HDI-Leben-Chef über Digitalisierung„Sich wiederholende Tätigkeiten werden wegfallen“

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Patrick Dahmen

Patrick Dahmen ist seit 2019 Vorstandschef des HDI in Deutschland.

  • Köln ist nicht mehr die alleinige Nummer eins für Versicherungen in Deutschland, sagt Patrick Dahmen.
  • Der Vorstandschef macht Mut, dass Digitalisierung nicht bloß zu Jobabbau führen wird.
  • Auch zum kulturellen Wandel in Unternehmen äußert sich Dahmen: „Nur weil man sich duzt oder keine Krawatte trägt, heißt das noch nicht, dass wir uns wirklich weiterentwickeln und effektiver zusammenarbeiten“.

Köln – Patrick Dahmen, Vorstandschef der HDI Leben, spricht im Interview über Lebensversicherungen, neues Arbeiten, niedrige Zinsen und den Versicherungsstandort Köln.

Sie sind Anfang des Jahres von der Axa zu Talanx als Vorstand der HDI-Lebensversicherung gewechselt. Wie unterscheiden sich die Kulturen der beiden Unternehmen?

Die Axa, für die ich sehr lange gearbeitet habe, ist ein großer, zentral aufgestellter, internationaler Konzern. Die Talanx, zu der HDI gehört, ist dagegen sehr dezentral aufgestellt. Das Unternehmen ist zwar börsennotiert, hat aber mit dem HDI-Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit einen starken Anker-Aktionär. Das heißt, man denkt weniger in Quartalszahlen, sondern mittel- bis langfristig, kann aber gleichzeitig schneller entscheiden. Das ist gelebtes Unternehmertum.

Die Lebensversicherung bleibt aufgrund des nach wie vor niedrigen Zinsniveaus ein schwieriges Feld. Wie wollen Sie dort wachsen?

Der Bedarf an Vorsorge bei den Menschen wird weiterhin hoch sein – auch, weil der Staat sich immer mehr zurückzieht. Das Thema bleibt zentral. Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz sind neue Möglichkeiten der Vorsorge geschaffen worden. Hier sehen wir großes Wachstumspotenzial. Und im Firmenkundengeschäft haben wir dank der Gerling-Historie auch starke Kompetenzen.

Zur Person

Patrick Dahmen, geboren 1973 in Essen, machte eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Commerzbank und studierte im Anschluss Betriebswirtschaftslehre  an der Universität Oldenburg, machte einen Master an der London School of Economics und promovierte im Anschluss in St. Gallen. Von 1999 bis 2018 arbeitete er für den Versicherungskonzern Axa in verschiedenen Positionen, zuletzt als Vorstand mit Gesamtverantwortung für das Vorsorge-Geschäft in Deutschland. Seit 2019 ist er Mitglied des Vorstands HDI Deutschland AG, Geschäftsbereich Privat- und Firmenversicherung (Leben und Kapitalanlagen). Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Die Talanx AG ist ein deutscher Versicherungskonzern mit Sitz in Hannover. Talanx ist gemessen an den  Bruttoprämien der drittgrößte deutsche Versicherungskonzern nach der Allianz und Munich Re/Ergo. 2018 erzielte das Unternehmen Prämieneinnahmen von 34,9 Milliarden  Euro.  Talanx ist in mehr als 150 Ländern aktiv. Zu Talanx zählen unter anderem HDI mit Versicherungen für Privat- und Firmenkunden sowie Industriekunden, Hannover Rück und die auf Bankenvertrieb spezialisierten Neue Leben. 2006 übernahm das Unternehmen den Kölner Versicherer Gerling. In Köln-Deutz hat unter anderem die Lebensversicherungssparte des Konzerns ihren  Sitz.  (cos)  

Generali hat seine Lebensversicherung an eine Abwicklungsplattform verkauft, weil das Unternehmen bei der klassischen Lebensversicherung offenbar keine Perspektive mehr gesehen hat. Wäre das auch für den HDI eine Option?

Wir haben ein klares Bekenntnis zur Lebensversicherung und eine Wachstumsstrategie. Vor diesem Hintergrund haben wir also derzeit keine Verkaufsabsichten.

