„Ich dachte, jetzt ist es aus”Zwei Covid-19-Überlebende im Senioren-Alter erzählen

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Für Senioren ist die Coronakrise besonders schlimm. Todesnachrichten machen vielen von ihnen Angst. 

  • Senioren im Alter über 70 Jahren sterben laut Statistik häufiger an Covid-19 als jüngere Menschen.
  • Vor allem in Senioreneinrichtungen ist die Verunsicherung in diesen Tagen groß nach vielen Todesfällen in einzelnen Einrichtungen wie etwa in Köln-Rodenkirchen.
  • Dabei ist längst nicht jeder, der über 80 ist, dem Tod geweiht, wenn er sich mit dem Virus infiziert. Wir stellen zwei betagte Menschen vor, deren Krankheitsgeschichten Mut machen

Köln/Niederzier – Als das Awo-Seniorenheim in Niederzier am 13. März die Nachricht erhält, dass ihr Bewohner Josef Kuck mit dem Covid-19-Virus infiziert ist, geht die Angst um: Die Sorge gilt Kuck, der Dialysepatient ist und bald 91 wird – und den anderen 80 Bewohnern.

Wenige Stunden später erarbeitet der Krisenstab ein Konzept, wie sich Bewohner in dem voll besetzten Haus isolieren lassen. Wenige Tage später stellt sich heraus, dass zwei weitere Senioren infiziert sind.

Josef Kuck nimmt der Heimleiterin ein Versprechen ab

Josef Kuck hat lediglich Schluckbeschwerden und leichten Husten, trotzdem verbringt er zwei Nächte auf einer Intensivstation im Krankenhaus. Als er in sein Zimmer zurückgebracht wird, erkennt er die Heimleiterin Regina Brückner nicht - Brückner trägt Atemschutzmaske, Brille, Kittel und Haube.

Josef Kuck

Josef Kuck im AWO Seniorenheim in Niederzier

„Wenn Sie so spät am Abend noch hier sind, müssen Sie etwas falsch gemacht haben“, sagt Kuck, der unter den Bewohnern für seinen staubtrockenen Humor bekannt ist, und stellt klar: „Nochmal gehe ich nicht ins Krankenhaus. Das verspreche ich ihnen. Das müssen Sie mir auch versprechen.“

Knapp vier Wochen später sitzt Kuck auf einer Bank im Garten vor der Einrichtung, in einer Stunde wird er von einem maskierten Taxifahrer zur Dialyse abgeholt. Auf einer anderen Bank sitzt Brückner, die beiden spielen sich die Bälle zu.

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„Wenn der Spuk mit Corona vorbei ist, versprechen Sie mir, dass wir zusammen Walzer tanzen, Herr Kuck?“ – „Können Sie das denn? Sie könnten mir ja vorher erstmal wieder erlauben, einkaufen zu gehen. Ich bin kerngesund und darf nichts machen. Nett ist das nicht!“

Kuck macht eine Kunstpause, bevor er sagt: „Natürlich weiß ich, dass Sie das Beste für uns tun und wir geschützt werden müssen. Nur, weil ich wieder gesund bin, kann ich nicht machen, was ich will. Aber schade ist es trotzdem. Keine Gymnastikkurse, keine Fußball-Bundesliga, keine Bingo-Nachmittage. Dabei brennt beim Bingo immer das Haus!“

„Wer stirbt schon gern?"

Kuck erzählt von einem Granatsplitter, der im Zweiten Weltkrieg um Millimeter seine Wirbelsäule verfehlt habe, dem Hunger damals, seinen täglichen Spaziergängen („Bewegung ist alles!“), der Dialyse, bei der er sich wohl angesteckt habe – und von der Angst, dass er die Corona-Infektion nicht überleben würde, „obwohl ich doch gern noch fünf, sechs Jahre hätte, wer stirbt schon gern?“

Das Team, sagt Regina Brückner, „hat zuerst nicht daran geglaubt, dass Herr Kuck überlebt. Aber der Verlauf seiner Krankheit war leicht – mir scheint es manchmal, es gehe ihm heute besser als vorher“.

Die zweite Covid-19-Infizierte aus dem Heim erkrankte so schwer, dass die Verwandten sich bereits von ihr verabschiedeten – doch auch sie überlebte und ist inzwischen wieder bei Kräften. Die dritte Betroffene starb an den Folgen der Infektion. Weitere Fälle sind bislang nicht aufgetreten.

