Kölner Dom-GeheimnisMoses in Gummistiefeln und ein schauriger Seedrache

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Moses zieht seine Schuhe aus, im Hintergrund brennt der Dornbusch, und darüber erscheint Jesus.

  • Den Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölnerinnen und Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  • Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  • In dieser Folge führt sie die Leser in die Stephanuskapelle, wo sich das um 1280 entstandene „Jüngere Bibelfenster“ befindet.

Köln – Wenn es im Dom ein „Älteres Bibelfenster“ gibt, das ich Ihnen in der vergangenen Woche in dieser Serie vorgestellt habe, spricht vieles für die Existenz auch eines „Jüngeren Bibelfensters“.

Und tatsächlich befindet sich dieses wunderbare Beispiel gotischer Glasmalerei in der Stephanuskapelle rechts im Chorumgang. Es ist um 1280 entstanden, etwa 20 Jahre nach dem „Älteren Bibelfenster“ in der Dreikönigenkapelle, kam aber erst 1823 aus der 1804 abgerissenen ehemaligen Dominikanerkirche in den Dom und fand seinen heutigen Platz dort im Jahr 1892.

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Binnen weniger Jahrzehnte ist die Farbgebung der Glasmalerei eine ganz andere geworden: Anders als im „Älteren Bibelfenster“ dominieren jetzt Gelb, Weiß und helles Grün anstelle des früheren Blau-Rot-Akkords. Wegen der erkennbaren Erzählfreude in den Einzelszenen gehört das „Jüngere Bibelfenster“ zu meinen Lieblingskunstwerken im Dom. Auch hier sind Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament einander in – wie man das nennt – „typologischer“ Entsprechung zugeordnet.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Wenn Sie sich an die Bildfolgen des „Älteren Bibelfensters“ erinnern, werden Sie einige der Paarungen hier wiedererkennen – so den Besuch der Königin von Saba bei König Salomo und die Anbetung der Heiligen Drei Könige, hier in der dritten Bildzeile von unten. Oder auch Moses mit dem brennenden Dornbusch und die Geburt Christi.

Kühne christliche Deutung

Gerade dieses Bildpaar in der zweiten Zeile von unten finde ich ungemein lebendig. Schauen Sie einmal auf Moses links im Bild: Ganz wie ihm von Gott geheißen, zieht er gerade seine Schuhe aus. „Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“, heißt es dazu in der Bibel. Den rechten seiner Schuhe, die aussehen wie gelbe Gummistiefel, hat Moses schon abgelegt. Jetzt ist er dabei, auch den linken abzustreifen, und hat das Knie angewinkelt.

Aus dem Dornbusch züngeln rote Flammen. Darüber erscheint mit halbem Oberkörper Gott, der Herr – oder genauer gesagt Jesus, der am Heiligenschein mit dem eingezeichneten Kreuz sowie an der Beschriftung rechts dahinter zu erkennen ist. Es ist eine kühne christliche Deutung des Geschehens am Gottesberg Horeb: Schon dem jüdischen Patriarchen Moses offenbart sich Gott in der Gestalt seines Sohnes.

Schmunzeln über Ochs und Esel

Während hier also höchst anspruchsvoll Theologie getrieben wird, erfreut der Glasmaler sich und die Betrachter seines Bilds zugleich mit liebevoll und genau beobachteten Details mitten aus dem Leben: Eine der Ziegen, die zu weiden Moses’ Aufgabe war, knabbert unten links am brennenden Dornbusch.

Oder achten Sie im benachbarten Bild mit der Geburt Christi auf Ochs und Esel! Die schauen sich so nett und so erstaunt an, dass ich jedes Mal schmunzeln muss: „Tolle Sache, dass wir beide hier bei der Geburt von Gottes Sohn dabei sein dürfen!“

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Der Prophet Jona wird von einem – ziemlich schaurig dargestellten – Wal verschlungen. 

Mein Lieblingsmotiv ist allerdings in der dritten Bildzeile von oben zu finden. Der Prophet Jona, der von einem Wal verschlungen und dann an Land gespien wird, ist dort dem auferstandenen Christus zugeordnet – auch dies eine klassische Paarung. Worauf ich Sie besonders hinweisen möchte, ist der Wal. Hier ist er nämlich eher ein Seedrache mit blutrotem Maul, Stummelflossen und langem, dünnem Schwanz.

Also, ich behaupte mal steif und fest: Wer das gemalt hat, kann nie im Leben einen echten Wal gesehen haben. Aber man wird ihm davon erzählt haben, dass Wale Wasser speien – und genau das sieht man hier dann auch, aber wieder so, wie sich der Künstler des späten 13. Jahrhunderts das in seiner Fantasie ausgemalt hat: In hohem Bogen stößt das Wal-Seeungeheuer durch seine Nasenlöcher zwei kräftige Fontänen aus.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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