Kriminalitätsschwerpunkt Köln-Kalk„Irgendwann kommt der Tag, an dem wir uns wehren müssen“

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Die Haltestelle Kalk-Post

Die Haltestelle Kalk-Post

Diebstahl, Drogenkonsum, respektloses Verhalten: Geschäftsleute in Kalk beklagen schlimme Zustände in ihrem Viertel. Die Polizei bestätigt das und reagiert.

Wenn Malik Günes (alle Namen geändert) morgens um vier die Treppe zur Arbeit herunterkommt, tanzt er nicht mehr wie früher vor guter Laune. Immer häufiger, sagt er, habe er Angst. Mehr als ein Dutzend aggressiver Drogen-Drogenabhängige hielten sich oft vor seinem Kiosk an der Zwischenebene der U-Bahn-Station Kalk Post auf.

„Wenn ich den Laden aufschließe, muss ich erstmal das Spritzbesteck und blutige Lappen von der Auslage nehmen, bevor ich dort die Zeitungen hinlegen kann“, sagt Günes, der das Büdchen mit seinem Bruder Mustafa führt. Um kurz nach vier Uhr kommen die ersten Bahnen und damit die ersten Fahrgäste, von denen sich immer mehr fürchteten. „Die kaufen hier nicht mehr ein, weil sie Angst haben“, sagt Günes.

Das Zentrum des rechtsrheinischen Stadtteils Kalk zwischen Arcaden, alter Post, Trimbornstraße und Kalk-Mülheimer Straße hat die Polizei seit längerem als Kriminalitätsschwerpunkt identifiziert. Taschen- und Ladendiebstahl, außerdem Drogen- und Beschaffungskriminalität sind hier Alltag, häufig sind Männer nicht-deutscher Herkunft etwa aus arabischen und afrikanischen Ländern die Tatverdächtigen.

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Kriminalität in Köln-Kalk: Polizei reagiert mit Präsenz und Razzien

Mehr als 800 Straftaten der Straßenkriminalität registrierte die Polizei seit Jahresbeginn hier, wie die Behörde auf Anfrage mitteilt. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 3000. „Es ist bekannt, dass Straftäter unter anderem Wohnungen in Kalk und angrenzenden Stadtteilen als Aktions- und Rückzugsraum nutzen“, sagt ein Polizeisprecher. „Die dort agierenden Tatverdächtigen wirken enthemmt und scheuen augenscheinlich kein Entdeckungsrisiko. Gegenüber den Einsatzkräften treten die Tatverdächtigen größtenteils respekt- und distanzlos auf.“

Die Polizei reagiert mit erhöhter Präsenz, Videobeobachtung und immer wieder auch mit Razzien. Die Stadt plant einen Drogenkonsumraum in dem Viertel, der allerdings einige Minuten Fußweg von der Haltestelle entfernt ist.

Das Büdchen in der Zwischenebene der KVB-Haltestelle Kalk Post

Das Büdchen in der Zwischenebene der KVB-Haltestelle Kalk Post

Auch andere Geschäftsleute ärgert die zuletzt stark gestiegene Kriminalität. Die Mitarbeiterin eines Lebensmittelladens berichtet, dass immer mehr geklaut werde – oder es zumindest versucht werde. Zuletzt wollte eine 70-Jährige einen Einkaufswagen mit Warenwert von etwa 90 Euro an der Kasse vorbeischmuggeln. Sie führt das auch auf die Inflation zurück, wegen der sich viele Menschen kaum noch Lebensmittel leisten können. „Wenn uns die Ware fehlt, schlägt das bei uns aber auch finanziell ganz schön rein“, sagt sie.

Manchmal kämen ganze Klau-Banden und nähmen auch wertvollere Waren wie Elektrogeräte mit. Es fehle aber einfach das Personal, das so etwas verhindern könnte. In einem kleinen Park zwei Ecken entfernt lägen auf dem Weg zur Frühschicht noch die Spritzen der Drogenabhängigen, die sich abends nach Ladenschluss den Schuss setzten. „Als Frau sollte man hier nicht mehr alleine langgehen“, sagt sie.

