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Konzert in KölnSantana verwandelt Lanxess-Arena in eine Zeitreise mit wichtiger Botschaft

4 min
Der US-amerikanische Latin-Rock-Gitarrist Carlos Santana (Archivfoto vom Juli 2025)

Der US-amerikanische Latin-Rock-Gitarrist Carlos Santana (Archivfoto vom Juli 2025)

Das Publikum in der ausverkauften Lanxess-Arena bekommt am Freitagabend viel mehr als diesen unvergleichlichen Ton.

Der Erhabene sitzt. Die Gitarre ruht auf seinem rechten Oberschenkel. Mit 78 Jahren fällt das Gehen schwer. Das spielt jedoch keine Rolle, denn das Wichtigste ist so, wie es immer war. „Du hörst diesen Ton, den ersten Ton, und allein dafür hat sich alles gelohnt, die Anreise, der Eintritt, dieser eine, unvergleichliche Ton ist alles wert.“ Das hat Carlos Santana vor vielen Jahren über das Jazz-Genie Miles Davis und dessen Trompete gesagt. Und das ist alles, was man über Carlos Santana und seine Gitarre sagen müsste, wenn nur ein Satz dafür zur Verfügung stünde.

Das Publikum in der ausverkauften Lanxess-Arena bekommt am Freitagabend viel mehr als diesen Ton. 20 Werke aus sechs Jahrzehnten mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern verwandelt Santana in eine Zeitreise mit seiner wichtigsten Botschaft. „Oneness“ heißt seine aktuelle Tour, die ihn zum ersten Mal seit 2017 wieder nach Köln führt. Das bedeutet: Einheit. Einigkeit. Einssein. „Alle reden von Krieg. Wir reden von Harmonie und Zuneigung“, ruft Santana den Menschen zu, „wir sind alle eins. Unsere Botschaft ist Liebe, Glück und Freude. Wir lieben euch.“ Die Menschen jubeln.

Santana war der sanfte Verführer für eine ganze Generation

Carlos Santana kann nicht missverstanden werden. Sein gesamtes Werk ist durchdrungen von dieser sanften Spiritualität, die er schon als junger Mensch in mehreren Religionen gesucht und schließlich in der Musik gefunden hat. Er war der Anti-Held einer Gitarren-Szene, die breitbeinig die männlichen Anliegen des Rock'n'Roll vertrat. Die Kraft der sechs Saiten und des Testosterons machte ihre Superstars attraktiv für Groupies, Drogen, schnellen Ruhm und frühen Tod. Santana benutzte die sechs Saiten anders. Das bedeutet aber nicht, dass seine Lieder harmlos waren.

In den 1970er-Jahren hatte er als sanfter Verführer eine tiefe Bedeutung in der Adoleszenz einer ganzen Generation. Santana definierte die Zeit, die einem jungen Menschen blieb, einem anderen jungen Menschen näherzukommen, als es erlaubt war - durch sein Zauberwerk „Samba Pa Ti“, das zum Schönsten gehört, was jemals einer Stromgitarre entlockt wurde. Zwei Minuten lang fallen die Töne wie Perlen aus dem Instrument, eine glänzender und schimmernder als die andere, vom sanften Samba-Rhythmus kaum getragen.

Carlos Santana mit seiner Gitarre.

Carlos Santana mit seiner Gitarre.

Es war der Song, bei dem alle in der Disco wussten: Ich kann jetzt nicht allein bleiben, aber die Zeit rennt. 120 Sekunden, die über den Abend und vielleicht eine ganze Jugend entschieden. Wer bis dahin noch nicht mit einem Gegenüber verschmolzen war, würde es nicht mehr schaffen, denn der Bass setzte langsam treibend ein, mündete in ein Gitarren-Solo und erlaubte es allen, die bis dahin noch zweifelten, sich für die verbleibenden zweieinhalb Minuten vom anderen zu lösen und so zu tun, als wäre alles ein normaler Tanz.

Santana wirkt in der Lanxess-Arena verletzlich und unantastbar zugleich

Wie Carlos Santana ein halbes Jahrhundert später in der Lanxess-Arena auf seinem Hocker sitzt, den ikonischen Schlapphut auf dem Kopf und die mächtige Rhythmusgruppe mit der großartigen Schlagzeugerin Cindie Blackman im Rücken, die gleichzeitig seine Frau ist, wirkt er verletzlich und unantastbar zugleich. Selbstverständlich beginnt er den Abend mit seinen frühen Klassikern „Soul Sacrifice“, „Jingo“, „Evil Ways“, „Black Magic Woman“ und „Oye como va“. Längst sitzt er als einziger in der riesigen Halle. Das Publikum kennt jeden Takt, jede Zeile, jedes Solo und feiert ausgelassen tanzend. Die energetische Reise geht weiter über die Hits des Erfolgsalbum „Supernatural“ hin zu seinem Latino-Vermächtnis, bis sie nach einem fulminanten Zehn-Minuten-Solo der weltbesten Schlagzeugerin mit dem Superhit„ Smooth“ endet, der ihn 1999 mitten in den Mainstream und an die Spitze der US-Charts katapultierte.

Carlos Santana spielte in der Lanxess-Arena auch sein fulminantes Zehn-Minuten-Solo..

Carlos Santana spielte in der Lanxess-Arena auch sein fulminantes Zehn-Minuten-Solo..

Jedem anderen Superstar aus der Zeit von Jimi Hendrix, Janis Joplin und der noch jungen Rolling Stones hätte man das damals übel genommen: Easy listening als Anbiederung an die Massen, die allein das Album „Supernatural“ mehr als 30 Millionen Mal kauften. Carlos Santana aber durfte das. Er hatte Menschen eingefangen, statt sie auszuschließen, ohne seine Kunst zu verraten, denn die Integrität seines Tones blieb unangetastet.

Santanas musikalisches Erbe konnte ohnehin keinen Schaden nehmen, denn er hatte es früh zementiert. Im Alter von fünf musste er nach dem Willen des Vaters zu Hause in Mexiko Geigenunterricht nehmen, bevor er sich mit acht Jahren unter dem Eindruck des Rock'n'Roll für die Gitarre entschied. Schon als Teenager verdiente er mit ihr Geld - erst in der sündigen Grenzstadt Tijuana, nach der Übersiedlung der Familie in den Clubs von San Francisco.

Santana, der Frühvollendete, der Gitarre in nie gekannter Weisheit spielt

In Woodstock erregte Santana 1969 mit einer inbrünstigen Version von „Soul Sacrifice“ Aufsehen. Bereits ein Jahr später, nach den Alben „Santana“ und „Abraxas“, wussten alle Rock-Fans, wer er war. Ein Frühvollendeter, der den Latin-Rock erfand und das Instrument mit einer zuvor nicht gekannten Weisheit spielte.

Als nach einer Stunde und 55 Minuten der von keiner Pause unterbrochene musikalische Geschichtsunterricht zu Ende ist und das Licht angeht in der Lanxess-Arena, wird dem Erhabenen die Gitarre abgenommen. Dann steht er auf und schlurft langsam hinter die Bühne. Der letzte Ton ist verklungen. Auch er allein wäre alles wert gewesen.