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Negativ-RekordKölner Gesamtschulen lehnen so viele Schüler wie noch nie ab

Lesezeit 4 Minuten
Frühestens 2023 wird die Heliosschule in Ehrenfeld fertig sein, so lange muss in Provisorien gelernt werden.

Frühestens 2023 wird die Heliosschule in Ehrenfeld fertig sein, so lange muss in Provisorien gelernt werden.

  • Trotz zwei neuer Gesamtschulen wurden knapp 1000 Anmeldungen abgelehnt
  • Zahl der Ablehnungen steigt damit auf negativen Rekord
  • Eltern und Pflegschaften kritisieren Bildungsangebot in Köln stark

Köln – Trotz der Gründung von zwei neuen großen Gesamtschulen mit insgesamt zehn zusätzlichen Eingangsklassen sind in Köln so viele Kinder an dieser Schulform abgelehnt worden wie noch nie.

960 Familien haben in den vergangenen Tagen eine Ablehnung bekommen. „Das Anmeldeverfahren zeigt, dass die Beliebtheit der Gesamtschulen ungebrochen ist und zusätzliche Angebote die Nachfrage erhöhen“, heißt es in einer Stellungnahme der Stadt.

Bildungsangebot weit entfernt von Wünschen der Eltern

Intern hatte man damit gerechnet, dass sich die Lage an den Gesamtschulen durch die neuen Schulen in Ehrenfeld und Vogelsang entspannen könnte. Seit Jahren werden in Köln Hunderte Kinder abgelehnt. 2017 waren es 730, im Jahr davor 780. Dass es nun fast 1000 geworden sind, belegt einmal mehr, wie weit das städtische Bildungsangebot von den Wünschen der Kölner Familien entfernt ist.

Alles zum Thema Henriette Reker

Auch bei den Gymnasien, wo das Anmeldeverfahren am kommenden Montag beginnt, gibt es großen Druck. Viele werden nicht ihre Wunschschule besuchen können. Allerdings ist noch nie einer Familie der Schulformwunsch nach einem Gymnasialplatz verweigert worden.

Wegen der besonderen Notlage an den Gesamtschulen ist für diese Schulform das Anmeldeverfahren vorverlegt worden. 3066 Anmeldungen wurden bei den 13 städtischen Gesamtschulen angenommen. Das waren 500 Anmeldungen mehr als im vergangenen Jahr. Nur 2106 konnten aufgenommen werden.

Kölner Elternschaft ist sehr besorgt

„Diese erschütternden Zahlen machen uns sprach- und ratlos“, kommentierte der Sprecher der Kölner Elternschaft, Reinhold Goss, die Zahlen. „Mir fehlen die Worte.“ Im Schulbereich folge eine schlimme Zahl auf die nächste, „aber nichts passiert“. Die Situation sei „dramatisch“.

Die Stadt verwies auf die Neuordnung der Gebäudewirtschaft und die Bereitstellung von allein 168,2 Millionen Euro im laufenden Jahr für den Schulbau. Für die fast 1000 Familien, die nun abgelehnt wurden, wird das kein Trost sein.

Eltern schreiben Brief an OB Reker

„Das Los entscheidet über die Zukunft unseres Kindes“, das Recht auf freie Schulwahl spiele keine Rolle, schreiben die Eltern eines abgelehnten Kindes aus Rath/Heumar in einem eindrücklichen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Nach tagelangem Warten auf die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung, sei „eine Welt zusammengebrochen. Die Tränen fließen. Unser Sohn ist am Boden zerstört.“

Jeder, der schon einmal die Wochen zwischen Anmeldung und Entscheidung miterlebt hat, kann nachvollziehen, welcher Druck auf den betroffenen Familien lastet. Nicht selten empfinden die Kinder am Ende ihre Ablehnung als Folge von eigenem Versagen. Während sich seine Freunde freuen, weil sie angenommen worden sind, fühle sich ihr Sohn als „Loser“, so Katrin Thomas.

„Er sieht sich selbst als Ursache, nicht das Los und nicht die unzureichende Politik der Stadt Köln.“ Ihrem Brief an die OB hat die Familie kommentarlos die Medienberichterstattung zur Verleihung des Unicef-Siegels „Kinderfreundliche Kommune“ beigelegt.

Gymnasium statt Gesamtschule

„Köln betreibt eine »Zwei-Klassen-Schulpolitik«“, sagt die „Initiative Mehr Gesamtschulen in Köln“ (imgik). Als Beispiel nennt sie einen aktuellen Beschluss der Bezirksvertretung Nippes, die einen für eine neue Gesamtschule vorgesehenen Schulstandort an der Schmiedegasse für den Bau eines Gymnasium ins Spiel gebracht hat. Eine neue Elternbefragung solle den Ausschlag geben. 

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Schuldezernentin Agnes Klein äußerte sich in der vergangenen Sitzung des Schulausschusses ähnlich. Weil durch die Rückkehr zu neun Schuljahren an den Gymnasien die Raumnot an dieser Schulform dramatisch zunehme, müsse man überlegen, ob Bauplätze für neue Gesamtschulen nicht für Gymnasien genutzt werden müssten. In ersten Reaktionen betonten Politiker von SPD, Grünen, Linken, aber auch der CDU, dass dies nicht der richtige Weg sei. „Gesamtschulen und Gymnasien dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so der schulpolitische Sprecher der SPD, Franz Philippi. Ulrike Kessing, Sprecherin der Grünen, und Schulausschussvorsitzender Helge Schlieben von der CDU äußerten sich ähnlich.

Die Zahlen machten deutlich, dass Köln sowohl neue Gymnasial- wie Gesamtschulplätze brauche, sagte Schuldezernentin Klein am Donnerstag. „Wir sehen, dass die Beliebtheit der Gesamtschulen nach wie vor zunimmt – und das trotz der Rückkehr zu G9 an den Gymnasien.“ Man müsse nun die Anmeldungen an den Gymnasien und Realschulen abwarten, bevor man entscheide, wie es weitergehe. Nicht nur einzelne Bauplätze müssten geprüft werden. Auch die Überlegungen bestehende Schulen zu erweitern oder umzuwandeln könnten mehr Nachdruck bekommen.

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