Gutachter kritisiert FlutmanagementKonkrete Warnungen seien in NRW nicht erfolgt

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Hochwasserin Opladen im Juli 2021.

Düsseldorf – Das Gutachten ist 96 Seiten lang. Robert Jüpner, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TU Kaiserlautern, legt in seiner Expertise dar, wie der Hochwasserschutz in NRW auf die Flutkatastrophe vom Juli vergangenen Jahres vorbereitet war. Am Freitag will Jüpner seine Erkenntnisse im Landtag dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) präsentieren.

Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegt das Gutachten bereits exklusiv vor. Das Fazit des Professors ist bedrückend: „Konkrete Warnungen vor der lebensbedrohlichen Konsequenz des Hochwassers“ seien „teilweise nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße erfolgt“, bilanziert der Experte.

Bei der Juli-Flut waren in NRW 49 Menschen ums Leben gekommen und Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro entstanden. Der Untersuchungsausschuss soll aufklären, ob und in wie weit die Landesregierung beim Krisenmanagement versagt hat. Der Hochwasserschutz spielt dabei eine zentrale Rolle. Obwohl es Warnungen vor Dauerregen gegeben hatte, wurden die Anwohner vieler kleiner Flüsse von den massiven Überschwemmungen überrascht. Möglicherweise hätte die Flut weniger Opfer gekostet, wenn die Bewohner der besonders stark betroffenen Ortschaften rechtzeitig evakuiert worden wären.

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Schlechte Prognose für kleine Flüsse

Während der Hochwasserschutz an den großen Flüssen in NRW relativ zuverlässig funktioniert, stellen die Prognosen der Pegelstände für die kleinen Gewässer ganz offensichtlich ein Problem dar. In den zuständigen kommunalen Verwaltungen fehlt die Expertise, um Vorhersagen von Pegelständen richtig zu deuten. „Das bestehende System der Hochwasservorhersage und –warnung erfolgt pegelbezogen und nutzt eine wasserwirtschaftliche Fachsprache“, erklärt Professor Jüpner. Diese Informationen seien für die fachliche Laien nicht zu übersetzen gewesen: „Eine konkrete Hochwassergefährdung für einzelne Regionen / Gebäude und die damit verbundene Gefahr für Leib und Leben war aus den Hochwasservorhersagen und Hochwasserwarnungen nicht eindeutig erkennbar.“

Fachsprache war nicht zu verstehen

Jüpner nennt ein Beispiel für die Fachsprache der Experten. So heißt es in einem Bericht des zuständigen Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW zur „hydrologischen Situation in NRW“ an Erft und Rur am 14. Juli 2021 um 15:30 Uhr, dort sei „bei Niederschlägen ein Überschreiten des Informationswertes 2 aktuell nicht auszuschließen“.

„Das mag zwar eine fachlich und rechtlich korrekte Aussage sein, eine konkrete Hochwasserwarnung daraus abzuleiten, dürfte von den allermeisten Lesern dieser Aussage kaum zu erwarten sein“, bilanziert der Gutachter. Weiter schreibt er: „Angesichts des tragischen Verlustes vieler Menschenleben müssen die Anstrengungen verstärkt werden, Hochwasserwarnungen in tatsächliches praktisches und (lebensrettendes Handeln) umzusetzen.“

NRW schneidet im Vergleich schlecht ab

Der Professor kritisiert zudem, dass das generelle Bewusstsein für Hochwassergefahren in Deutschland im internationalen Vergleich eher gering ausgeprägt sei. Im Katastrophenschutz gebe es keine systematische fachliche Vorbereitung auf „extreme Szenarien“. Dabei würden Modellierungen verschiedenster Hochwasserszenarien kein technisches Problem mehr darstellen. Die Durchführung größerer Übungen mit allen im operativen Hochwasserschutz tätigen Akteuren vor allem in Hinblick auf die Nutzung gemeinsamer Informationssysteme wäre „sicher sehr wertvoll gewesen“, heißt es in dem Gutachten.

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Im Vergleich der Bundesländer kommt der Hochwasserschutz in NRW laut Jüpner schlecht weg. Hochwasserkatastrophen hätten unter anderem die Elbe 2002 und 2013) und die Donau (2013) betroffen. Diese seien detailliert in Form von Ereignisanalysen aufgearbeitet worden. Die daraus resultierenden Erkenntnisse und das „Lernen aus den Katastrophen“ sei „in Nordrhein-Westfalen nur teilweise aufgenommen und in konkrete Hochwasservorsorgemaßnahmen umgesetzt“ worden. Verschiedene Möglichkeiten der Hochwasservorsorge seien „ungenutzt geblieben“.

Treibgut gefährdet Brücken 

Jüpner weist darauf hin, Hochwasser bedeute insbesondere in den Mittelgebirgslagen des Bergischen Landes und der Eifel auch den großflächigen Transport von Sediment und Treibgut, das eine erhebliche Gefahr für die Infrastruktur darstellen könne. Das Treibgut-Risiko müsse in den hydrologischen und hydraulischen Modellen künftig angemessen berücksichtigt werden, fordert der Professor. Vor allem an den kleineren Flüssen müssten deutlich mehr Pegel errichtet werden. Prognosetools könnten dann zu einer schnellen und präzisen Hochwasserlagebeurteilung führen.

Mehr Schutz für Leib und Leben könne es aber nur geben, wenn die Anlieger Warnungen auch tatsächlich ernst nehmen würden, stellt der Professor klar. Es sei „erschreckend“, dass auch teilweise sehr präzise Hochwasserwarnungen von direkt Betroffenen ignoriert worden seien, weil sie „für unvorstellbar“ gehalten wurden.

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