Anwohner Martin Theweleit und Autor Nico Feiden streiten über Lösungen des Lärmproblems am Brüsseler Platz.
Brüsseler Platz„Die Mär von der dörflichen Idylle ist ein gezielt verbreitetes Feindbild“

Nachdem das Verweilverbot Ende April kassiert wurde, ist der Platz zum ersten Mai nach 22 Uhr wieder voller Menschen. Die Nacht zum ersten Mai ist der Platz nach 22 Uhr voller Menschen.
Copyright: Arton Krasniqi
Herr Theweleit, Sie wohnen seit elf Jahren an einem der beliebtesten Feier-Hotspots der Stadt und fordern, dass dort die Nachtruhe eingehalten wird. Warum ziehen Sie nicht einfach in eine ruhigere Gegend?
Theweleit: Die Frage ist, von welcher Seite hier Toleranz gefordert wird. Und da würde ich zunächst einmal feststellen: Das, was mich stört, ist nicht der Großstadtflair, ist nicht die Kultur und nicht die Gastronomie. Es sind einzelne Gruppen, die nachts um zwei grölend oder mit einer Musikbox durch die Straßen ziehen und uns Anwohner aus dem Schlaf reißen. Und das sind mittlerweile auch keine Einzelfälle mehr, das passiert jetzt sieben Tage die Woche, das ganze Jahr über. Meine Frage an Sie, Herr Feiden, ist, inwieweit eine konsequent durchgesetzte Nachtruhe ab 24 Uhr, ich fordere nicht 22 Uhr, Ihre Tätigkeiten als Kulturschaffender hier im Viertel einschränken würde?
Feiden: Überhaupt nicht.

Martin Theweleit lebt seit 11 Jahren am Brüsseler Platz.
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Der Brüsseler Platz ist seit Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt. Seit wann häufen sich diese Exzesse aus Ihrer Sicht?
Theweleit: Als ich vor elf Jahren hier hingezogen bin, konnte man jedenfalls nachts durchschlafen. An warmen Tagen am Wochenende musste man das Fenster zumachen, ansonsten war das kein Problem. Aber seit Corona hat sich das stark verändert, selbst bei Regen ziehen Leute mit einem Bier in der Hand hier durchs Viertel. Und jeden Tag haben wir dann diese Exzesse einzelner Gruppen vor der Tür.
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Herr Feiden, Sie haben Anfang des Jahres dem Bezirksbürgermeister Andres Hupke vorgeworfen, dass er bei einer Infoveranstaltung in Sankt Michael zum Brüsseler Platz gegen Gastronomen und Kulturschaffende agitiert habe und nannten das „polemischen Populismus“. Was meinten Sie damit?
Feiden: Die Atmosphäre auf dieser Veranstaltung war sehr geladen, es waren fast nur Anwohnerinnen und Anwohner anwesend und von Anfang an war diese spalterische Rhetorik vorherrschend, dieses „Wir gegen die“. Mir, mit meiner Perspektive als Kulturveranstalter, wurde das Wort abgeschnitten. Und ich finde, als Bezirksbürgermeister hat man dann die Aufgabe, diese Rhetorik zu entschärfen. Nur hat Herr Hupke das Gegenteil gemacht. Das ist in meinen Augen Populismus.
Welche Perspektive haben Sie auf den Konflikt am Brüsseler Platz?
Feiden: Ich bin skeptisch, dass man das Problem mit Gerichtsurteilen oder Verboten lösen kann – und dass diese sogar schaden können. Wenn die Gastronomie rund um den Brüsseler Platz um 22 Uhr schließen muss, dann geht das denen an die Substanz. Ich habe viel mit den Gastronomen vor Ort gesprochen. Die sagen, dass sie mit Einbußen von bis zu 30 Prozent rechnen. Da geht es schlussendlich auch um Existenzen.
Haben Sie denn Verständnis dafür, dass Herr Theweleit nachts einfach schlafen will?
