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„Corona-Patienten werden jünger“In Köln stirbt einer von hundert positiv Getesteten

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Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf einer Intensivstation.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf einer Intensivstation.

Köln – In Köln müssen derzeit rund drei Prozent aller Personen, die positiv auf das Coronavirus getestet werden, auf Intensivstationen behandelt werden. Das geht aus Berechnungen der Uniklinik hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen. Durchgeführt werden die Modellierungen von Martin Hellmich. Der Professor leitet die Abteilung „Medizinische Statistik“ an der Uni Köln. „Die drei Prozent sind eine bedenkenswerte Zahl. Sie bedeutet, dass von 100 Positiv-Getesteten in Köln drei intensivpflichtig werden. Von diesen dreien stirbt im Durchschnitt einer“, sagt er.

Er sei zwar kein Arzt, möchte „dazu aber trotzdem anmerken, dass es zynisch ist, von der ausreichenden Anzahl der Intensivbetten zu sprechen, wenn wir täglich künftige Todesfälle an der Zahl der Infektionen abmessen können“. Hellmich trägt seine Erkenntnisse nüchtern vor, aber diese Zahlen machen auch ihn nervös. Mit den Daten, die ihm vorliegen, „sollte darüber nachgedacht werden, die Inzidenzgrenzen noch einmal zu überdenken und anzupassen“, sagt er.

Intensivpatienten in Kölner Kliniken sterben später

Wer sich, wie er, in Zahlen über die Pandemie vertieft, stieß in den vergangenen Wochen auf ein weiteres Problem, das die Kliniken zu bewältigen haben. Es ist eines, über das nur schwer zu sprechen ist: Die Intensivpatienten sterben später. „Die Patienten werden jünger“, sagt Hellmich: „Ihre Körper können sich tendenziell besser gegen Covid-19 wehren – dadurch steigt die Zeit, die sie auf der Intensivstation bleiben, an. Von durchschnittlich 15 auf 18 Tage.“ Das seien auf den ersten Blick Nuancen, „aber dadurch, dass sie länger durchhalten, entsteht auch ein höherer Druck auf die Intensivkapazität, weil die Betten belegt sind.“

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Und das nicht nur durch Kölnerinnen und Kölner. Die Stadt betont seit Monaten, in den Krankenhäusern würden auch Patienten von außerhalb behandelt. Insbesondere die Uniklinik und die städtische Klinik in Merheim nehmen als Maximalversorger immer wieder Patienten aus dem Umland auf. Andersherum gilt dies ebenfalls: Kölnerinnen und Kölner, die an Covid-19 erkranken, werden teilweise außerhalb der Stadt behandelt. Die Anteile seien hierbei konstant und recht klein, daher statistisch zu vernachlässigen.

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Davon geht zumindest die Uniklinik aus, wenn sie Hellmich in die kommenden Wochen blicken lässt. Seine Modellierungen haben seit Beginn der Pandemie einen vorrangigen Zweck: „Ich plane den Bedarf für die nächsten beiden Wochen, damit Personal oder ganze Stationen bereitgestellt werden können – das passiert nicht automatisch, es muss geplant werden“, sagt Hellmich.

Bemerkenswert sind die drei Prozent insbesondere mit Blick auf die vergangenen Monate. Ende Oktober mussten den Modellierungen zufolge zwei Prozent der positiv Getesteten in Köln intensivmedizinisch versorgt werden. Ab dem 11. Dezember waren es 2,3 Prozent, seit Anfang März nun drei Prozent.

Impfungen führen in Köln bisher nicht zur Entlastung 

Die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf „geht nach oben“, stellt Hellmich fest. Besonders erstaune ihn, dass „Impfungen und die Verfügbarkeit von Schnelltests, durch die mehr asymptomatische Infektionen erkannt werden“, nicht dazu führen, dass sich „diese Zahl nach unten bewegt hat.“ Eine mögliche Erklärung sei die Aggressivität der Mutanten. In Köln macht die britische Mutation B.1.1.7 inzwischen einen Großteil der Neuinfektionen aus. Ein aktueller Blick auf die Intensivstationen macht deutlich, was die Prozente bedeuten: 50 Covid-Patienten werden stationär in der Uniklinik behandelt, davon 33 auf einer Intensivstation. 25 dieser Intensivpatienten werden beatmet.

„Die Zahl der stationären Covid-Patienten bewegt sich seit einer Woche auf diesem sehr hohen Niveau“, sagt Uniklinik-Sprecher Timo Mügge dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Intensivpatienten unter den Covid-Erkrankten der Uniklinik recht konstant bei rund 50 Prozent, aktuell liegt er bei 66 Prozent. Auch in den städtischen Kliniken ist trotz sinkender Inzidenzen keine Entlastung in Sicht. „Nach wie vor behandeln wir zurzeit mehr als 30 Covid-Patienten auf Intensiveinheiten im Krankenhaus Holweide und im Krankenhaus Merheim“, sagt Prof. Dr. Horst Kierdorf, Klinischer Direktor: „Unsere Intensivstationen sind zu rund 95 Prozent belegt.“ Die aktuell sinkenden Inzidenzen in Köln und im Umland „werden sich erst mit einem Zeitversatz von rund zwei bis drei Wochen auf den Intensivstationen bemerkbar machen“, so Kierdorf.

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Ein Druck, der auch für die Klinik-Belegschaften kaum noch zu ertragen ist. Mit einer Stellungnahme wandten sich vier Pflegerinnen der Uniklinik zuletzt an die nordrhein-westfälische Landesregierung. Ihre Botschaft: Schaut hierhin, wenn ihr entscheidet. Hellmich beschreibt es so: „Wir erleben eine Naturkatastrophe in Zeitlupe, die uns schon viel zu lange beschäftigt.“ Er teile mit seinen ärztlichen Kollegen eine einfache, aber auch klare Position: „Die Infizierten dürfen gar nicht erst ins Krankenhaus kommen. Daraus leitet sich dann so etwas ab wie »NoCovid«.“

Unter dem Motto „NoCovid“ werben Mediziner seit Monaten für eine politische Strategie, die Inzidenzen in einen deutlich niedrigeren Bereich zu drücken – und sie dort zu halten. Für Hellmich liegt auf der Hand, dass es keinen Inzidenzbereich gebe, „der vertretbar ist, wenn ein Prozent der positiv Getesteten stirbt“. 

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