Beteiligte sprechen von „Katastrophe“ und „Skandal“. Der Schaden für das Ehrenamt im Karneval sei gewaltig.
Eklat im Kölner KarnevalBuchungen für Session kurzfristig vorgezogen – Kleine Vereine gehen leer aus

Die Band Kasalla mit Sänger Basti Campmann gehört zu den gefragtesten Gruppen im Kölner Karneval. Für viele kleine Vereine und Gesellschaften sind die Top Acts für die Session 2026/27 nicht mehr buchbar.
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Monika Brandenburg lag in Italien am Strand, als sie Anfang Juli hörte, was sie nicht glauben mochte: Anders als mit Kölner Karnevalsgesellschaften und Künstler-Vertretern vereinbart im September, hatten die Buchungen für die Sitzungen der Session 2026/2027 bereits begonnen – und viele der Top-Acts für den geplanten Sitzungstermin ihrer Karnevalsgesellschaft waren bereits weg.
Brandenburg ist Literatin der Fidelen Kaufleute, die 2027 ihr 100-jähriges Bestehen feiern – und bei ihrer Sitzung nun womöglich ohne die bekanntesten Bands und Redner auskommen müssen. „Als ich gehört habe, dass die Buchungen ohne Absprache mit allen kleinen Karnevalsgesellschaften und Vereinen begonnen haben, habe ich an einen schlechten Witz gedacht – aber es war wirklich so“, sagt Brandenburg. „Kasalla, Brings, Höhner, Cat Ballou, der Sitzungspräsident – viele der Top-Acts waren für unseren Sitzungstermin bereits gebucht.“ Das, sagt Brandenburg, sei ein „Affront, den es bisher so nicht gab“.
Buchungen für Session 2026/27 kurzfristig um zwei Monate vorverlegt: Viele Vereine wussten nichts davon
Die Bombe, von der viele im Vorfeld wussten, platzte nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 26. Juni. Auf der Jahreshauptversammlung des Literatenstammtischs, in dem viele große Karnevalsgesellschaften wie die Roten und die Blauen Funken, die Altstädter, die Nippeser Bürgerwehr, die Bürgergarde blau-gold und das Reitercorps Jan von Werth organisiert sind, verkündete der Vorstand: Die Künstler-Buchungen für die Session 2026/27 sollten nicht wie gewohnt Mitte September durchgeführt werden – sondern bereits am 7. und 9. Juli. Sodann überschlugen sich die Ereignisse: Die Agenturen und Managements der Künstlerinnen und Künstler wurden mit Anfragen überflutet und buchten, was geht, auch der kurzfristig um zwei Monate vorverlegte Zeitplan war jetzt passé.
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Der Schaden für den Kölner Karneval ist immens hoch
Viele der kleinen Kölner Vereine und Gesellschaften gehen nun leer aus, weil sie die Top-Acts für die Session nicht mehr buchen können. Von „Skandal“ sprechen beteiligte Akteure und „Scherbenhaufen“, „Offenbarungseid“ und „Katastrophe“. Es gibt gegenseitige Vorwürfe und allgemeines Bedauern. Einig sind sich alle: Das Ehrenamt und die kleinen Vereine leiden. Der Schaden für den Kölner Karneval ist immens hoch. Das Motto für die Session 2026 – „Mer dun et för Kölle“ – klingt plötzlich nach einem Witz.
Die Tradition, dass Literatenstammtisch und Künstlervertreter sich am Runden Tisch trafen, um die Buchungen zu besprechen, Wünsche zu berücksichtigen und der Reihe nach die Künstlerinnen und Künstler aus der ersten, zweiten und dritten Reihe zu vergeben, gibt es seit einigen Jahren so nicht mehr. Als Agenturen die Vertretung vieler Bands, Rednerinnen und Tanzgruppen übernahmen, übernahmen sie zum Teil auch die Rolle der Literaten, die vorher für die Buchungen zuständig waren. Immerhin gab der Literatenstammtisch weiterhin einen zeitlichen Rahmen vor und steckte Grundregeln für die Buchungen ab, um die Künstlerinnen und Künstler möglichst gerecht zu verteilen.
Wenn ein über Jahre etabliertes Buchungssystem ab Herbst ohne Vorankündigung in den Juli verlegt wird, dann ist das ein Eklat – zum Nachteil vieler kleiner und mittlerer Gesellschaften
„Dass die Lachende Kölnarena vorgeht und sich die Buchungen nach deren Terminen ausrichtet, ist in Ordnung“, sagt Brandenburg. Auch vereinzelte andere Vorbuchungen und Klüngeleien, die es jedes Jahr gebe, seien verkraftbar gewesen. „Wenn aber ein über Jahre etabliertes Buchungssystem ab Herbst ohne Vorankündigung in den Juli verlegt wird, dann ist das ein Eklat – zum Nachteil vieler kleiner und mittlerer Gesellschaften. Das ist nicht hinnehmbar!“
Die Entscheidung des Literatenstammtischs, die Buchungen in den Juli vorzuziehen, „hat uns total überrascht und auch unter Druck gesetzt“, sagt Martin Zylka, Geschäftsführer der Agentur Go, die 45 Künstlerinnen und Künstler, die im Karneval auftreten, vertritt. Viele Mitarbeitende der Agentur hätten Urlaub geplant – plötzlich seien die arbeitsreichsten Wochen des Jahres um zwei Monate vorverlegt worden.

„Mer dun et för Kölle“ heißt das Karnevalsmotto für die neue Session. Der Satz klingt angesichts des Buchungsdesasters wie ein schlechter Witz.