Feiden: Natürlich habe ich Verständnis dafür, ich wohne selbst auf der Venloer Straße in Ehrenfeld und kenne das Problem auch von dort. Aber ich finde diese rhetorische Spaltung in der Diskussion, dieses „Wir gegen euch“ schädlich. Das hat noch nie zu etwas Gutem geführt. Die Stadtverwaltung kann die Verantwortung auch nicht auf unsere Gruppierungen abwälzen, sodass wir uns gegenseitig in die Haare bekommen. Sie muss selbst eine tragfähige Lösung präsentieren.
Theweleit: Diese ganzen Feindbilder: Anwohner gegen Kultur oder Anwohner gegen Gastronomen – da gebe ich Herrn Feiden Recht, das bringt niemanden weiter. Wir müssen uns auf die konkreten Probleme konzentrieren und Kompromisse finden.

Nico Feiden ist Autor und Poet und führt regelmäßig Lesungen im Belgischen Viertel durch. Er ist Teil der kreativen Szene.
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Nach dem Urteil hat die Stadt einiges versucht, um die Nachtruhe zu garantieren. Zunächst gab es ein Verweilverbot, nach Klagen von Anwohnern und eines Gastronomen setzte es die Stadt wieder aus. Nun gibt es ein Alkoholverbot. Wie verfolgen Sie als Anwohner dieses Hin-und-Her der Maßnahmen, Herr Theweleit?
Theweleit: Ein Verweilverbot ist sicher nicht ideal und ich kann die Kläger verstehen. Aber immerhin war es mal ein ernsthafter Versuch seitens der Stadt, etwas gegen die Zustände am Brüsseler Platz zu tun. Bis zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts 2023 ist nicht wirklich etwas passiert. Wenn zwei Vermittler 800 Leuten gegenüberstehen, dann kann das nicht als ernsthafter Versuch gedeutet werden, für Ruhe zu sorgen, urteilte das Gericht. Und deswegen ist meine Idealvorstellung, einige Zeit konsequent die Regeln durchzusetzen. Ich spreche von 24 Uhr Nachtruhe. Das beschneidet die Kulturszene nicht, wie Herr Feiden anfangs sagte und die Gastro überhaupt nicht. Ob das Alkoholverbot nun besser oder schlechter ist, wage ich nicht zu beurteilen. Aber es braucht Maßnahmen, die stringent umgesetzt werden und vernünftig an alle kommuniziert werden.
Feiden: Ich bin skeptisch, was Verbote angeht. Man muss auch mal vom Brüsseler Platz abstrahieren und weiterdenken: Wir haben jetzt mit dem Brüsseler Platz einen Präzedenzfall. An vielen anderen Plätzen der Stadt haben wir doch ähnliche Konflikte, ob Rathenauplatz, Stadtgarten oder Schaafenstraße. Sollen wir jedes belebte Viertel mit Verweil- und Alkoholverboten überziehen? Die Kultur kämpft jetzt schon damit, kaum Freiräume zu haben.
Die Diskutanten
Nico Feiden, 32 Jahre alt, ist Schriftsteller und Kulturveranstalter. Er organisiert Lesungen und Konzerte im Belgischen Viertel.
Martin Theweleit, 60 Jahre alt, wohnt seit elf Jahren am Brüsseler Platz. Seit vier Jahren befindet sich auch das Büro des Diplom-Ingenieurs im Belgischen Viertel.
Theweleit: Ihre kulturellen Veranstaltungen wären doch von der konsequenten Durchsetzung einer Nachtruhe ab 24 Uhr gar nicht betroffen, wie Sie anfangs sagten. Was spricht dann gegen eine konsequente Durchsetzung? Oder gäbe es dadurch wesentliche Einschränkungen der Kultur hier im Viertel?
Inwieweit ist der Konflikt ein Generationenkonflikt: So eine Innenstadtlage können sich ja vermutlich eher gut situierte Menschen leisten statt Studenten oder andere junge Menschen?
