„Vielleicht werden wir bereichert“Dompropst Bachner über Ostern in der Corona-Krise

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Domprobst auf der Bank

Die Leere im Dom erlebt Dompropst Bachner „als etwas sehr Inniges, intensiver als sonst“.

  • Die Amtszeit von Dompropst Gerd Bachner endet am 30. April.
  • Im Interview erklärt er die Besonderheiten der großen Gottesdienste in der Kölner Kathedrale und zieht eine Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit.
  • Und wie läuft Ostern im Dom in Zeiten der Corona-Krise ab? Auch das verrät Bachner.

Herr Dompropst, im Dom stehen zu Ostern die wichtigsten Gottesdienste des Jahres an. Aber er wird leer sein, gesperrt für Besucher. Wie wirkt sich das ganz konkret auf die Abläufe aus?

Gerd Bachner: Zunächst einmal: Der Dom ist leer, aber nicht gesperrt. Zwar sind öffentliche Gottesdienste untersagt, aber wer beten will, darf in den Dom. Das haben wir vom Domkapitel so vereinbart, so wie es der Erzbischof für alle Kirchen im Erzbistum Köln entschieden hat. Wer beichten will, ist ebenfalls willkommen. Bei den Beichtstühlen haben wir eigens auf den nötigen Abstand geachtet. Also, Beten und Beichten – das geht immer.

Egal, wie viele Leute kommen?

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Die Zahl spielt keine Rolle. Der Dom ist groß genug. Hauptsache, der Abstand stimmt. Und darauf achten die Domschweizer. Wir zählen zurzeit etwa 150 Besucher am Tag. Normalerweise wären 16.000 bis 20.000 da. Ich selber bin jeden Tag dort. Die Leere dieses gewaltigen Raums, die Stille – das erlebe ich als etwas sehr Inniges, intensiver als sonst. Und im Gebet nehme ich die Menschen mit, die jetzt nicht kommen können. Dieser Tage schrieb mir eine Frau aus der Region, ihr Vater – 82 Jahre – werde in Kürze operiert. Ob ich vielleicht vor der Schmuckmadonna eine Kerze für ihn anzünden würde. Ja sicher, das habe ich gemacht. Es gibt das inzwischen auch als Angebot auf der Webseite des Kölner Doms und über Facebook: „Wir zünden Ihre Kerze an“ heißt die Aktion. Die Leute können uns – anonym – ihr Gebetsanliegen mitteilen, und wir nehmen es mit in den Dom.

Wer macht das konkret?

Die Mitarbeiter unserer Pressestelle. Das ist jetzt mal eine andere Form von Öffentlichkeitsarbeit. Der Grundgedanke ist der gleiche wie bei den Live-Übertragungen der Gottesdienste: Hier und jetzt, in diesem Moment, sind wir auf Distanz verbunden.

Zurück zu den Ostergottesdiensten…

Die Feiern an den Kar- und Ostertagen sind – mehr noch als sonst – auf Gemeinschaft angelegt. Der Gründonnerstag erinnert an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Ein Gemeinschaftserlebnis par excellence. Ich habe dieser Tage Fotomontagen des berühmten Abendmahl-Gemäldes von Leonardo da Vinci gesehen: Jesus allein am Tisch mit einem Laptop vor sich und die zwölf Apostel auf Monitoren zugeschaltet. So eine Verfremdung macht deutlich, wie selbstverständlich uns die Vorstellung des gemeinsamen Mahls ist und was uns fehlt, wenn wir plötzlich im Wortsinn allein am Tisch sitzen. Aber dann kommt uns die Technik zu Hilfe, die uns erleben lässt: Wir sind nicht allein.

Ein besonderer Ritus des Gründonnerstags mit viel Nähe ist die Fußwaschung.

Der Priester – im Dom ist es der Erzbischof – ahmt damit die Demutsgeste Jesu nach, der diesen in der Antike üblichen Dienst, oft von Sklaven verrichtet, vor dem letzten Abendmahl persönlich an seinen Jüngern vollzogen hat. In diesem Jahr hat Rom das weltweit untersagt. Genau wie die „Kommunion unter beiderlei Gestalten“, die sonst am Gründonnerstag möglich ist.

Was bedeutet das?