Situation in den Altenheimen der Regioin

Auch in den anderen Landkreisen rund um Köln gibt es Erkrankungen und Todesfälle in Pflegeheimen. In Sankt Augustin im Rhein-Sieg-Kreis ist in der Senioreneinrichtung St. Monika der Caritas-Betriebsführungs- und Trägergesellschaft (CBT) inzwischen wieder ein Rumpfbetrieb möglich.

Dort sind 40 Bewohner und 36 Pflegekräfte an Covid-19 erkrankt, 20 weitere Bewohner in Quarantäne. Die Einrichtung war am Freitag geräumt worden, weil es nicht mehr genug Personal gab.

37 positiv getestete Bewohner sind in umliegende Krankenhäuser gebracht worden. Genesene Pflegekräfte kehren nach und nach in die Einrichtung zurück. (red)

34 Tote nach Corona-Infektionen in einem Wolfsburger Pflegeheim, 23 Tote in einem Heim in Würzburg, bislang 16 Tote und aktuell 43 Infizierte im Maternus Seniorencentrum in Köln-Rodenkirchen. Die Meldungen über Heime, in denen das Coronavirus um sich greift, fast jeder Bewohner infiziert ist und viele sterben, häufen sich.

Allein in Köln gibt es in drei Einrichtungen mehr als 20 Covid-19-Fälle, in fünf Heimen zwischen zehn und 19 Infektionen, in zweien vier bis neun und in elf Häusern ein bis drei Erkrankte. 27 Kölner Bewohner sind bislang nach einer Coronainfektion gestorben.

Je stärker sich das Virus in Heimen verbreitet, desto mehr verfestigt sich der Eindruck: Wer über 80 ist und sich mit dem Virus ansteckt, sei dem Tode geweiht. Und: Wenn die Seuche es in ein Altenheim geschafft hat, sei die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass sich sehr viele Bewohner anstecken und sterben. Beides ist – so wahrgenommen – falsch.

Richtig ist, dass alte Menschen in Pflegeheimen und Kliniken besonders gefährdet sind – lockerte man hier die Kontakteinschränkungen, würde sich das Risiko für die Bewohner und das Gesundheitssystem erhöhen. Richtig ist auch, dass das Risiko einer schweren Erkrankung ab einem Alter von 50 bis 60 Jahren stetig steigt.

In Deutschland machen über 70-Jährige laut Robert-Koch-Institut (RKI) aktuell 17 Prozent der Covid-19-Fälle aus – aber 86 Prozent der Toten. In Köln waren 50 der bislang 57 mit Covid-19-Infektion Gestorbenen älter als 70 Jahre.

Die hohe Prozentzahl der verstorbenen Senioren lasse sich auch mit den Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen begründen, teilt das RKI mit. „Zahlen zu leichten Krankheitsverläufen sind mir nicht bekannt, auch wenn es solche Verläufe natürlich ebenfalls gibt“, sagt eine Sprecherin des Instituts. Es wäre gut, diese Zahlen ebenfalls zu ermitteln und zu veröffentlichen – um einen angstbesetzten Diskurs mit vorsichtigem Optimismus zu beleben.

In der Regel schwächeres Immunsystem

Die höhere Sterbewahrscheinlichkeit bei Seniorinnen und Senioren lässt sich mit Vorerkrankungen und einem in der Regel schwächer werdenden Immunsystem begründen. Obwohl alte Menschen im Schnitt einen schwereren Krankheitsverlauf haben, sind sie nach wissenschaftlichen Status Quo allerdings nicht empfänglicher für das Covid-19-Virus.

Eine Gefahr für Ältere liegt darin, dass ihr Immunsystem schwächer reagiert – Fieber und Husten machen sich bei ihnen oft weniger stark bemerkbar als bei jungen oder mittelalten Infizierten. Ältere Menschen gehen deshalb meistens später zum Arzt, sagt das RKI.

