Die Übernahme des Leverkusener Kunststoffherstellers Covestro durch den Staatskonzern Adnoc aus Abu Dhabi ist perfekt. Wer ist der Käufer? Und was hat er mit Covestro vor?
Neuer Eigner AdnocCovestro gehört jetzt den Scheichs – Ein Blick hinter die Kulissen

Das Tauziehen um den Leverkusener Kunststoffkonzern ist beendet.
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Es ist vollbracht. Nach mehr als einem Jahr des Werbens um die Aktionäre und des Ringens mit den Wettbewerbsbehörden ist der Zwölf-Milliarden-Euro-Verkauf von Covestro an den Ölkonzern Adnoc abgeschlossen. Inklusive Schulden werden die Leverkusener damit mit rund 15 Milliarden Euro bewertet. Es ist die erste Übernahme eines deutschen Dax-Unternehmens durch einen arabischen Investor. Wer ist der neue Eigentümer? Und was hat er mit Covestro vor?
Adnoc-Chef gleichzeitig Minister
Das Namenskürzel Adnoc steht für Abu Dhabi National Oil Company. Adnoc ist also der staatliche Öl- und Gaskonzern des Emirates Abu Dhabi und entsprechend eng an das dortige Regime gebunden. Die Verquickung wird schon in der Personalie des CEOs deutlich. Sultan Ahmed Al Jaber steht nicht nur dem Adnoc-Firmengeflecht vor, er ist zugleich Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate, zu denen Abu Dhabi gehört. Al Jaber ist aber, anders als sein Vorname „Sultan“ vermuten lässt, nicht Teil der Herrscherfamilie Al Nahyan. Dieser steht Scheich bin Zayid Al Nahyan vor. Er kontrolliert gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern auch den Verwaltungsrat von Adnoc. Die Familie hat Al Jaber also zum Firmenchef bestellt.

Adnoc-CEO Sultan Ahmed Al Jaber auf der Weltklimakonferenz 2023 in Dubai.
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Adnoc baut Kapazitäten zur Ölförderung massiv aus
In die Schlagzeilen geriet der Adnoc-Chef 2023, als er den Vorsitz der Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai übernahm. Ausgerechnet ein Ölmanager sollte den Klimaschutz voranbringen? Für Al Jaber, an Elite-Universitäten in den USA und Großbritannien zum Ingenieur ausgebildet, kein Gegensatz. Er ließ die Kapazitäten für die Ölproduktion von Adnoc zuletzt massiv ausbauen. Von derzeit rund 3,8 Millionen Barrel pro Tag sollen sie bis 2027 auf fünf Millionen Barrel ansteigen. Gleichzeitig kündigte er Milliardeninvestitionen in Kreislaufwirtschaft, saubere Energie und erneuerbare Kraftstoffe an. Dazu gehört auch der Kauf von Covestro.
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Die Strategie der Araber ist also zweigleisig. Einerseits presst Adnoc, das nach eigenen Angaben über die fünftgrößten Ölreserven der Welt verfügt, so viel Öl und Gas aus dem Boden, wie sich verkaufen lässt. Andererseits sorgt das Scheichtum mit den Petrodollars für die Zukunft nach dem Erdölzeitalter vor. Denn eines will Abu Dhabi gewiss nicht: Nach dem Boom in die Armut zurückfallen, die den Bewohnern des Landes noch sehr präsent ist.
Adnoc-Headquarter doppelt so hoch wie der Kölner Dom
Bis in die 1960er Jahre lebten die Menschen am Persischen Golf noch vom Verkauf von Datteln und der Fischerei. Erst 1959 wurde die erste Schule des Landes gebaut. 1971 wurde Adnoc gegründet. Heute verfügt das Emirat über einen internationalen Flughafen und mehrere Fußballstadien. Wo vor wenigen Jahrzehnten noch Fischer ihre Netze flickten, ragt heute das Hauptquartier von Adnoc in den Himmel. Ein 335 Meter hoher Monolith, doppelt so hoch wie der Kölner Dom. Eine Doppelfassade und photovoltaisches Glas fangen auf 65 Stockwerken die grelle Wüstensonne ein. Drinnen finden sich neben Büros auch ein Spa-Bereich und ein Firmenmuseum. Draußen, am anderen Ende der Strandpromenade, residiert XRG, die Investmenttochter von Adnoc.