Dass es in einigen Gemeinden Praxis ist, den Gläubigen nicht nur die Hostien auszuteilen, sondern auch den Kelch mit Wein zum Trinken anzubieten. Nur eben leider nicht in diesem Jahr. Noch nicht einmal das ganze Domkapitel wird an der Abendmahlsfeier im Dom teilnehmen, um die Zahlen nicht in die Höhe zu treiben. Teile des Kapitels feiern parallel dazu in einer anderen Kirche. Damit entsprechen wir den Bedingungen der Stadt Köln, unter denen uns die Gottesdienst-Übertragungen aus dem Dom erlaubt sind. Der Kardinal feiert sie mit Diakon und Altarassistenz, einigen wenigen Messdienern, Sängern sowie mit einigen Begleitern, die die Gemeinde repräsentieren.

„Volk 1“ bis „Volk 4“, habe ich im Ablaufplan für einen der Gottesdienste gelesen.

Das sind die vier Personen, die am Gottesdienst im Dom teilnehmen.

An Karfreitag und in der Osternacht wird es auch so sein?

Der Grundgedanke an Karfreitag ist, dass wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu heute ihn auf seinem Kreuzweg begleiten und in der Stunde seines Todes unter dem Kreuz versammelt sind. Auch das wird 2020 nur in sehr abstrahierter Form möglich sein. Genau wie das gemeinsame Wachen und Beten in der folgenden Nacht der Auferstehung.

Was ist mit dem traditionellen Osterfeuer?

Es wird in der Turmhalle des Doms ein ganz kleines Osterfeuer geben, an dem die Osterkerze entzündet und dann in den Dom getragen wird. Normalerweise werden an der Flamme der großen Osterkerze dann die kleinen Kerzen entzündet, die alle Gottesdienstbesucher bei sich haben. Das ist ein Moment, dessen Zauber sich wohl niemand entziehen kann: Man kommt aus der Dunkelheit in die ebenfalls stockfinstere Kirche – und auf einmal wird sie licht und hell. Das Großartige daran ist: Dafür genügt im Grunde schon die eine kleine Flamme der Osterkerze, und das wird also auch in diesem Jahr erfahrbar sein. Dagegen fällt die sonst übliche Taufe aus, und es wird auch keine Taufwasser-Weihe geben, lediglich die Erneuerung des Taufversprechens. Die Weihwasserbecken haben wir schon vor Wochen geleert. Das gehörte zu den ersten Corona-Schutzmaßnahmen, weil sich in dem Wasser, mit dem sich die Besucher des Doms bekreuzigen, Keime sammeln können. Auch den Handschlag zum Friedensgruß vor der Kommunion lassen wir bereits seit Anfang März in allen Messen weg.

Was ist Ihnen in diesen Tagen besonders wichtig?

Die immer vorhandene innere Dramaturgie vom Gründonnerstag über den Karfreitag bis zur Osternacht hat für mich in diesem Jahr eine ganz besondere, existenzielle Spannung. Aufstehen, auferstehen – das kann nur, wer zuvor gefallen ist. Jeder von uns macht die Erfahrung des Fallens. Und auch als glaubender Mensch fällt man oft sehr tief. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“, ist im Markus- und Matthäusevangelium das letzte Wort Jesu am Kreuz. Aber dieser Schrei ist ein Gebet. Jesus schreit nicht heraus: „Gott hat mich verlassen“, sondern in seiner größten Not ruft er an Gott an. Für mich heißt das: Ich kann auch meine eigene Not vor Gott tragen, sie ihm hinhalten. Das geht mir an Karfreitag sehr nah.

Und Ostern?

Wir begehen es diesmal ja so wie die ersten Jünger. Denen war ja keineswegs nach Osterjubel und Halleluja zumute. Drei Tage nach dem Tod Jesu waren sie voller Frust, Angst, Zweifel, voll der Unsicherheit, wie es jetzt weitergehen würde. Und erst durch die Osterbotschaft der Frauen machten sie langsam, tastend, Stück für Stück die Erfahrung von neuem Leben, von Auferstehung. Wir können aufstehen, wenn uns jemand bei der Hand nimmt. Vielleicht kann man das auch auf die Corona-Krise anwenden: Wir wissen nicht, wann sie endet. Wir wissen nicht, was uns noch alles widerfahren wird. Ganz sicher wird es Leid und Tod geben. Aber vielleicht werden wir alle miteinander auch bereichert aus dieser Krise herausgehen.

Noch sind Sie als Dompropst Hausherr der Kathedrale. Ihre Amtszeit endet am 30. April. Ist der Dom nicht gerade jetzt in der „Ausnahmesituation“ wieder das, als was er eigentlich gedacht war: Haus Gottes, Haus des Gebetes?