Elsa Roggendorf

Elsa Roggenbach aus dem Caritas Seniorenzentrum St. Bruno

Am Ostermontag sitzt Elsa Rockenbach in Strickjacke und Decke eingepackt auf dem Balkon des Seniorenheims St. Bruno der Caritas in Köln-Klettenberg, die Temperaturen sind über Nacht um 17 Grad gesunken. „Als ich erfuhr, dass ich Corona habe, dachte ich: Jetzt ist es aus“, sagt die 89-jährige Kölnerin. „Aber dann war das Schlimmste an dem Infekt, 14 Tage das Zimmer nicht verlassen zu dürfen.“

Rockenbach sagt, sie habe ein bisschen Temperatur gehabt und sich schlapp gefühlt, „wie bei einer normalen Erkältung“. Es sei dann bald ein Test gemacht worden. „Als festgestellt wurde, dass ich positiv bin, wurde die ganze Hausgemeinschaft unter Quarantäne gesetzt, das hat mir unheimlich leidgetan.“

In St. Bruno ist Elsa Rockenbach trotz einiger Verdachtsfälle bis heute die einzige Bewohnerin, die positiv auf das Virus getestet wurde. Am 8. April hat das Gesundheitsamt die Quarantäne für die Hausgemeinschaft wieder aufgehoben, das Besuchsverbot bleibt bestehen.

Elsa Rockenbach darf ihren Mann nicht treffen

Elsa Rockenbach darf auch ihren Mann nicht treffen, mit dem sie seit 70 Jahren verheiratet ist und der nebenan im Betreuten Wohnen lebt. „Ihm geht es sehr schlecht damit, er ist traurig, dass wir uns nur über den Balkon zuwinken können“, sagt Rockenbach.

Die Genesung der 89-Jährigen haben Bewohner und Pflegekräfte mit Sekt und Kuchen gefeiert. „Es ist für uns auch psychologisch sehr wichtig, dass es Frau Rockenbach wieder gut geht und wir bislang nur einen Fall im Haus hatten“, sagt Fachleiterin Cornelia Feist.

Die Verunsicherung nämlich ist groß in den Altenheimen. Das hat auch, aber nicht nur medizinische Gründe – es sind viele, sich zum Teil widersprechende Zahlen, Überlegungen, Schnellschüsse und Falschmeldungen im Umlauf, die ebenfalls dazu beitragen. Schon der Satz „Wir müssen die Senioren schützen“ suggeriert, alte Menschen seien schutzlos und nicht länger entscheidungsfähig.

Der Virologe Christian Drosten, der auch die Bundesregierung berät, beziffert die Sterberate bei den über 80-Jährigen auf „20 bis 25 Prozent“ – in der Berichterstattung wird oft nicht erwähnt, dass diese Zahlen sich aus einer Datenanalyse vieler Länder ergeben, von denen fast alle ein deutlich schlechteres Gesundheitssystem haben als Deutschland.

Aktuell wird darüber diskutiert, ob die Fokussierung der Politik auf Intensivbehandlungen mit Beatmung ethisch richtig ist – da nur sehr wenige sehr alte Menschen so gerettet werden könnten. Die Stadt Köln hat vor zwei Wochen einen vorläufigen Aufnahmestopp für Pflege- und Senioreneinrichtungen bekannt gegeben – diesen aber wenig später wieder zurückgenommen.

Im Tessin wurde ein „Einkaufsverbot für Senioren“ erlassen, das auch hierzulande leise diskutiert worden ist; in Köln gibt es einen Pflegedienst, der der Stadt vorschlägt, besonders gefährdete alte Menschen in leer stehende Hotels auszulagern, um sie dort besser zu schützen.

Im „Spiegel“ erzählte der Gerontopsychiater Johannes Pantel von einem Entwurf aus Regierungskreisen, der nahe lege, besonders gefährdete ältere Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, um jüngere wieder auf die Straße lassen zu können. Dafür müsste man mit Hilfe von Daten der Krankenkassen Risikopersonen identifizieren.

Die identifizierten Menschen könnten dann strenge Auflagen bekommen. Wenn sie sich nicht daran hielten, könnten sie unter Zwangsquarantäne gestellt werden. Das Bundesgesundheitsministerium wollte sich auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht dazu äußern.

Bis Josef Kuck und Regina Brückner zusammen Walzer tanzen, Elsa Rockenbach ihren Mann wieder in die Arme schließen darf und Großeltern unbeschwert mit ihren Enkelkindern spielen können, wird es vermutlich noch lange dauern. Bis dahin machen Genesungsgeschichten wie jene von Kuck und Rockenbach Mut – der in Zeiten der allgemeinen Krisenverunsicherung überlebenswichtig ist. 

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