Wempe-Chefin über Köln„Wir sind in der Innenstadt Zuhause“

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Kim-Eva Wempe

  • Kim-Eva Wempe spricht im Interview über Köln, die Zukunft des Einzelhandels und Herausforderungen in der Pandemie.
  • Über die Hohe Straße sagt sie, wenn man sie hinunterlaufe, gebe es „schon Stellen, an denen man sich fragt, wann sie endlich zu Ende ist“.

Köln – Frau Wempe, seit mehr als 50 Jahren gibt es eine Wempe-Niederlassung in Köln, nun sind Sie von einer Ecke der Hohe Straße an die andere gezogen. Wie fühlen Sie sich in der Stadt? Wempe: Köln stand in der Expansionsphase sehr früh auf der Liste meines Vaters. Die Stadt ist ein unglaublicher Anziehungspunkt in der Welt. Und klar, wenn es hier eine bedeutende Straße gibt, ist das die Hohe Straße. Aber wenn man sie heute hinunterläuft, gibt es schon Stellen, an denen man sich fragt, wann sie endlich zu Ende ist. Der Weg vom Dom zu uns war immer sehr weit, die Parkmöglichkeiten schlecht. Also haben wir vor acht Jahren begonnen, uns nach einer neuen Immobilie umzusehen. Nie hat es gepasst. Als dann aber 2019 das Gerücht aufkam, dass Esprit – unserer Vormieterin im Stollwerck-Haus – den Mietvertrag nicht mehr verlängern möchte, haben wir vorsichtig vorgefühlt. Das Gebäude ist perfekt für uns. Das war einfach Fügung.

Der stationäre Einzelhandel leidet unter dem Erstarken des Onlinehandels, die Pandemie hat das Problem verschärft. Bereitet Ihnen das Sorge?

Das betrifft uns natürlich auch, da wir in der Innenstadt Zuhause sind. Der stationäre Einzelhandel erlebt gerade viel Gegenwind. Aber ich glaube daran, dass die Menschen gerne auf „Marktplätze“ gehen, miteinander reden und sich austauschen. Niemand möchte alles vom Schreibtisch aus erledigen. Außerdem sind wir natürlich in einer besonderen Branche Zuhause. Wir verkaufen Schmuck, Juwelen, Uhren – Dinge, die sehr persönlich und wertvoll sind, häufig ein Geschenk. Da braucht es die Beratung und das Probieren. Beides kann nur vor Ort stattfinden.

Zur Person

Kim-Eva Wempe ist seit 2003 Geschäftsführerin des Uhren- und Juwelen-Händlers Wempe. Sie leitet das Hamburger Familienunternehmen, das 1878 gegründet wurde, in vierter Generation. Auch ihre beiden Kinder Scott und Chiara Wempe sind bereits ins Unternehmen eingetreten.

2019 erwirtschaftete Wempe rund 562 Millionen Euro Umsatz, im ersten Corona-Jahr 2020 waren es 439,1 Millionen. Das Unternehmen hat 32 Niederlassungen in Deutschland und dem Ausland und beschäftigt rund 800 Mitarbeiter. Seit 2000 beziehungsweise 2006 fertigt Wempe auch selbst Schmuck und Armbanduhren.

Andere Einzelhändler gestalten ihre Geschäfte um, der Trend geht hin zu weniger Fläche und mehr Beratung. Sie setzen dagegen schon immer stark auf diese Art von Service. Ändert sich trotzdem etwas?

Unsere Geschäfte werden tatsächlich größer, denn unsere Kundschaft wünscht sich mehr Privatsphäre. Früher hatten wir 120 bis 150 Quadratmeter Verkaufsfläche mit sieben Verkaufstischen. Die Leute hatten Spaß, wenn sie zu uns kamen, ein Kunde kannte den anderen. Nach dem Motto: Och Mensch, samstags bei Wempe, da trifft man sich. Im Stollwerck-Haus haben wir für solche Begegnungen die Bar im Erdgeschoss. Im Obergeschoss kann man dagegen mit seiner Beraterin persönliche Gespräche führen.

