Bedrohungen, brutale Attacken, HetzeDutzende antisemitische Vorfälle in Köln

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Antisemitismus_HAkenkreuz

An einer Kölner Schule wird ein antisemitisches Zeichen entfernt.

Köln – Einer junger Mann, der eine Kippa trägt, wird aus einer zehnköpfigen Gruppe als „Judenschwein“ beschimpft, angegriffen und schwer verletzt. Dutzende Lehrerinnen und Lehrer mehrerer Kölner Schulen erhalten eine Mail mit dem Betreff „Reißt die Holocaust-Denkmäler ab!“ Auf fast zehn Seiten werden in der Mail der Holocaust und die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten geleugnet.

Auf einer propalästinensischen Kundgebung am Heumarkt sind etliche antisemitische Plakate zu sehen. In Rodenkirchen rufen Hooligans bei einem Amateurfußballspiel „Jude!“ und „alle für die HJ“. Auf einer Demonstration von Impfgegnern in Mülheim schwadroniert ein Redner von einer vermeintlichen Weltverschwörung und verdächtigt bekannte jüdische Familien.  

55 antisemitische Vorfälle in Köln registriert

55 antisemitische Vorfälle hat das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln für das vergangene Jahr registriert. Am Mittwoch hat Daniel Vymyslicky, der die Meldestelle leitet, den ersten Kölner Jahresbericht dieser Art vorgestellt. „Unser Ziel ist es, antisemitische Vorfälle in Köln systematisch zu erfassen und zu zeigen, wie verbreitet antisemitische Argumentationsmuster im öffentlichen Raum sind“, sagte Vymyslicky. Es gehe darum, „einen Dunkelraum zu erhellen“ – je bekannter die Meldestelle und je sensibler das Bewusstsein für Antisemitismus werde, desto besser könne in Köln das gelingen. Jede(r) kann dem NS-Dok antisemitische Vorfälle in Köln melden.

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Daniel Vymyslicky

Angesichts der Tatsache, dass Antisemitismus nach wie vor eine reale Gefahr für Jüdinnen und Juden sei, handele es sich bei dem Bericht um ein „sehr wichtiges und teilweise erschreckendes Dokument“, sagte Annemone Christians-Bernsee, stellvertretende Direktorin des NS-Dok.

Zwei körperliche Angriffe, drei Bedrohungen, fünf Sachbeschädigungen und 41 Vorfälle der Kategorie „verletzendes Verhalten“ hat die Meldestelle für 2021 registriert – mutmaßlich nur ein kleiner Teil all jener antisemitischen Taten, die sich Woche für Woche an Schulen und in Fußballstadien, auf der Straße oder in Form von Schmierereien an Hauswänden oder Mahnmälern ereignen.

Holocaustverharmlosung besonders häufig

Das NS-Dok hat die in Köln gemeldeten Vorfälle inhaltlich differenziert. Die häufigste Form ist demnach der so genannte Post-Schoa-Antisemitismus – darunter fallen zum Beispiel Äußerungen, in denen der Holocaust geleugnet oder verharmlost wird. So meldete ein Student der katholischen Hochschule Köln, dass ein Kommilitone des Studiengangs Soziale Arbeit in einer Messenger-Gruppe ein Bild eines Pizzakartons mit einem Porträt von Anne Frank und der Aufschrift „ofenfrisch“ verbreitet hatte. Eine jüdische Einrichtung erhielt einen verschwörungstheoretischen Brief, in dem die Corona-Impfung mit der Schoa in Verbindung gebracht wurde.

Beim  „antisemitischen Othering“ werden Jüdinnen und Juden als nicht zugehörig gekennzeichnet. Beim „israelbezogenen Antisemitismus“ werden Jüdinnen und Juden für die Politik Israels verantwortlich gemacht – so fiel ein syrischer Schüler in Ehrenfeld mehrfach durch antisemitische und antiisraelische Aussagen auf („Syrer finden Juden scheiße“, „Juden tot, Israel tot“).

Verschwörungstheorien werden verbreitet

Beim „modernen Antisemitismus“, der sich auch in Liedern von Xavier Naidoo oder dem Rapper Kollegah findet, wird Jüdinnen und Juden eine Übermacht zugeschrieben, oft im Rahmen von Verschwörungsmythen.  Unter dem Begriff Antijudaismus werden religiös begründete Stereotype verstanden – zum Beispiel, dass Juden für den Tod von Jesus Christus verantwortlich seien.

Viele Fälle aus rechtsextremistischen Umfeld

Mehr als die Hälfte der Kölner Vorfälle konnte nicht eindeutig einem Milieu zugeordnet werden. Auffällig war, dass es deutlich mehr Fälle aus dem rechtsextremistischen (zwölf) und verschwörungstheoretischen (sieben) Umfeld gab als aus dem islamistischen (drei). „Wichtig ist, dass von den Vorfällen sehr oft Menschen betroffen sind“, sagte Daniel Vymyslicky. 24 Kölnerinnen und Kölner sowie elf Institutionen hätten sich vergangenes Jahr an ihn gewendet.

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Drei Themen hat sich der Wissenschaftler gesondert gewidmet: Dem Antisemitismus in der verschwörungsideologischen Szene in Köln, den Vorfällen bei einer propalästinensischen Demonstration am Heumarkt und antisemitischen Anfeindungen samt Shitstorm nach einem Twitter-Post. Der Jahresbericht kann beim NS-Dokumentationszentrum geordert werden.  

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