Im Gespräch erläutert Johannes Hermanns, wie das Konzept geändert werden sollte und regt an, auch über eine ärztliche Kokainabgabe an Schwerstabhängige nachzudenken.
Kölner Polizeipräsident„So funktioniert der Drogenkonsumraum am Neumarkt nicht“

Das Parkhaus Cäcilienstraße am Neumarkt nutzen Drogensüchtige als Rückzugsort. Aus hygienischen Gründen wurde kürzlich eine Parkebene geschlossen.
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Herr Hermanns, seit einigen Monaten halten sich vermehrt obdachlose und teils schwer cracksüchtige Menschen in Ehrenfeld auf. Wie stellt sich die Situation rund um die Haltestelle Körnerstraße aus Sicht der Polizei dar?
Der Bereich ist seit ungefähr Herbst 2024 im Fokus unseres Wachdienstes, weil zunehmend Beschwerden eingehen, zum Beispiel wegen Belästigungen. Die Kolleginnen und Kollegen treffen dort größere Gruppen an, überwiegend stark verwahrloste Personen aus der Trinker- und Drogenszene. Einen stärkeren Anstieg von Drogenhandel oder anderen Straftaten haben wir aber bisher noch nicht festgestellt. Wir erleben in Ehrenfeld zwar eine dynamische Entwicklung, sind aber sehr weit weg von dem, was wir zum Beispiel am Ebertplatz oder am Neumarkt sehen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Beschwerden führen meine Kolleginnen und Kollegen dort vermehrt Kontrollen durch.
Streetworker vom Aufsuchenden Suchtclearing berichten, die Personen in Ehrenfeld seien durch die starke Ordnungsamts- und Polizeipräsenz am Neumarkt verdrängt worden. Stimmt das?
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Wenn sich wie jetzt in Ehrenfeld Menschen treffen, die obdachlos und drogensüchtig sind, dann tun sie das, weil wir in der Stadt keine Orte haben, an denen sie sich gezielt aufhalten können. Solche Anlaufstellen für Schwerstabhängige brauchen wir aber. Aus polizeilicher Sicht kann sich grundsätzlich jeder Mensch – auch Drogenabhängige – an jedem Ort in Köln aufhalten, solange er die Rechte anderer Menschen nicht beeinträchtigt und sich an die Spielregeln hält. Tut er das nicht, und wir stellen fest, dass ganze Plätze okkupiert werden und die Freiheit und Sicherheit anderer Menschen beeinträchtigt sind, dann werden wir als Polizei tätig. Eine solche Maßnahme kann ein Platzverweis sein. Darauf müssen die Betroffenen einen bestimmten Ort verlassen und sich woanders hin bewegen. Wenn das mit Verdrängung gemeint ist, dann ist es so. Allerdings müssten unsere Einsatzkräfte dann auch wahrnehmen, dass die Klientel am Neumarkt weniger wird. Das wird sie aber nicht, im Gegenteil: Sie wächst.