Theweleit: Bei uns im Haus wohnen ganz unterschiedliche Menschen, auch eine junge Familie mit Nachwuchs. Ich glaube, dass es ein Toleranz- und kein Altersproblem ist. Fehlende Toleranz gibt es in jeder Altersgruppe. Aber ich kenne keinen einzigen, auch nicht auf der Klägerseite, der fordert, es müsse schon um 22 Uhr Ruhe sein. Also diese Mär von der gewünschten, dörflichen Idylle, die stimmt nicht. Das ist ein gezielt verbreitetes Feindbild.
Alterskonflikt meint hier auch, dass sich seit Corona junge Leute immer mehr draußen treffen – Stichwort Mediterranisierung der Städte – und auf der anderen Seite haben wir eine alternde Gesellschaft. Dementsprechend verschärft sich der Konflikt an mehreren Orten. Wie gehen wir damit um?
Feiden: Die Jugend, die Leute, haben weniger Geld, man trifft sich lieber draußen als im Restaurant. Man kann alle Faktoren nicht voneinander trennen, wir sind in einem gesellschaftlichen Umbruch.
Theweleit: Ich habe doch gar nichts dagegen, ich habe etwas gegen die Exzesse um 2 Uhr nachts. Das widerspricht sich gar nicht. Wenn man die Grenze nicht aufzeigt, wird es so weitergehen. Ich sage nichts gegen die Mediterranisierung, ich trinke gern meinen Cappuccino am Platz oder abends ein Glas Wein. Das will ich keinem anderen verbieten. Nur soll es ab 24 Uhr ruhig sein, sodass ich schlafen kann.
Was spricht gegen ein Alkoholverbot, Herr Feiden?
Feiden: Ab 24 Uhr wäre ich auch für ein Alkoholverbot. Wir, die wir hier sitzen, wollen das Gleiche. Die Regeln kommen von der Stadtverwaltung, wieso nehmen sie so wenig Anteil daran. Auf Instagram wird mal was verkündet und es wird alles über unsere Köpfe hinweg entschieden. Das geht so nicht. Ich erwarte wirklich, dass die Stadtverwaltung Position bezieht. Bei dieser Diskussion in der Kirche war zum Beispiel auch keiner von der Stadt anwesend. Man kann sich doch nicht einfach so rausziehen.
Ist es nicht zu einfach zu sagen, das müssen Stadt und Polizei regeln? Muss es nicht aus den Leuten auf der Straße heraus eine Lösung geben?
Feiden: Deswegen müssen bei den Diskussionen alle dabei sein: Die Stadt, die Gastronomen, Anwohner, Kulturschaffende, Leute, die nachmittags einfach da vorbei spazieren und abends ihr Kölsch trinken. Wir brauchen Debattenräume, in denen wir frei sprechen können, wie an so einem Tisch hier, deswegen finde ich diese Möglichkeit sehr schön, da wir die Feindbilder auflösen. Hier ist noch ein Stuhl frei, da wünsche ich mir eine Vertreterin oder einen Vertreter der Stadt hin.
Und was machen wir mit den Leuten, die sich stumpfsinnig verweigern und sagen: Aber ich will hier uneingeschränkt saufen und laut sein?
Theweleit: Erstaunlich viele sind einsichtig, wenn man mit ihnen redet. Inzwischen ist mir die Situation zu aggressiv auf dem Platz, aber noch vor fünf, sechs Jahren bin ich nachts runtergegangen und viele sind dann tatsächlich weitergezogen. Es kam zwar oft das Standardargument, zieh doch weg, aber letztendlich haben sie den Ghettoblaster genommen und sind gegangen. Man sollte es mit Ansprachen versuchen. Allerdings muss klar sein, dass konsequent durchgegriffen wird, wenn keine Einsicht da ist. Dumpfbacken gibt es immer, aber das ist nicht die Mehrheit, glaube ich.
