Kölner Corona-Protokolle„Wenn ich volle Stadien sehe, fühle ich mich verarscht“

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CP-Goldroger

Rapper Goldroger

Köln – Vor ein paar Wochen hatte man noch allen Anlass, optimistisch zu sein: Die Inzidenz war niedrig, die Impfquote stieg, die Läden öffneten wieder, alle atmeten auf, auch ich dachte: Krass, vielleicht ist Corona jetzt echt bald im Griff. Inzwischen grassiert die Delta-Variante, ich habe das während eines kurzen Urlaubs in Lissabon hautnah mitbekommen – und war froh, schon durchgeimpft zu sein.

„Fußball ist wichtig, Lufthansa ist wichtig, Kultur nicht“

Ich wundere mich, dass es bei der Fußball-Europameisterschaft zum Teil volle Stadien gibt: Wenn man selbst nicht auftreten darf, viele Festivals abgesagt sind und noch keiner touren darf, fühlt man sich irgendwie verarscht. Wo ist die Verhältnismäßigkeit, von der seit Beginn der Pandemie immer wieder die Rede ist? Man kann den Eindruck gewinnen: Autos sind wichtig, Fußball ist wichtig, Lufthansa ist wichtig, Kultur ist nicht wichtig, Bildung auch nicht so, junge Menschen – höchstens geht so.

Als in den vergangenen Wochen plötzlich wieder alles geöffnet war, die Parks, Straßen und Cafés voll waren, man in den Häusern Partymusik gehört hat, war ich erstmal ziemlich überfordert. Ging mir zu schnell, mental, aber auch rational. Klar habe ich mich auch gern draußen in ein Café gesetzt, ich dachte aber auch: macht lieber mal ein bisschen langsam mit dem Öffnen, das hatten wir doch schonmal.

Mein Tourstart ist für Januar 2022 geplant. Im Moment bin ich noch zuversichtlich, aber es könnte auch passieren, was völlig absurd wäre: Im September, Oktober sind Konzerte möglich, aber im Winter wieder nicht, weil die Inzidenzen zu hoch sind und es irgendeine neue Variante gibt. Das wäre der Horror, allerdings bin ich inzwischen auch ein bisschen abgestumpft: Ich habe zu oft gehofft, dass es sich normalisiert. Seit eineinhalb Jahren wechseln sich Frust und Hoffnung jetzt ab.

Sorge vor Tourabsage im Winter 2022

Inzwischen wächst die Sorge vor einem Szenario, von dem auch inzwischen immer öfter die Rede ist: Dass wir von Corona in die nächste Pandemie rutschen könnten, wir bald in einem Zeitalter der Pandemien leben, weil wir die Erde zu sehr ausgebeutet haben. Corona sollte uns eine Lehre sein, auch dahingehend, dass Autos, Flugzeuge und Wirtschaftswachstum eben nicht das wichtigste sind.

Ich selbst bin seit dem 10. Juni zum zweiten Mal geimpft, auch unsere ganze Crew ist schon durch. In meinem Umfeld hat jeder zugesehen, dass er so schnell wie möglich die Spritzen bekommt. Das entspannt ein bisschen. Am meisten freue ich mich für meine Oma, für die das vergangene Jahr der Horror war: Kürzlich haben wir uns das erste Mal wieder umarmt, bald werde ich bei ihr übernachten. Das so etwas wieder geht, ist cool. Inzwischen umarmt man sich auch wieder vorsichtig mit guten Freunden. Shakehands allerdings nicht, ich glaube, die Zeit des Händeschüttelns ist vorbei, das muss aus meiner Sicht auch nicht unbedingt wieder kommen. Und die Masken? Fände ich ok, wenn ich die in der Bahn zum Beispiel weiterhin trage. Die Hygienekultur könnte man beibehalten.

Schenkt den Deutschen eine Bratwurst

Bei Konzerten ist das was Anderes: Unsere coronakonformen Sommershows werden nach Stand der Dinge wieder mit Maske und Abstand stattfinden – auf die Dauer ist das traurig. Wie die Fußballzuschauer müssen die Konzertbesucher geimpft, genesen oder getestet sein, und wenn das erfüllt ist, wäre es toll, wenn sie das Konzert auch ohne Maske erleben dürften. Aber klar: Fußball ist in diesem Land wichtiger. Ich denke, wenn man den Deutschen eine Bratwurst und eine Freikarte zum Fußball schenken würde, würden sich auch die Impfskeptiker impfen lassen.

Zehn coronakonforme Konzerte geplant

Beruflich läuft es bei mir gerade wieder an: Mein neues Album Diskman Antishok 3 ist fertig, im August soll die erste Single ausgekoppelt werden, vorher stehen Videodrehs und Promo-Termine an. Es gibt gerade viele Proben, Verpflichtungen und Deadlines, ist manchmal viel, tut aber auch gut. Zuletzt hatte ich nicht so viel Tagesstruktur, was mich auf die Dauer immer etwas runterzieht. Bis Ende September sind zehn coronakonforme Shows geplant, darunter beim Reeperbahn-Festival in Hamburg und beim Hafensommer in Osnabrück, ich freue mich drauf, endlich wieder auf der Bühne zu stehen, auch wenn es weniger zu verdienen gibt und Corona wahrscheinlich noch irgendwie auf die Stimmung drückt.

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Ich habe das große Glück, bislang durch die Pandemie gekommen zu sein, ohne mir einen anderen Job suchen zu müssen. Im Hip-Hop-Genre verdiene ich ganz okay mit Streaming, ans Aufhören habe ich nie gedacht. Ich hoffe, dass die Impfquote weiter steigt, die Leute vorsichtig bleiben, dass Corona irgendwann wirklich unter Kontrolle ist. Und es nächstes Jahr dann ganz normale Konzerte gibt, ohne Masken und Abstand. Auch wenn ich mir das noch nicht so richtig vorstellen kann. Bei Konzerthallen denke ich immer zuerst an Aerosole.

Goldroger, Rapper aus Köln

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