Kölns Polizeipräsident Johannes Hermanns
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Mit der Folge, dass die Umgebung des Neumarkts rund um den Drogenkonsumraum zunehmend von der Rauschgiftszene inklusive Verwahrlosung geprägt ist. Was läuft da schief?
Eigentlich soll ein Drogenkonsumraum Unterstützung für schwerstabhängige Menschen bieten und die Möglichkeit eröffnen, in einem sauberen Umfeld und außerhalb der Augen der Öffentlichkeit der Sucht nachzukommen. Tatsächlich geht damit aber auch einher, dass illegale Drogenhänder genau wissen, wo sie ihre potenziellen Kunden finden. Unsere Rechtslage sieht ja noch nicht vor, dass jemand, der harte Drogen konsumiert, die auch legal erwerben kann. Er muss sich stattdessen am illegalen Markt bedienen. Und solange das so ist, zieht ein Drogenkonsumraum immer auch den Drogenhandel vor die Tür. Als Kunden kommen ja noch diejenigen hinzu, die gar nicht in den Konsumraum wollen, aber jetzt genau wissen, wo sie ihre Drogen auf jeden Fall kaufen können. Und so schwirren täglich sehr viele Konsumenten und Dealer um den Neumarkt wie die Bienen um einen Bienenstock. Die Umgebung ist damit ein wahres Eldorado für Dealer und auch für die Konsumenten, die Ladendiebstahl auch noch schnell vor Ort erledigen können.
Und so schwirren täglich sehr viele Konsumenten und Dealer um den Neumarkt wie die Bienen um einen Bienenstock
Ist der Drogenkonsumraum am Neumarkt gescheitert?
In seiner jetzigen Konfiguration: ja, ganz klar. Grundsätzlich erlaubt das Betäubungsmittelgesetz den Betrieb von Drogenkonsumräumen mit dem Ziel, Gesundheitsgefahren zu reduzieren und das Überlegen der Schwerstabhängigen zu sichern. Aber in der Verordnung steht als gleichrangiges Ziel auch, dass die Belastungen der Öffentlichkeit durch konsumbezogenes Verhalten zu reduzieren sind. Dieses Ziel wird am Neumarkt aber nicht erreicht, obwohl es unabdingbare Voraussetzung für den Betrieb eines Drogenkonsumraums ist. Auch wir als Polizei – und ich ganz persönlich – finden, dass wir als Gesellschaft den Suchtkranken helfen müssen. Aber wir müssen in Köln neu überlegen, wo, wie und in welcher Konfiguration wir das tun können.

Polizei und Ordnungsamt bei einer Kontrolle in der Zwischeneben der U-Bahnstation am Appellhofplatz. Hierhin sind Teile der Drogenszene vom Neumarkt längst ausgewichen.
Copyright: Arton Krasniqi
Was ist Ihr Vorschlag?
Ein Drogenkonsumraum gehört nach meiner Überzeugung nicht an den Neumarkt. An einem zentralen, innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt und Jahrzehnte alten Drogenbrennpunkt wird das Problem nur verstärkt, weil dort die Dealer und immer mehr Süchtige gebunden werden.
Und wo sollte er stattdessen hin? Platz ist knapp in der Stadt.
Wenn es keine andere Lösung gäbe, und es soll in der Nähe vom Neumarkt sein, dann ist das aus polizeilicher Sicht so und wir müssen damit umgehen. Aber dann muss man ihn auch so konfigurieren, dass wir alle Betriebszwecke eines Drogenkonsumraums erfüllen – und nicht nur einen oder zwei. Aus polizeilicher Sicht besser wäre jedoch ein Ort etwas außerhalb der hochfrequentierten Stadtbereiche.

Zwei Fahnder des Einsatztrupps Mitte der Polizei Köln kontrollieren im Juni 2023 einen mutmaßlichen Drogendealer, den sie auf dem Neumarkt festgenommen haben.
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Wie sieht der ideale Drogenkonsumraum Ihrer Ansicht nach aus?
Er sorgt dafür, dass wir in der Stadt Ruhe haben, dass das Beschwerdeaufkommen zurückgeht, dass die Bürgerschaft nicht belästigt wird und die Polizei nicht einschreiten muss. Er bietet den Suchtkranken rund um die Uhr eine Aufenthaltsmöglichkeit, ärztliche Hilfe, Versorgung und die Chance, sich nach dem Konsum zurückzuziehen, um nicht gleich wieder auf der Straße zu landen. In dieser Hinsicht können wir von anderen Städten lernen, zum Beispiel vom Zürcher Modell. Am Neumarkt dagegen sehen wir, welche Probleme entstehen, wenn man nur einen engeren Konsumraum schafft, ohne die weiteren Hilfen begleitend mit anzubieten zu können. Streetwork, Ordnungsamt, Polizei und Rettungsdienst müssen vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wenn die Versorgung der Suchtkranken sichergestellt ist, kann die Polizei den Drogenhandel nachhaltig bekämpfen, den Dealern die Geschäfte erschweren und die Konsumenten mehr in Ruhe lassen.
Trotzdem bliebe das Problem, dass sich die Süchtigen ihre harten Drogen illegal besorgen müssen. Und damit auch das Problem der Beschaffungskriminalität.
Crack-Abhängige benötigen täglich nach Schätzungen etwa 200 Euro, um sich ihre Sucht zu finanzieren, leiden aber gleichzeitig unter sozialem Abstieg und haben häufig kein legales Einkommen. Viele müssen betteln und Straftaten begehen. Wenn Suchtkranke sich ihre Drogen nicht legal beschaffen können, die sie im Drogenkonsumraum aber legal konsumieren dürfen, ist das schon ein deutlicher Wiederspruch in der gesetzlichen Regelungslage. Aus meiner Sicht sollten wir uns daher auch über Rechtsänderungen Gedanken machen. Ein Weg könnte sein, bei ärztlich festgestellter Schwerstabhängigkeit auch die ärztlich verordnete Abgabe von Drogen in Drogenkonsumräumen zuzulassen. Das ist unter den heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zulässig.

