So viele wie noch nie zuvorHistorischer Rekord bei Kirchenaustritten in Köln

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Das Bild zeigt einen bronzenen Türgriff in Form eines Engels mit Lockenkopf am Kölner Dom.

Türgriff am Kölner Dom. 2022 haben die Kirchenaustrittszahlen in Köln einen Rekordwert erreicht.

Noch nie hat es in Köln so viele Kirchenaustritte gegeben wie 2022. Der bisherige Rekordwert von 2021 wurde übertroffen. Die Statistik des Amtsgerichts lässt einen klaren Rückschluss auf den Hauptgrund zu. 

Erstmals haben in einem einzigen Jahr mehr als 20.000 Kölnerinnen und Kölner ihre Kirche verlassen. Die am Donnerstag veröffentlichte amtliche Statistik des Amtsgerichts Köln verzeichnet für 2022 die Rekordzahl von 20.331 Kirchenaustritten.

Das sind noch einmal 1000 mehr als im Vorjahr, als der Spitzenwert bei 19.372 lag. Schon im November hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass der katholischen und der evangelischen Kirche in 2022 ein beispielloser Mitgliederverlust droht. Das Amtsgericht differenziert nicht nach Konfessionen.

Im Vergleich zum „Corona-Jahr“ 2020, als Austritte wegen der Behördenschließung im Lockdown praktisch unmöglich waren, hat sich die Zahl der Austritte fast verdreifacht. Aber auch gegenüber dem Jahr 2019, als die Austrittszahlen im Vergleich früheren Jahren sprunghaft angestiegen waren, bedeutet das Resultat von 2022 eine Verdoppelung.

Alles zum Thema Römisch-katholische Kirche

  • 2016 5.759 Kirchenaustritte in Köln
  • 2017 6.174
  • 2018 7.618
  • 2019 10.073
  • 2020 6.960
  • 2021 19.372
  • 2022 20.331

Obwohl die Statistik keine Angaben zu den Austrittsgründen enthält, ist der Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und den Querelen um den Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki, offensichtlich: Während sich die Austritte bis 2018 auf einem zwar stetig steigenden, aber vergleichsweise niedrigen Niveau bewegten, schossen sie nach der Veröffentlichung der bundesweiten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche im September 2019 in die Höhe.

Was in Köln folgte, waren die Wirren um das von Kardinal Woelki bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebene, 2020 aber wegen angeblicher rechtlicher und methodischer Mängel zurückgezogene Missbrauchsgutachten. Das Ersatzgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke wurde 2021 veröffentlicht. Im selben Jahr schickte Papst Franziskus Woelki in eine fünfmonatige Auszeit, aus der der Erzbischof im März 2022 zurückkehrte, ohne dass im Erzbistum eine erkennbare Befriedung eintrat.

Kirchenaustritte in Köln: Stadtdechant kritisiert Woelki scharf

Im Gegenteil: Der – von Woelki bestrittene – Vorwurf, im Umgang mit den Missbrauchsgutachten seinen eigenen Betroffenenbeirat instrumentalisiert zu haben, löste erhebliche Unruhe aus. Zudem geriet Woelki wegen des Verdachts falscher Aussagen an Eides statt ins Visier der Staatsanwaltschaft, die derzeit in zwei Fällen gegen den Kardinal ermittelt – ein in der deutschen Justizgeschichte einmaliger Vorgang. Auch hier beteuert der Kardinal, wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben.

Erst am Montag hatten Stadtdechant Robert Kleine und Gregor Stiels, Vorsitzender des Katholikenausschusses, beim traditionellen Dreikönigsempfang den absehbaren Austrittsrekord zum Anlass für scharfe Kritik genommen. Hauptgründe seien „die enorme Glaubwürdigkeitskrise und der immense Vertrauensverlust, den die Kirche durch die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen und den Umgang mit den Tätern nicht erlitten, sondern selbst verschuldet hat“, sagte Kleine.

Die „tiefen Risse“ durch das Erzbistum seien mitnichten geschlossen. Im Gegenteil, so Kleine. „Ich erlebe weiterhin starke und sich ausweitende Risse“. Dass Papst Franziskus „seit zehn Monaten nicht über den angebotenen Rücktritt von Kardinal Woelki entscheidet“, sei „in erster Linie für den Erzbischof selbst, aber auch für die Menschen in unserem Erzbistum eine Zumutung“, kritisierte der Stadtdechant.

Auch  Stiels vermag nach eigenen Worten seit der Rückkehr Woelkis vor einem knappen Jahr keine wesentlichen positiven Veränderungen zu erkennen. Statt die Probleme anzugehen, die aktuell vielen Menschen zu schaffen machten, „müssen wir uns immer und immer wieder mit uns selbst beschäftigen, mit einem Kardinal, der Vertrauen und Glaubwürdigkeit nachhaltig verloren hat und mit eidesstattlichen Erklärungen versucht, Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“.

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