Es wird immer schwieriger am Kapitalmarkt Rendite zu erwirtschaften. In welche alternativen Anlagen sind Sie investiert?

HDI Deutschland beteiligt sich über Eigen- und Fremdkapitalvergabe mittlerweile an Wind- und Solarparks, Stromnetzen, Versorgern oder Schienenprojekten in Deutschland und dem europäischen Ausland. Derzeit sind rund 1,7 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekten direkt angelegt. Die Digitalisierung verändert auch die Versicherungsbranche grundlegend.

Auch amerikanische Internetgiganten wie Google oder Amazon könnten das Assekuranzgeschäft für sich entdecken. Wie sehen Sie dem entgegen?

Ich halte einen Markteintritt für sehr realistisch. Ansonsten hätte man den Geist der Zeit nicht verstanden. Sieht man sich etwa in Shanghai um, wo viele digitale Geschäftsmodelle entstehen, wird deutlich, wie wichtig Online-to-Offline geworden ist. Große Internethändler wie etwa Alibaba investieren massiv in die Offline-Welt. Und auch wir sehen, dass die Kunden sich im Netz informieren, dann aber den Vertrag offline abschließen. Das bedeutet, dass wir die Welten maximal verknüpfen müssen, das Multikanal-Management ist enorm wichtig, ebenso wie eine Stärkung des personalen, digital vernetzten Vertriebs.

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Digitalisierung heißt immer auch Stellenabbau. Wie viele Mitarbeiter werden Sie in zehn Jahren noch haben?

Das lässt sich nicht sagen. Sicher werden sich wiederholende Tätigkeiten wegfallen. Aber es werden neue Job-Profile hinzukommen, etwa im Rahmen neuer digitaler Geschäftsmodelle, Data Analytics oder Robotik.

Köln hat mit dem Wegzug der Generali-Hauptverwaltung aber auch mit dem Verschwinden der Marke Gerling im Zuge der Übernahme durch den HDI als Versicherungsstandort große Namen verloren. Wie bedeutend ist die Stadt noch für die Branche?

Immer noch sehr. Neben München ist Köln nach wie vor der relevanteste Standort der Branche. Das gilt auch für uns. Wir haben hier die Gerling-Herkunft, die wichtig ist. Und wir wollen unseren Sitz hier auch weiterhin stark halten sowohl in Bezug auf Personal als auch unsere Zusammenarbeit mit anderen Partnern in Köln. Wir finden hier auch aufgrund der weiten Hochschullandschaft sehr gute Leute für unser Geschäft. Und den Zuzug der Zurich-Versicherung bewerte ich ebenfalls positiv.

Viele Wettbewerber, wie auch Ihr früherer Arbeitgeber Axa, setzen auf neue Formen des Arbeitens. So hat der Axa-Chef etwa kein eigenes Büro mehr. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Lange Zeit war der Vorstand eher abgeschottet – hier wollen wir uns deutlich öffnen und näher an die Mannschaft heranrücken – sowohl räumlich als auch emotional. Ich habe mein Büro ebenfalls aufgegeben und nutze unsere Besprechungsräume. Um unser Wachstum voranzutreiben, wollen wir uns auch kulturell weiterentwickeln. Dazu gehört mehr unternehmerisches Denken und Begegnung auf Augenhöhe. Nur weil man sich duzt oder keine Krawatte trägt, heißt das noch nicht, dass wir uns wirklich weiterentwickeln und effektiver zusammenarbeiten – auf der anderen Seite sind das auch wichtige Signale des kulturellen Wandels. Wir öffnen die Büroräume und fördern kollaboratives Arbeiten, um schneller Entscheidungen zu treffen.

Wie bewerten das die Mitarbeiter? Nicht jeder dürfte davon begeistert sein...

Sicher kommt nicht jeder gleichermaßen damit zurecht. Wir haben die Mitarbeiter aber im Vorfeld eingebunden und bieten verschiedene Optionen an. Aber klar ist, wir müssen uns alle verändern und da muss jeder seinen Beitrag leisten. Ich selber natürlich an erster Stelle.

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