Abschluss mit AuszeichnungDie Kunsthochschule als Käseglocke

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Viel zu tun: Eli Cortinas bei der Arbeit in ihrem Atelier in Ehrenfeld. (Bild: Rakoczy)

Viel zu tun: Eli Cortinas bei der Arbeit in ihrem Atelier in Ehrenfeld. (Bild: Rakoczy)

Köln – Der Vorhang öffnet sich. Nein, doch nicht: In quälender Langsamkeit zuckt der schwere Stoff ein Stückchen vor und wieder zurück, vor und wieder zurück. Dann ein Schnitt. Wir sehen: Die Schauspielerin Gena Rowlands. Wir hören: Ja, wen eigentlich? „Die Stimme am Telefon gehört meiner Mutter“, erklärt Eli Cortinas.

Das Video „Dial M for Mother“ ist die Abschlussarbeit der 32-Jährigen an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Es ist aus Filmen des Regisseurs John Cassavetes zusammen gesetzt, in denen Gena Rowlands die Hauptrolle spielt. Acht Monate hat Eli Cortinas daran gearbeitet, das Material dafür aber schon viel länger gesammelt: Seit vier Jahren hat sie manchmal ein Aufnahmegerät mitlaufen lassen, wenn sie mit ihrer Mutter telefonierte. Teile aus diesen Telefonaten kombinierte sie schließlich mit den Filmbildern. Zum Beispiel den Satz: „Arbeite nicht so autobiografisch, sei kreativer!“ Die Künstlerin findet aber nicht, dass ihre Mutter damit Recht hat: „»Mutter«, das ist ein universelles Thema. Jeder hat eine Mutter, jede Mutter ist auch eine Tochter.“ Frauen und ihre Rollen - das ist ein zentrales Thema von Eli Cortinas. Als Mutter, wie in „Dial M for Mother“ oder als „Gebärmaschine“, wie in den Papier-Collagen, an denen sie gerade arbeitet. Der Titel: „Conceiving must be fun“ („Empfängnis muss Spaß machen“).

In ihrem Ehrenfelder Atelier ist es kalt - die Gasflasche des Ofens sei gerade leer gegangen, entschuldigt sich die Künstlerin. Der Aschenbecher ist voll, sie ist müde. Am Freitag hat sie eine Ausstellungseröffnung, dort werden auch die neuen Collagen zu sehen sein. Deswegen gibt es noch viel zu tun. Uralte „Playboy“-Magazine und vergilbte Zeitungen liegen auf dem Boden verstreut, Eli Cortinas hat Stücke heraus gerissen. In langen Nachtschichten klebt sie nun alles zu Collagen zusammen, kombiniert das Material mit Schriftzügen und Kommentaren.

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Aus dem Zusammenhang reißen, verfremden, neu zusammen setzen - das ist Eli Cortinas Arbeitsstil. „Es ist schwierig als Künstler etwas völlig Neues zu kreieren“, glaubt sie: „Wir können nur noch recyclen.“ Also versucht sie, sich in Bildern auszudrücken, die ursprünglich etwas ganz anderes bedeutet haben. Auch wenn das bisweilen brutal ist: „Ich habe den unbedingten Willen, diesen vorgefundenen Materialien die Seele rauszujagen“, sagt sie entschlossen.

Fremde Bilder zu ihren eigenen machen - das ist auch ein Prinzip des Videos „Dial M for Mother“. „Ich nehme ein Bild, dehne es, kombiniere es, drehe es um, füge eine neue Bedeutung hinzu“, erklärt sie. Zum Beispiel der Vorhang aus der Anfangsszene, der sich bei Eli Cortinas nie ganz öffnet: „Im Originalfilm dauert das nur 1,5 Sekunden - dann ist er auf.“ Für sie sei das Schneiden von Filmmaterial Millimeterarbeit, ein „chirurgisches Sezieren“.

Vor ihrem Studium arbeitete Eli Cortinas als Cutterin, erst mit 27 Jahren bewarb sie sich an der KHM. Anders als manche Abiturienten wusste sie ganz genau, was sie dort wollte. „Die Freiheit an einer Kunsthochschule ist natürlich auch eine Verlockung. Darin kann man sich auch verlieren.“ Aber gerade diese Freiheit ist eine gute „Schule des Lebens“, findet sie: „Es geht nicht, ohne Prioritäten zu setzen“. Für sie sei die KHM wie eine schützende Käseglocke gewesen: „Darunter habe ich gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet.“

Schon während ihres Studiums verkaufte sie erste Arbeiten an Sammler, Galeristen wurden auf sie aufmerksam. Im Jahr 2007 wurde sie für den „Deutschen Kurzfilmpreis“ nominiert und bekam dafür 15 000 Euro. Und gerade wählte eine Jury sie für den Bundeswettbewerb „Kunststudentinnen und Kunststudenten stellen aus“ aus - zusätzlich verlieh ihr das Bundesministeriums für Bildung und Forschung noch einen Förderpreis.

Der Kunstmarkt meint es also sehr gut mit Eli Cortinas. Je mehr sie Teil dieses Marktes wird, desto kritischer setzt sie sich in ihren Arbeiten aber auch mit seinen Mechanismen und ihrer Rolle darin auseinander. „Die Kunstwelt ist eine Männerdomäne“, sagt sie, „immer noch.“ Auf einem Tisch im Atelier liegt ein dickes Taschenbuch. „Das andere Geschlecht“, der Klassiker von Simone de Beauvoir aus dem Jahr 1949. „Das habe ich gerade wiederentdeckt“, erzählt Eli Cortinas: „eigentlich erstaunlich, dass es so wenig an Aktualität verloren hat, oder?“

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