Köln – Der Färberwaid ist schon von weitem gut zu erkennen: Luftige Dolden aus gelben Blüten stehen auf Stängeln, die bis zu eineinhalb Meter hoch werden. „Das ist eine alte Färberpflanze, die im 19. Jahrhundert aus Asien nach Deutschland eingeführt wurde“, sagt René Mause. „Die finden Sie im ganzen Rheintal.“ Der Diplombiologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Biologischen Station Düren ist gemeinsam mit dem Kölner Botaniker Hubert Sumser von „Köln kartiert“ am Rhein unterwegs, um einen Überblick zu bekommen, was derzeit dort so alles wächst. Kartierer in ganz Nordrhein-Westfalen tragen zurzeit Daten für eine neue Rote Liste bedrohter Pflanzen zusammen (siehe Infokasten).
Artenreichtum am Rhein
Der Färberwaid (Isatis tinctoria) gehört nicht zu den gefährdeten Arten. „Aber er ist wertvoll, weil er zum Artenreichtum des Rheinufers beiträgt“, sagt Hubert Sumser. Dass sich die Pflanze von den Äckern ans Ufer vorgewagt hat, lässt Rückschlüsse auf ihre Ursprungsstandorte zu: „Sie stammt mit Sicherheit von felsigen Flussufern“, so Sumser. Ob die nun naturbelassen sind oder von Menschenhand geschaffen wie am Rheinpark ist der Pflanze ziemlich egal – Hauptsache, sie findet die passenden Bedingungen vor.
Vielfalt wahrnehmen – Vielfalt erfassen, darum geht es bei dem Projekt „Köln kartiert“ des BUND Köln, das im Sommer 2013 gestartet ist. Ziel ist es, die Flora des Kölner Stadtgebietes vollständig zu erfassen und das Wissen um den Pflanzenreichtum in der Stadt weiterzugeben. „Köln kartiert“ wird über zwei Jahre von der Stiftung „Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen“ gefördert.
Rund 1300 Arten sind bereits gefunden worden, alleine in der Innenstadt mehr als 420. Alle Funde sollen in einem Atlas zusammengefasst werden, die Daten fließen auch in die floristische Kartierung Nordrhein-Westfalens ein.
Mitmachen kann jeder, der sich für Pflanzen interessiert. Jeden Dienstag finden von 9 bis 12 Uhr und 16.30 bis 19 Uhr öffentliche Kartierungsgänge an wechselnden Orten in Köln statt. Aktuelle Informationen und Kontakt per Mail an koeln.kartiert@bund.netwww.köln-kartiert.de
Gleich neben dem Färberwaid wächst an der Mauer das Ausgebreitete Glaskraut, Parietaria judaica – eine unscheinbare Pflanze. Auch sie steht überall am Rheinufer. „Das Kraut stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, ist eventuell schon mit den Römern in unsere Region gekommen“, sagt Mause. Es fühlt sich besonders in Mauerritzen wohl, genau wie das Zimbelkraut (Cymbalaria muralis), das zwischen den großen Steinen an der Rheinmauer sprießt.
Apfelbäumchen aus Mauerspalte
Unten am Ufer wachsen mitten in den Kieseln große Büschel Gras – Carex acuta, die Schlank-Segge. Sie erobert sich den Boden mit unterirdischen Ausläufern, die auch Hochwasser standhalten. Teile, die doch weggeschwemmt werden, siedeln sich auf der nächsten Kiesbank an. „Eine typische Stromtalart“, erklärt Mause. Von der Quelle bis zur Mündung zieht der Rhein bestimmte Pflanzen mit sich: Samen und Ausläufer werden mitgeschwemmt und am obersten Rand des Hochwassers abgelegt. Oft finden sich auch Obst- und Gemüsepflanzen am Ufer, Zeugen von Picknicks oder überfluteten Gärten: Tomaten, Kürbisse, Physalis und Wassermelonen. Aus einer Mauerspalte am Rheinpark wächst sogar ein Apfelbäumchen.
Solche Pflanzen werden natürlich nicht auf die Rote Liste aufgenommen, auch die Segge nicht, sie gehört nicht zu den bedrohten Arten. Doch für „Köln kartiert“, das Projekt, das Sumser ins Leben gerufen hat, um den Pflanzenreichtum der Stadt zu erfassen, ist die Segge interessant.
„In Köln gibt es viele hochwertige Biotope“, sagt der Botaniker. Außer am Rheinufer sind zum Beispiel auch auf Industriebrachen, Kiesgruben und Heideflächen Pflanzen zu finden, die nur in diesen speziellen Lebensbereichen gedeihen. Viele von ihnen sind schützenswert, da sie nur noch selten vorkommen. So findet sich auf einer Brachfläche in Niehl der stark gefährdete Zwerg-Schneckenklee (Medicago minima), und im Mülheimer Hafen das einzige natürliche Vorkommen von Echter Katzenminze in ganz Köln.
Vielfalt ist wichtig
Doch häufig sei das öffentliche Interesse an Pflanzen gering, etwa im Vergleich mit Tieren wie dem Feldhamster, der ebenfalls zu den bedrohten Arten gehören. „Aber Biodiversität, die biologische Vielfalt, ist wichtig“, sagt Mause. „Wir haben eine moralische Verpflichtung den Pflanzen gegenüber.“ Hinzu kommt, dass die Zusammenhänge der Ökosysteme noch weitgehend unerforscht sind. „Wenn eine einzelne Pflanzenart ausstirbt, betrifft uns das sicherlich nicht unmittelbar“, sagt Sumser; doch es sei meist ein Warnzeichen. „Stirbt eine Orchidee aus, ist das Insekt, das sie bestäubt hat, mit Sicherheit schon Jahre zuvor verschwunden. So können ganze Ökosysteme zusammenbrechen, deren Wert und Bedeutung für uns Menschen wir noch nicht einmal kennen“, gibt Sumser zu bedenken. Um die Warnzeichen erkennen zu können ist die Erfassung der Flora so wichtig.
Unten am Rheinufer finden die Kartierer schließlich eine in unseren Breiten äußerst seltene Pflanze, die in Nordrhein-Westfalen als gefährdet gilt: die Osterluzei (Aristolochia clematitis), eine Heilpflanze. Noch sind die Pflänzchen jung, doch lassen sich die hellen Blüten bereits erahnen. „Das ist schon etwas Besonderes für Köln, das sie hier wächst“, sagt Mause. „Und die Osterluzei ist sogar so schön, dass viele Menschen sie gerne im Garten hätten.“