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Gedenken an PolizistenDie Nacht, in der Walter Pauli starb – Kölner Beamte wurde vor 50 Jahren erschossen

Lesezeit 5 Minuten
Walter Pauli wurde im Alter von 22 Jahren bei einem vermeintlichen Routineeinsatz erschossen.

Walter Pauli wurde am 9. Mai 1975 im Alter von 22 Jahren bei einem vermeintlichen Routineeinsatz erschossen.

In Kalk ist eine Straße nach Walter Pauli benannt. Im Polizeipräsidium gibt es am Freitag eine Gedenkfeier.  

Die Nacht auf Freitag, den 9. Mai 1975, ist klar und kühl. Sechs Grad, kaum Wolken. Es ist 2.15 Uhr, als einer Frau auf einem Parkplatz an der Flammersfelder Straße in Köln-Gremberg Personen auffallen, die sich verdächtig für geparkte Fahrzeuge interessieren. Autoknacker? Die Zeugin ruft die Polizei.

Minuten später kreuzen sich auf dramatische Weise die Lebenslinien zweier Männer, die bis dahin wenig bis nichts miteinander verbindet – bis beide bei einer wilden Schießerei ums Leben kommen.

Köln: Todesschütze stand Linksterroristen nahe

Der eine ist der junge Polizist Walter Pauli, 22 Jahre alt, frisch von der Polizeischule, erst wenige Wochen im Dienst. Ein eher zurückhaltender Typ, aber lebenslustig, sportlich, bodenständig, verlässlich, immer gut drauf, ein Sunnyboy. So beschreiben ihn später Freunde und Kollegen.

Der andere ist Philip Werner Sauber, 28 Jahre alt, jüngerer Bruder von Peter Sauber, dem späteren Rennfahrer und Formel-1-Rennstallbesitzer. Ein Züricher Millionärssohn, Filmemacher, Künstler, Dandy, Bankräuber und mutmaßliches Mitglied der linksterroristischen Organisation „Bewegung 2. Juni“. Ein Jahr vor seinem Tod ist Philip Werner Sauber unter falschem Namen in Köln untergetaucht, er arbeitete als Produktionshelfer bei Klöckner-Humboldt-Deutz.

Köln: Walter-Pauli-Ring hieß früher Eisenbahnstraße

Den Parkplatz in Humboldt-Gremberg gibt es noch heute. Aber an die tödliche Schießerei vor 50 Jahren erinnert hier nichts mehr. Man muss schon einen Kilometer weiterfahren, in die damalige Eisenbahnstraße, die heute Walter-Pauli-Ring heißt. Hier liegt das Polizeipräsidium. Im Eingangsbereich hängt eine Erinnerungstafel mit einem Foto des 22-jährigen Hauptwachmeisters. Am kommenden Freitag wird hier eine interne Gedenkfeier zu Ehren von Pauli stattfinden. Auch dessen Bruder wird daran teilnehmen. „Wir wollen die Erinnerung an die damaligen Ereignisse wachhalten“, sagt Polizeisprecher Lutz Martschinke. „Sie sind uns bis heute eine stete Mahnung.“

Oktober 2001: Oberbürgermeister Fritz Schramma (l.), die Mutter des getöteten Polizisten Walter Pauli und Polizeipräsident Klaus Steffenhagen bei der Einweihung des neuen Polizeipräsidiums in Köln-Kalk.

Oktober 2001: Oberbürgermeister Fritz Schramma (l.), die inzwischen verstorbene Mutter des getöteten Polizisten Walter Pauli und Polizeipräsident Klaus Steffenhagen bei der Einweihung des neuen Polizeipräsidiums in Köln-Kalk.

Bei der Einweihung des Gebäudes und der Umbenennung der Straße in Walter-Pauli-Ring im Oktober 2001 sagte der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma: „Wir wollen dem Wunsch der Beamten nachkommen und die Straße nach einem im Dienst getöteten Polizisten benennen.“ So etwas hatte es in Deutschland bis dahin noch nicht gegeben. Dabei war im Stadtrat auch zeitweise erwogen worden, die Straße nach dem verstorbenen Kölner OB Harry Blum zu benennen. Doch der war zum damaligen Zeitpunkt noch keine zwei Jahre tot – eine Bedingung für die Widmung einer Straße. Also Walter-Pauli-Ring. Klaus Steffenhagen, seinerzeit Polizeipräsident, befand: „Das ist eine bundesweit einmalige Gelegenheit. Dieser Straßenname soll für alle im Dienst getöteten Kollegen stehen."

