und an Zeit im Stundenplan. Deshalb müssen Fördermaßnahmen vor allem im Regelunterricht umgesetzt werden. Hier gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie größer formatierte Arbeitsmaterialien, mit mehr Zeilen- und Zeichenabstand. Auch kann es hilfreich sein, betroffene Kinder in die erste Reihe zu setzen oder ihnen Tafelbilder als Kopie auszuhändigen. Bei der Dyskalkulie etwa könnte der Taschenrechner früher eingesetzt oder mehr mit Anschauungsmaterialien gearbeitet werden. Die wichtigste Maßnahme besteht aber darin, die Kinder selbst für kleinste Fortschritte zu loben.

Sie sollen zudem Nachteilsausgleich und Notenschutz erhalten.

Beides ergibt sich aus dem LRS-Erlass, in dem geregelt ist, welche Kinder unter die Bestimmungen fallen, nämlich diejenigen, die mindestens drei Monate lang nicht ausreichende Leistungen im Lesen und Rechtschreiben aufweisen. Das gilt für die Klassen drei bis sechs und ab der Siebten, wenn die besonderen Schwierigkeiten weiterbestehen. Das festzustellen ist Aufgabe der Deutschlehrer, ein ärztliches Attest ist nicht erforderlich. Wenn ein Kind unter die Erlassregelungen fällt, muss die Schule einen Notenschutz geben, das heißt, sie darf in keinem Fach die Rechtschreibleistung in die Bewertung von Klausuren einbeziehen. Für den Anspruch auf Notenschutz und Nachteilsausgleich bedarf es keiner außerschulische Förderung – was aber oft von Schulen verlangt wird.

Serie: Gleiche Chancen für alle Kinder.

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In der Oberstufe gibt es einen Nachteilsausgleich nur unter strengen Auflagen.

In der Sekundarstufe II fällt der Notenschutz weg, es ist nur noch ein Nachteilsausgleich vorgesehen. Anders als in den Klassen 3 bis 9 beziehungsweise 10 ist laut Bezirksregierung Köln ein ärztliches Attest vorzulegen, womit ein Antrag bei der Schule auf einen Nachteilsausgleich gestellt werden kann. Wichtig ist, dass die Schule ihn auch schon in der SekundarstufeI gewährt und dokumentiert hat. Aus verschiedenen, schwer nachvollziehbaren Gründen gewähren viele Schulen diesen Ausgleich, gar nicht oder zögerlich. Es kommt vor, dass ein Schüler mit einer schweren Legasthenie für eine vierstündige Abiturklausur eine Zeitverlängerung von 15 Minuten erhält. Damit wird die Auflage verknüpft, dass nur die Hälfte dieser knappen Zeit für die Aufgabenbearbeitung genutzt werden darf, die andere Hälfte zum Auffinden und Korrigieren der Rechtschreibfehler – also für genau das, was der Schüler ja nicht kann, nämlich Rechtschreibregeln anwenden.

Was können Eltern tun, wenn sie unzufrieden sind mit der schulischen Förderung ?

Faktisch lassen viele Eltern ihre Kinder bei privaten Therapeuten betreuen – was bis zu 300 Euro pro Monat kostet. Laut Sozialgesetzbuchs können Eltern einen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt stellen, damit das Amt die Therapiekosten übernimmt. Das setzt aber voraus, dass ein Facharzt eine Legasthenie oder Dyskalkulie diagnostiziert hat und dass das Kind schon länger als sechs Monate unter seelischen Problemen leidet – oder davon bedroht ist.

Was würden Sie sich von Stadt und Land wünschen?

Eine bessere Aufklärung der Lehrkräfte über LRS und Dyskalkulie und den LRS-Erlass wäre ein erster Schritt. Zudem sollten die Themen einen festen Platz in der Lehrerausbildung erhalten. Auch ist es an der Zeit, dass die Rechenschwäche schulrechtlich als Teilleistungsstörung anerkannt wird. Und natürlich sollte eine bessere Förderung in den Schulen stattfinden. Dann hätten betroffene Kinder bessere Chancen auf einen guten Schulabschluss und eine erfolgreiche Berufsausbildung. Ende letzten Jahres haben wir bei der Ministerin für Schule und Bildung, Yvonne Gebauer, einen neuen Erlassentwurf eingereicht, der in Zusammenarbeit mit der Landeselternschaft der Gymnasien entstand und von Elternverbänden, der Uni Köln, dem Kinder- und Jugendpsychiaterverband und dem Psychologenverband unterstützt wird. Wir hoffen wir auf baldige Rückmeldung.

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