Welche Bedeutung kommt bei Ihnen dem Onlinehandel zu? Sie haben ja erst seit 2019 einen digitalen Shop.

Die Leute kommen lieber ins Geschäft, als Juwelen online zu kaufen. Trotzdem haben wir in den vergangenen Jahren die Informationsfunktion der Website immer weiter ausgebaut – und wenn Sie das tun, können Sie auch einen Shop integrieren. Wir haben uns also entschieden, ausgewählte Artikel anzubieten, die man nicht anprobieren muss. Im ersten Jahr haben einige Menschen dieses Angebot genutzt, aber in geringem Maße. Sie haben sich eher auf der Website informiert, bevor sie ins Geschäft kamen. Tja, und dann kam Corona und der Shop ging durch die Decke.

Das heißt?

Die Umsätze sind von einem kleinen Millionenbetrag auf einen fast zweistelligen Wert gestiegen. Das ist immer noch ein sehr geringer Anteil, aber die Potenzierung war enorm. Und sie hat uns gezeigt, wie viel Vertrauen wir genießen. Denn wenn Sie im Internet einen Diamanten kaufen, können Sie überhaupt nicht beurteilen, welche Qualität er hat.

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Wie sind Sie insgesamt durch die Pandemie gekommen?

2020 war ein Schock. In so einer Situation machen Sie erstmal Verluste und hoffen, dass Sie überhaupt über die Runden kommen. Wir hatten jeden Morgen um 11 Uhr Krisensitzung, das war nervenzehrend. Im Juli 2020 ging es dann wieder los. Es bestand Aufholbedarf, da zu Anlässen wie Geburtstagen oder Jahretagen keine Geschenke gekauft werden konnten. Erst lag der Umsatz bei null und dann haben die Kundinnen und Kunden uns sprichwörtlich die Niederlassungen gestürmt, das war toll zu erleben. Als dann am 16. Dezember 2020 der nächste Lockdown kam, war ich fassungslos. Bis April 2021 haben wir noch mit Verlusten geplant, dann stellte sich zum Glück der Effekt ein, den wir schon aus dem Vorjahr kannten. Es machte sich stark bemerkbar, dass die Leute nicht reisen konnten. Auch wurden unsere Goldschmiede- und Uhrenwerkstätten im Service stark beansprucht.

Was bedeutet das in Zahlen?

Am Ende ist es uns gelungen, 2021 international den Umsatz von 2019 zu erreichen. In Deutschland haben wir das knapp geschafft. Omikron hat uns stark belastet. Wir hatten personelle Ausfälle und sagen wir so, an Mittagspausen war stellenweise nicht mehr zu denken. Aber die Arbeit hat natürlich trotzdem Freude gemacht.

Wie bewerten Sie das politische Pandemiemanagement?

Ich werde mich bestimmt nicht über die politischen Maßnahmen beschweren – das hat ja niemand böse gemeint. Keiner wusste, was zu tun ist. Das ist meine persönliche Sicht. Aber ich war wirklich nicht mehr gut gelaunt. Als wir am 16. Dezember mitten im Weihnachtsgeschäft schließen mussten – ich war sprachlos. Ich bin in die Hamburger Innenstadt gegangen, dort wirkte alles so traurig und trist. Wir haben jeden Tag eindekoriert, damit es hübsch aussieht.

Sie sind seit mehr als 30 Jahren im Unternehmen aktiv. Wie ordnen Sie die Corona-Pandemie im Vergleich zu anderen Krisen ein?