Am 9. Mai 1975 sind zwei junge Männer sinnlos gestorben
Udo Behrendes, Leitender Polizeidirektor a.D.

Udo Behrendes, Leitender Polizeidirektor a.D. in Köln, kannte Walter Pauli nur „sehr flüchtig“, wie er sich heute erinnert. „Wir waren in verschiedenen Dienstgruppen, ich habe ihn nur bei einigen Schichtwechseln gesehen.“ Aber die Geschichte seines Kollegen und die Umstände, die zu seinem tragischen Tod führten, haben Behrendes nie losgelassen – auch das Schicksal und die Lebensgeschichte von Werner Sauber interessierten ihn.

Im Mai 2015 organisierte Behrendes mit Mitstreitern eine Veranstaltung, die in Polizeikreisen durchaus umstritten war, eine Annäherung an die Menschen Walter Pauli und Werner Sauber. Wissenschaftlich aufgearbeitet und begleitet wurde die Veranstaltung von Psychologin Martina Eckert und Historikerin Heike Wüller vom Institut Verwaltung im Wandel (ViWa). Es gab damals Stimmen in der Polizei, die den Veranstaltern vorwarfen, sich mit ehemaligen Terroristen oder solchen, die ihnen nahestehen, an einen Tisch zu setzen. Eine Gratwanderung.

Köln: Gedenkveranstaltung 2015 war eine Gratwanderung

Im Rückblick sagt Behrendes heute: „Am 9. Mai 1975 sind zwei junge Männer sinnlos gestorben. Beide trafen in ihren verschiedenen Rollen aufeinander, aber zwei Familien litten anschließend gleichermaßen. Wir wollten die beiden Seiten zusammenbringen.“

Behrendes trug Berichte von Zeitzeugen, Kollegen und Freunden Walter Paulis vor, nachzulesen neben weiteren Beiträgen in der von Eckert und Wüller verantworteten Dokumentation über die Veranstaltung „Rückblenden – Erinnerungen an den 9. Mai 1975“. Sie ist frei im Internet verfügbar. Ein britischer Theaterregisseur las Passagen aus dem Buch „Das Verschwinden des Philip S.“ von Ulrike Edschmid vor, der Ex-Freundin des Terroristen Sauber. Im Publikum saß unter anderem dessen Bruder Jürg Sauber.

Brian Michaels (l.) und Udo Behrendes bei einer Gedenkveranstaltung für den getöteten Polizisten Walter Pauli im Mai 2015.

Brian Michaels (l.) und Udo Behrendes bei einer Gedenkveranstaltung für den getöteten Polizisten Walter Pauli im Mai 2015. Auf dem Foto im Hintergrund Philip Werner Sauber.

Die Schießerei auf dem Parkplatz dauerte nur Sekunden. Die drei verdächtigen Autoknacker saßen in einem Fahrzeug, als drei Streifenwagen mit sechs Beamten eintrafen. Am Steuer des verdächtigen Autos der 32-jährige Arzt Karl-Heinz Roth, auf der Rückbank Roland Otto, ein seit 1974 flüchtiger Häftling, und auf dem Beifahrersitz Philip Werner Sauber. Alle drei wurden dem Umfeld der „Bewegung 2. Juni“ zugerechnet. Was sie in jener Nach genau vorhatten, ob sie sich tatsächlich „nur die Beine vertreten“ wollten, wie Roth und Otto später als Angeklagte vor Gericht beteuerten, oder ob sie womöglich ein Fluchtauto oder Kennzeichen für geplante Straftaten stehlen wollten, ist bis heute unklar.

Während Polizisten die Ausweispapiere der drei prüften, riss Sauber plötzlich die Beifahrertür auf und schoss um sich. Offenbar fürchtete er seine Festnahme und wollte fliehen. Er traf Walter Pauli mit zwei Schüssen, verletzte auch dessen Kollegen Dietmar Grüner mit zwei weiteren Schüssen, ein Querschläger traf zudem Karl-Heinz Roth am Steuer. Pauli und weitere Beamte schossen zurück und trafen Sauber tödlich. Weil Roth und Otto nachweislich nicht geschossen und dies wohl auch nicht versucht hatten, wurden sie vor Gericht freigesprochen.

Der verletzte Polizist Dietmar Grüner erinnerte sich später, erst 25 Jahre später, als er an Depression erkrankte, habe er das Geschehen mit professioneller Hilfe verarbeiten können. Köln-Kalk habe er nach dem dramatischen Einsatz nie wieder betreten.