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Angstraum Kölner Neumarkt„Warum kann die Stadt nicht einfach eine Toilette bauen?“

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Die Drogenszene am Neumarkt breitet sich aus

Köln – Sozialdezernent Harald Rau wollte eigentlich seinen Masterplan zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit vorstellen. Die Karl-Rahner-Akademie hatte unter dem Titel „Masterplan gegen die Not?“ zur Diskussion über Wohnungslosigkeit und Drogensucht eingeladen. Doch die rhetorische Frage im Titel beantwortete Rau schnell. Einen Masterplan zur Lösung aller Probleme stellte er nicht vor.

Der Sozialdezernent nannte stattdessen elf Punkte eines Konzepts gegen die Obdachlosigkeit. Der Unterschied zwischen Konzept und Masterplan? Das Konzept habe eher den „Charakter eines Zielbilds“, sagt Rau. Elf „Task Forces“ erarbeiteten die Eckpunkte. Im Frühjahr sollen diese erstmals in den Ausschüssen diskutiert werden. Die Vision, die dem Konzept zugrunde liege: „Bis 2030 wollen wir die Obdachlosigkeit überwinden“, sagt Rau.

Aus dem Publikum waren einige Stimmen zu hören, die sich konkrete Zusagen erhofft hatten, und keine Ankündigungen für die Zukunft. Auf dem Podium übernahm diese Rolle der katholische Pfarrer Dominik Meiering, der unter anderem Pastor von St. Aposteln am Neumarkt ist.

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Für viele ist der Neumarkt ein Angstraum

Er höre in Gesprächen, dass der Platz für viele ein „Angstraum“ sei und das Gefühl vorherrsche, die Stadt habe kapituliert. „Eine solche Diskussion wie heute hätten sich deshalb auch sicherlich viele im öffentlichen, nicht im bezahlten Rahmen gewünscht“, sagte Meiering. Der Abend in der Karl-Rahner-Akademie kostete fünf Euro Eintritt.

Den knapp 30 Gäste der Diskussion wurden die elf Punkte des Konzepts des Sozialdezernats vorgestellt. Der erste beschäftigte sich mit Plätzen „mit besonderem Handlungsbedarf“, wie beispielsweise der Neumarkt und der Wiener Platz.

Man müsse diese Plätze attraktiver gestalten und neu beleben, sagte Rau. Auf eine Nachfrage aus dem Publikum, wie das genau aussehen könnte, wurde der Sozialdezernent nicht konkret, sondern verwies auf den Brunnen am Ebertplatz.  „Dass der Neumarkt 2030 attraktiver sein soll, ist ja schön“, sagte dazu Monika Kleine, die Geschäftsführerin des Sozialdiensts katholischer Frauen, die am Podium teilnahm. „Aber warum kann die Stadt nicht eine Toilette am Neumarkt errichten?“ Kleine sieht die Gefahr, dass die Stadt wegen der großen Ziele die vielen kleinen Zwischenschritte vergisst, die bis dahin nötig sind, um das akute Problem zu lindern.

Anzahl Kölner Wohnungsloser steigt rasant

So wehrte sich Sozialdezernent Rau immer wieder gegen den Eindruck, dass gar nichts geschehe. In seinen sechs Jahren im Amt habe sich schon viel getan. Er sei auch nicht zufrieden mit der Situation am Neumarkt. „Aber vor sechs Jahren gab es noch keine 24-Stunden-Winterhilfe, keine humanitäre Hilfe für Geflüchtete mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus, keine Drogenkonsumräume.“ Aber eine Toilette am Neumarkt habe es bereits gegeben. Jedoch habe das nicht funktioniert, deshalb müsse ein ganzes Toilettenkonzept erstellt werden. Und das koste Geld und müsse von der Politik beschlossen werden.

Rau kündigte außerdem an, dass Obdachlose in die Neugestaltung der Räume mit einbezogen werden sollen und der Einsatz von Streetworkern und die Winterhilfe generell ausgeweitet werden sollen. Rau machte auch  den Unterschied zwischen Obdach- und Wohnungslosen deutlich: Obdachlose haben kein Dach über dem Kopf, sie leben dauerhaft auf der Straße. Deren Zahl bewege sich konstant bei etwa 300. Wohnungslose sind hingegen Menschen, die zwar keinen Mietvertrag haben, aber hin und wieder eine Unterkunft beispielsweise in städtischen Einrichtungen oder bei Freunden finden. Deren Zahl steige rasant.

Köln braucht mehr Wohnungen

Deshalb sei ein wichtiger Teil des Konzepts laut Rau auch der Wohnraumerhalt. Damit meint er vorbeugende Maßnahmen, um dem Wohnungsverlust vorzubeugen. Die Stadt könne das insbesondere im Rahmen der GAG leisten, dem städtischen Immobilienunternehmen mit über 45.000 Wohnungen. „Wir brauchen aber noch mehr Wohnungen“, sagt Rau. Deshalb müsse die Stadt auch ein Umfeld schaffen, in dem das Wohnen als humanitäres Grundrecht vor dem Profit komme. „Da müssen wir an die Bodenpolitik ran, hin zu Konzeptvergaben.“ Bis die Vision einer Stadt Köln ohne Obdachlosigkeit im Jahr 2030 erreicht werden kann, muss also noch einiges geschehen.

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Ort drängen darauf, alles Machbare so schnell wie möglich zu erledigen. Und der Sozialdezernent verweist auf die bisherigen Erfolge und die Zuständigkeiten. Die Diskussionsmitglieder einigten sich in der Karl-Rahner-Akademie immerhin darauf, nicht bis 2030 zu warten, sondern sich in zwei Jahren nochmal zu treffen und Bilanz zu ziehen.

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