Der Dom ist mehr. Das habe ich als Dompropst immer vehement vertreten. Er ist auch Weltkulturerbe, er ist auch Wahrzeichen Kölns. Fragt man die Kölner und die Menschen in der Region, „wem gehört eigentlich der Dom?“, werden sie sagen: „Uns!“ Rechtlich ist das nicht ganz zutreffend. Als juristische Person gehört der Dom sich selbst. Und doch stimmt es – emotional. Nicht zu vergessen, dass fast zwei Drittel der Unterhaltungskosten des Doms aus den Beiträgen des „Zentral Dombau Vereins“ und aus privaten Spenden finanziert werden. Der Dom soll einladend sein – offen für alle, unabhängig von Glaube und Weltanschauung. Er soll aber nicht zum Rummelplatz werden, zur Arena oder Theaterbühne, sondern tatsächlich auch Gotteshaus bleiben. Beides muss man sorgsam austarieren.

Wie haben Sie diese Balance zu halten versucht?

Zum Beispiel mit einem Markenprozess für den Dom, den ich vor zwei Jahren in Gang gesetzt habe. Zu den Ergebnissen gehört, dass es jetzt jeden Abend einen Dank „op kölsch“ an alle Besucher gibt mit der freundlichen Erinnerung, dass der Dom gleich geschlossen wird. Wichtig war mir auch die Einführung der Domschweizerinnen.

Als Beitrag zur Aufwertung der Frau in der katholischen Kirche?

Sagen Sie das nicht so ironisch! Ich weiß schon: Domschweizerinnen erfüllen nicht den Wunsch vieler Katholikinnen nach gleichberechtigtem Zugang von Katholikinnen zu allen Ämtern in ihrer Kirche. Aber ich finde: Jeder Schritt zählt.

In Ihre Amtszeit fallen spektakuläre Aktionen wie die international beachtete Dom-Illumination „Dona nobis pacem“ 2018 zur Erinnerung an das Weltkriegsende vor 100 Jahren oder „Silent mod“ aus Anlass der Gamescom 2016 mit Techno-Musik, Trockennebel und Laserstrahlen. Des Risikos einer „Eventisierung“ des Doms waren Sie sich bewusst?

Ich sage mal so: Jeder Katholik, jede Katholikin, tief verwurzelt im Glauben, ist mir lieb und teuer. Aber die, um die ich mich im Sinne Jesu zuerst kümmern sollte, sind doch diejenigen, die am Rand oder in der Ferne stehen. Wie können wir ihnen als Kirche Wege ebnen, die wir vielleicht selbst kaputt gemacht oder verbaut haben? Wie können wir auch junge Menschen in ihrer Lebenswelt erreichen? Mit „Silent mod“ zur Gamescom haben wir eine Zielgruppe angesprochen, die wir mit unserer Art der Verkündigung sonst niemals erreichen würden.

Und die vermutlich auch nicht in den Dom käme.

Ich wollte, dass der Dom ein Ort ist, an dem der Glaube mit allen Sinnen erlebt werden kann. Ein Ort auch, der nah am Leben der Menschen ist und der religiöse Fragen in Beziehung setzt zu den Fragen der Gesellschaft. Das war für mich zum Beispiel der besondere Reiz der jährlichen Domlesung zur lit.Cologne. 2020 hätte es ja Text von Brecht und Bonhoeffer geben sollen: ein Atheist im Dialog mit einem Theologen und Pfarrer – und der Dom als Resonanzraum. So habe ich mir den Dom immer gewünscht.

Zur Person

Gerd Bachner, geboren am 23. April 1945 in Burgstädt (Sachsen), wuchs in Düsseldorf auf. 1972 wurde er im Kölner Dom zum Priester geweiht. Bachner war lange in der Priesterausbildung tätig und leitete ab 2001 die Hauptabteilung Schule/Hochschule im Generalvikariat des Erzbistums Köln. Seit 2005 gehört er dem Domkapitel an. 2015 wurde er als Nachfolger von Norbert Feldhoff zum Dompropst gewählt. Seine Amtszeit endet am 30. April.

Bachner betrieb seit 2016 ein Schutzkonzept für den Dom gegen Vandalismus und terroristische Bedrohung. Stark engagierte er sich zusammen mit der Stadt Köln für das Projekt „Historische Mitte“, in dem er einen Beitrag zu einem würdigen Dom-Ambiente sieht.

Als erster Dompropst in der Geschichte der Kathedrale erklomm Bachner, der passionierter Bergsteiger ist, am 26. August 2015 die Kreuzblume auf dem Nordturm des Doms.

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