Copyright: Uwe Weiser
Zylka ist als Literat der Altstädter selbst Mitglied des Literatenstammtischs. „Wir haben den Literatenstammtisch immer unterstützt“, sagt er. „Aber da sind jetzt Dinge gelaufen, die für das Ehrenamt sehr schwierig sind – bei vielen Veranstaltern und Vereinen hat die Entscheidung verständlicherweise große Emotionen ausgelöst.“
Ich mache mir große Sorgen um das große Ganze, die vielen kleinen Vereine und Ehrenamtler, die wütend sind und den Spaß an der Sache verloren haben
Zylkas Kompagnon Horst Müller, Gründer von Go, wird deutlicher: „Das, was mit dieser Entscheidung kaputtgegangen ist, lässt sich so schnell nicht reparieren“, sagt er. „Ich mache mir große Sorgen um das große Ganze, die vielen kleinen Vereine und Ehrenamtler, die wütend sind und den Spaß an der Sache verloren haben.“ In vielen Mails und Gesprächen mit Vereinen versuche man nun, für die sehr kurze Session 2026/27 doch noch viele Wünsche zu erfüllen. „Das Kind aber ist in den Brunnen gefallen“, sagt Müller. „Ein System, das über viele Jahre funktioniert hat, ist kaputt gegangen.“
Wie ist es zu dem Eklat gekommen? Der Literatenstammtisch, Spitzname Literaten-Mafia, hatte mit ihrem neuen Vorsitzenden Michael Ströter vorgeschlagen, für die Session 2026/27 zu den traditionellen Präsenzbuchungen zurückzukehren, um wieder für mehr Fairness zu sorgen. Bereits im vergangenen Jahr nämlich habe die Übereinkunft, an zwei Terminen Mitte September zu buchen, nicht funktioniert. „Es ist auch da schon im Vorfeld rauf- und runtergebucht worden“, sagt Ströter. Er habe mehrere Hundert Telefonate geführt, um Ideen für eine transparentere und gerechtere Vergabe zu finden.
Vorschläge für digitale Buchungssysteme seien ebenso gescheitert wie die Idee, sich wie früher vor Ort zu treffen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, hatten sich Bands wie Brings, Cat Ballou, die Räuber, die Domstürmer und Milieu dafür ausgesprochen, zu dem alten System zurückzukehren, Gruppen wie Kasalla, die Höhner, Bläck Fööss und Klüngelkopp wollten lieber das System der vergangenen Jahre beibehalten – ohne Absprache in Präsenz. „Schließlich kam aus Reihen der Künstler der Vorschlag, die Buchungen vorzuziehen – weil ohnehin schon gebucht werde. Diesem Vorschlag haben wir zugestimmt“, sagt Ströter.
„Davon, dass plötzlich schon im Juli gebucht werden sollte, waren wohl alle überrascht – aber wir mussten mitmachen, weil die Termine mit ihren Routen genau aufeinander abgestimmt sein müssen und keiner warten kann, wenn alle buchen“, sagt Stefan Kleinehr, Manager von Brings. Ein gerechtes Vergabeverfahren gebe es nicht, „aber es wäre im Rückblick am besten gewesen, man hätte es bei den Terminen Mitte September belassen. So ist es für viele Karnevalsgesellschaften leider eine Katastrophe“.
„Wir haben die Entwicklung rund um die Künstlerbuchungen für die Session 2027 aufmerksam beobachtet und die Verwirrung und die Nöte vor allem kleinerer Gesellschaften mitbekommen. Der hektische und in Teilen chaotische Ablauf hat selbst die professionellen Agenturen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gebracht – und viele ehrenamtlich tätige Literaten erst recht“, sagt Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn. „Für 2027 ist das Kind zwar in den Brunnen gefallen, aber das darf kein Modell für die Zukunft sein.“
An dem Debakel und dem Schaden fürs Ehrenamt, der jetzt entstanden ist, sind alle Schuld. Wir wollten das Ehrenamt und die Fairness stärken – und haben das Gegenteil erreicht
Michael Ströter, der 13 Jahre Literat der Roten Funken war und sich im vergangenen Oktober bereit erklärt hatte, als Baas den Vorsitz des Literatenstammtischs zu übernehmen, sagt dazu: „An dem Debakel und dem Schaden fürs Ehrenamt, der jetzt entstanden ist, sind alle schuld.“ Dass nun die kleinen Vereine und Gesellschaften, die weder Agenturen noch Literatenvereinigungen angebunden sind, in die Röhre gucken, weil sie gar nicht über die vorgezogenen Buchungen informiert wurden, sei „fatal“, sagt Ströter. „Wir wollten das Ehrenamt und die Fairness stärken – und haben das Gegenteil erreicht.“ Wenn nun aber Mitglieder des Literatenstammtischs oder von Agenturen sagten, die Vorverlegung der Buchungen habe sie überrascht, sei das „sehr unglaubwürdig“, sagt Ströter. „Es geht hier aber auch nicht um Grabenkämpfe oder persönliche Eitelkeiten. Unterm Strich leidet der Karneval als Ganzes – und das ist bitter.“
Bei den Buchungen im Karneval herrscht Klüngel und Wildwest. Ich weiß nicht, wie sich das ändern lässt
Er selbst habe „sicher auch Fehler gemacht“ und werde aus den Geschehnissen der vergangenen Wochen die Konsequenzen ziehen, sagt Ströter: „Ich werde in den kommenden Wochen als Vorsitzender des Literatenstammtischs zurücktreten.“ Momentan herrsche bei den Buchungen für den Karneval „leider Klüngel und Wildwest“. Wie sich das ändern lasse? Ströter zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“