Eigentlich haben wir hier keine Lust mehr
Apotheker in Köln-Kalk

Ein Apotheker spricht von einer „einzigen Katastrophe“. Die Drogen-Problematik sei inzwischen ähnlich präsent wie am Neumarkt, auch in seiner Apotheke werde mit diversen Tricks geklaut. Manchmal falle es dem Personal auf, manchmal aber auch nicht. Die Polizei sei zwar zumindest gefühlt präsenter als noch vor einigen Jahren, aber die Situation sei so schlimm wie noch nie. „Eigentlich haben wir hier keine Lust mehr“, sagt er. „Aber es ist doch unser Viertel, wo wir hingehören.“

In der U-Bahn-Station hat die KVB Videokameras an der Decke installiert.

In der U-Bahn-Station hat die KVB Videokameras installiert.

Vor einem Jahr hat die Polizei in diesem Viertel Videokameras installiert, mit denen sie Straßen und Plätze beobachtet. „Ein unverzügliches Eingreifen von Einsatzkräften ist durch die Live-Beobachtung und parallele Einsatzbearbeitung möglich“, sagt ein Polizeisprecher. „Die Videobeobachtung unterstützt bei einer Vielzahl von Einsätzen, Fahndungen und ermöglicht, Tatverdächtige zu identifizieren.“

Die U-Bahn-Haltestelle gehört nicht zum Beobachtungsgebiet der Polizei. Hier entscheidet die KVB allein. Die beiden Bahnsteige sind mit permanent laufenden Kameras ausgestattet, die Zwischenebene aber nicht. Die KVB macht im Wesentlichen den Datenschutz als Gründe geltend. Der Info-Schalter der KVB sei seit etwa einem Jahr geschlossen – aus Personalmangel, wie man ihnen mitgeteilt habe, sagt Günes. Die KVB verweist auf „regelmäßige“ Streifengänge von Mitarbeitern, die der Sicherheit dienten. 

Die Polizei beobachtet mit Videokameras den Bereich vor den Köln Arcaden. Das Foto zeigt die Rolltreppen zur Station, den Eingang zum Einkaufszentrum und die Beobachtungskameras der Polizei.

Die Polizei beobachtet mit Videokameras den Bereich vor den Köln Arcaden

Diese müssten häufiger stattfinden, finden Malik und Mustafa Günes, die Getränke, Süßigkeiten, Zigaretten und Fahrscheine verkaufen – aber keinen Alkohol mehr. „Wir wollen den Bereich ja sauber halten“, sagt er. Bis er mittags an seinen Bruder übergibt, seien 20 oder 30 Diebstähle in der Zwischenebene Normalität, sagt er. „Die Diebe stehlen an der Treppe oder auch hier direkt vor dem Laden, pöbeln unsere Kunden und Fahrgäste an“, sagt Günes. Teils würden Kunden ausgeraubt und mit Messern bedroht.

Kiosk-Besitzer in Kalk: Die ständige Angst vor Angriffen

Auch Sprüche wie „Wenn du mir keine Zigaretten kaufst, ramme ich dir meine Spritze in den Arm“ fielen immer häufiger. „Die haben vor niemandem mehr Respekt. Nicht vor Kindern, nicht vor Frauen, nicht vor Älteren“, sagt er und fordert noch mehr Polizeipräsenz. Bald könne er morgens nicht mehr alleine sein Büdchen aufschließen, weil er Angst hat, verletzt zu werden.

Abends schließen sie aus dem gleichen Grund schon jetzt deutlich früher. „Irgendwann kommt der Tag, an dem wir uns wehren müssen, wenn wir nicht abgestochen werden wollen“, sagt Mustafa Günes. Im Laden liegen ein Schlagstock und Reizgas bereit.

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