Die Nachtruhe ab 22 Uhr ist durch Landesrecht und kommunale Vorschriften geschützt und wird durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz gestützt. Denkbar wären lokal beschränkte Ausnahmen von der 22-Uhr-Regelung und die Aufweichung definierter Lärmgrenzen. Ein Lärmexperte sagte dieser Zeitung einmal: Wenn wir die Lärmschutzverordnungen ernst nehmen, ist eigentlich kein Stadtleben möglich. Sind Vorstellungen über Lärm veraltet?
Theweleit: Das sehe ich nicht so. Die Grundlage ist die Gesundheit, und die Erkenntnis, dass Lärm gesundheitsschädigend ist, verfestigt sich erst. Das ist der Maßstab für die Lärmschutzgesetze und nicht die Lebensgewohnheiten. Da kann ich nicht sagen, der Lebensstil wandelt sich, also nehme ich Gesundheitsschädigungen in Kauf. Dieses Schreien mitten in der Nacht ist jenseits aller Grenzen zu verorten.
Der gesetzlich festgelegte Grenzwert liegt bei 60 Dezibel. Die Stadt soll sich jetzt im Städtetag dafür einsetzen, dass diese Grenze geändert wird…
Theweleit: Das ist jetzt wieder so ein Narrativ: Da wird gesagt, gegen den Lärm kann man nichts machen, die Dezibelwerte sind zu niedrig. Diese Narrative werden von Lobbygruppen in die Welt gesetzt und unkritisch übernommen. Das werfe ich ihnen vor.
Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass 60 Dezibel auf Dauer gesundheitsschädigend sein können. Die Gröler liegen da sicher deutlich drüber.
Theweleit: Wir können uns darauf einigen, dass die Gröler einfach viel zu laut sind. Ob dann Gespräche bei 62 Dezibel liegen oder bei 58: Diese Diskussion lenkt vom eigentlichen Problem ab und das sind die Gröler.
Feiden: Jemand muss ja festlegen, wo der Lärm anfängt und wo er aufhört. Wir brauchen diese Zahl. Eigentlich müsste man zu Ihnen in die Wohnung kommen und dann feststellen: Hier sind die 60 Dezibel jetzt überschritten. Diesen Perspektivwechsel müssen wir machen, um empathisch miteinander sprechen zu können.
Wie würde denn Ihre Lösung aussehen, Herr Theweleit?
Theweleit: Wenn um 24 Uhr Nachtruhe wäre. Um 23.30 Uhr schließt die Außengastro und um Mitternacht muss Ruhe sein. Dann muss ganz konsequent gegen diese Einzelgruppen vorgegangen werden, die nachts um 2 und 3 noch grölend durch die Straße ziehen, indem Polizei und Ordnungsamt da sind und Bußgelder kassieren. Das wird sich dann herumsprechen. Diese Regelung würde ja auch Ihren kulturellen Tätigkeiten nicht im Weg stehen, wie Sie ja eingangs sagten, Herr Feiden.
Könnten Sie dieser Lösung also zustimmen, Herr Feiden?
Feiden: Grundsätzlich schon. Ich habe auch noch einen anderen Vorschlag: Im Scheuen Reh gibt es einen Dezibelanzeiger, an den sich die DJs und Leute halten. Sobald man die Grenze überschreitet, weiß man: Jetzt muss es wieder leiser werden. Wie wäre es denn, wenn die Stadt Dezibelanzeiger an den Laternen aufbaut und wenn es über einen gewissen Punkt hinausgeht, piepst es? Wenn es zu laut wird, und es steht auf dem Anzeiger, dann wird man ruhiger und andere dann auch. Dadurch belebt man die Gemeinschaft am Platz und würde Ruhestörer durch die kollektive Einsicht vor Ort zu einer Verhaltensänderung bewegen.
Theweleit: Das könnte ein guter Baustein sein. Aber es muss klar sein: Wenn man sich nicht dran hält, gibt es Konsequenzen.