Ich bin vor ein paar Jahren in die Mongolei geflogen. Einmal in meinem Leben habe ich mich für zwei Wochen abgemeldet. Und was ist passiert? Ein Cyber-Angriff. Daran trugen wir auch selbst Schuld, und das war ein böser Angriff, aber damit konnten wir umgehen. Corona ist das erste Mal, dass etwas passiert ist, das uns im Unternehmen Probleme bereitet hat, Entscheidungen zu treffen. Wir sind fünf Personen in der Geschäftsleitung. Normalerweise sind wir uns schnell einig. Aber bei Corona… Ich bin bei Krankheiten pragmatisch: Es trifft mich, es trifft mich nicht. Aber ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine andere Einstellung und ein anderes Empfinden haben. Und schon in der Geschäftsleitung waren wir uns bei jeder Entscheidung uneinig. Ob die Schutzscheibe aus Plastik oder Glas sein soll, ob mit Test oder ohne, manche wollten teilweise gar keine Kundschaft einlassen. Aber wir haben daraus gelernt. 2021 waren wir geübt im Corona-Krisenmanagement.

Welche wirtschaftlichen Ziele haben Sie für 2022?

Wir sind ein bisschen vorsichtig mit Prognosen, denn: Vieles wird sich ändern, wenn die Menschen wieder reisen dürfen. Wenn wir in Deutschland das Niveau von 2021 erreichen, wären wir damit sehr zufrieden. Wir rechnen damit, die gleiche Stückzahl zu verkaufen, aber viel hängt von der Preisentwicklung ab. Zum Beispiel bei Diamanten: Durch Corona-Erkrankungen sind so viele Schleifer ausgefallen, dass es an kleinen Steinen mangelt. Dadurch sind die Preise bei geschliffener Rohware um 20 bis 25 Prozent gestiegen. Auch der Goldpreis steigt, und ich gehe davon aus, dass die Lohnkosten folgen werden.

Ihre Kinder sind mittlerweile ebenfalls im Unternehmen. Welche Zukunftsthemen werden sie beschäftigen?

Die Welt bleibt nie stehen, es gibt immer neue Herausforderungen. Als mein Vater angefangen hat, funktionierte der Uhrenmarkt noch ganz anders. Die Konzentration auf Herstellerseite ist mittlerweile sehr groß. Abgesehen davon ist der digitale Wandel natürlich ein Thema. Mein Sohn hat bei uns als Junior Projektleiter Microsoft 365 eingeführt. Meine Tochter kümmert sich um das Rebranding unserer Marken by Kim und Wempe Glashütte I/SA. Den beiden ist wichtig, dass sie in der Firma für ihre Arbeit respektiert werden, nicht für ihren Namen.

Haben Sie konkrete Wachstums- oder Übernahmeziele?

In unserer Branche gibt es Unternehmen, die zu internationalen Konzernen wachsen; die an den Börsen gehandelt werden. So denken wir nicht. Wir haben mittlerweile eine Größe erreicht, die es uns erlaubt, uns gegen die Konkurrenz zu behaupten. Aber wir wollen nicht um jeden Preis wachsen. Schon vor 20 Jahren hätten wir in den USA eine Gruppe kaufen können. Aber wissen Sie, ich wünsche mir im Unternehmen eine Nähe, wie ich sie zum Beispiel zu unserem Kölner Geschäftsführer Jochen Siemer habe. Und ich wünsche mir, dass meine Kinder das auch entwickeln. So etwas spüren auch die Kunden. Als ich mit 20 Jahren Betriebswirtschaft studiert habe, konnte ich das alles nicht glauben: Oligopol und Monopol, das kann doch gar nicht sein, dass alles immer größer wird. Heute sehen wir es überall. Für mich ist aber nur wichtig, eine Größe zu halten, bei der die Schultern breit genug sind, dass man nicht einfach so an uns vorbeikommt.

Sie halten also nichts vom ewigen Wachstum?

Ich bin sehr froh, dass mein Sohn European Thoughts studiert. Dass neue Gedanken gedacht werden, Stichwort Degrowth, diese Dinge. Ich kann das selbst nicht mehr denken, aber ich weiß, irgendetwas wird sich ändern müssen.

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