Das Headquarter von Adnoc ist ein monumentaler Ausdruck der Macht des Ölriesen.
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XRG nimmt weitere Investitionsziele ins Visier
Sie ist der neue Besitzer von Covestro. XRG hält darüber hinaus auch Beteiligungen an Gasfeldern, Flüssiggasprojekten und Pipelines in aller Welt. Vor allem ist sie aber gemeinsam mit dem österreichischen Ölunternehmen OMV Eigentümer des rund 60 Milliarden US-Dollar Börsenwert schweren Chemieriesen Borouge International. Damit ist den Ambitionen von XRG aber längst nicht Genüge getan. Eine 19-Milliarden-US-Dollar-Offerte für den australischen Ölkonzern Santos musste XRG im September dieses Jahres zwar zurückziehen. Grundsätzlich hält das Unternehmen aber weiter Ausschau nach Zukäufen, bevorzugt in der petrochemischen Industrie. Gerüchteweise gab es bei XRG sogar Überlegungen, den britischen Mineralölkonzern BP zu schlucken. CEO des expansionshungrigen Unternehmens ist übrigens kein anderer als: Sultan Ahmed Al Jaber.
Deutsche Topmanager bei XRG
Der hat um sich ein Team von europäischen Topmanagern geschart. Der ehemalige Investment-Banker Klaus Fröhlich gilt in seiner Funktion als Chief Investment Officer von XRG als der Architekt hinter dem Covestro-Deal. Mit dem Ex-OMV-CEO Rainer Seele leitet zudem ein weiterer Deutscher das Chemiegeschäft der Gruppe. Er wird voraussichtlich den Vorsitz im Aufsichtsrat von Covestro übernehmen. Seele hat in seiner Zeit bei OMV eine ähnliche Strategie gefahren wie derzeit bei XRG. Weg vom Öl, rein in die Chemie. So hat er etwa das deutsche Tankstellennetz verkauft und im Gegenzug den OMV-Anteil am Kunststoffhersteller Borealis erhöht. Er hat aber auch noch nach der Krimbesetzung 2014 die Abhängigkeit von russischem Gas weiter erhöht. Ebenfalls eine Gemeinsamkeit mit Al Jaber: Auch der unterhält ungeachtet von Putins Expansionskurs weiter Geschäftsbeziehungen mit dem Kreml. Noch 2019 übernahm er den Chefposten in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Gaskonzern Lukoil und kooperierte mit dem milliardenschweren russischen Staatsfonds RDIF. Beide Institutionen unterlagen zu diesem Zeitpunkt bereits westlichen Sanktionen.

Der Ex-Chef des Ölkonzerns OMV Rainer Seele leitet das Chemiegeschäft bei XRG. Er gilt damit als wahrscheinlicher Kandidat für den Vorsitz im Covestro-Aufsichtsrat. (Archivfoto)
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Adnoc versorgt Deutschland mit Flüssiggas
Der einflussreiche Strippenzieher ist dennoch ein gern gesehener Partner für die deutsche Politik. Als die Bundesrepublik 2022 dringend Alternativen zum russischen Gas brauchte, reiste Wirtschaftsminister Robert Habeck an den Golf – und kam mit Zusagen für die Lieferung von Flüssiggas zurück. Flüssiggas von Adnoc. Auch Katherina Reiche reiste erst im November nach Abu Dhabi, um für weitere Investitionen in Deutschland zu werben. Reiche lobte den Covestro-Deal bei dieser Gelegenheit als „Bekenntnis zur langfristigen Weiterentwicklung des Unternehmens“ und bekräftigte, Adnoc eröffne Covestro „neue Perspektiven für Wachstum, Beschäftigung und die Transformation der Chemiebranche“.
Das sind Hoffnungen, die man auch in Leverkusen hegt. Statt den Konzern auszuplündern, wie es ein Finanzinvestor vielleicht getan hätte, schießt XRG nach der Übernahme 1,17 Milliarden US-Dollar an Covestro zu. Gelder, die den Konzern, der seit Jahren ein negatives Nettoergebnis einfährt, kurzfristig stabilisieren, mittelfristig aber in die Lage versetzen sollen, zu wachsen. Erklärtes Ziel ist es nämlich, das Unternehmen zu den Top-drei-Chemieunternehmen weltweit zu machen. Dafür müsste sich der Jahresumsatz vom derzeitigen Niveau aus mindestens verdoppeln, eher verdreifachen.
Mitbestimmung bei Covestro, Menschenrechtsdefizite in Abu Dhabi
Perspektiven, die sowohl das Management von Covestro, als auch die Gewerkschaft IGBCE überzeugt haben. Beide haben das Engagement von Adnoc nach eingehenden Verhandlungen befürwortet. Letztere, nachdem klar war, dass die Mitbestimmung in deutschen Betrieben genauso erhalten bleibt wie bestehende Arbeitsplatz- und Standortgarantien. Damit sind betriebsbedingte Kündigungen bei Covestro bis Ende 2032 ausgeschlossen. Rechte, von denen die Menschen in Abu Dhabi übrigens nur träumen können. Dort steht Homosexualität nach wie vor unter Strafe. Auf der Rangliste der Pressefreiheit nehmen die Emirate den 164. Platz unter 180 Nationen ein, gefolgt von Kuba und Belarus. Von Frauenrechten nach westlichem Verständnis kann ohnehin keine Rede sein.
Wirtschaftlich könnte das Timing für den Abschluss des Deals kaum besser sein. Denn die Chemieindustrie steckt tief in der Krise. Die Transformation hin zu Kreislaufwirtschaft und ressourcenschonenden Verfahren erfordert viel Kapital. Nicht unwahrscheinlich, dass sich in diesem Umfeld lukrative Kaufgelegenheiten bieten. Diesmal mit Covestro als Käufer, nicht als Übernahmeziel. Oder mit den Worten von Covestro-CEO Markus Steilemann: „Das ist der Beginn eines spannenden neuen Kapitels für Covestro.“