Blick in den Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt am Neumarkt (Archivbild)
Copyright: Alexander Roll
Heroin wird bereits als Originalstoff an Schwerstabhängige abgegeben. Sie würden auch Crack, also Kokain, von Ärzten verordnen lassen wollen?
Welche Substanzen von Ärzten abgegeben werden könnten, müssten aus meiner Sicht Wissenschaftler sagen. Ich spreche jedenfalls von Schwerstabhängigen, bei denen es nach menschlichem Ermessen schwierig bis unwahrscheinlich ist, dass sie jemals von der Droge wegkommen. Und wenn man weiß, dass Menschen vermutlich keine Chance haben, von der Droge wegzukommen, dann muss man überlegen, wie man für sie ein menschenwürdiges Leben gestalten kann. Wenn ich eine Einrichtung wie einen Drogenkonsumraum grundsätzlich akzeptiere, aber nicht erkläre, wie die Abhängigen den Stoff kriegen können, den sie da drinnen konsumieren dürfen, dann ist das für mich eine eher nicht nachvollziehbare Regelung, um das mal vorsichtig zu beschreiben. Und außerdem ist das Umfeld von Drogenkonsumräumen dann auch der Nährboden für organisierte Kriminalität.
Sie sagten vorhin, Streetwork, Ordnungsamt, Polizei und Rettungsdienst müssten bei dem Thema vertrauensvoll zusammenarbeiten. Tun sie das in Köln etwa nicht?
Ich sage es mal so: Wir können uns da alle noch weiterentwickeln. Zwischen Streetwork und Polizei gibt es natürliche Hemmnisse. Die Streetworker sagen, sie können das Vertrauen ihrer Klientel nicht gewinnen, wenn sie gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen gesehen werden. Die gesetzlichen Vorgaben und sehen aber genau das vor: dass wir ganz eng zusammenarbeiten. Für mich ist glasklar, dass jemand, der Hilfe bekommt, sich auf der anderen Seite auch regelkonform verhalten muss. Und das geht nur, wenn Streetwork und Polizei auch gemeinsam auftreten und das gemeinsam regelkonforme Verhalten auch gemeinsam einfordern. Wir kooperieren grundsätzlich schon gut, aber aus meiner Sicht sollten wir auch für die Konsumenten noch sichtbarer als verschweißte Einheit auftreten.
Stephan Kessler, der Pfarrer von St. Peter am Neumarkt, hat im Februar im „Kölner Stadt-Anzeiger“ beklagt, im Gegensatz zur proaktiven Drogenpolitik anderer Städte, zum Beispiel Zürich, scheine in Köln der politische Wille zu fehlen, auf die veränderten Bedürfnisse der Drogenszene einzugehen. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ich möchte das nicht auf die Politik begrenzen. Ich glaube, wir brauchen in der ganzen Stadt ein gemeinsames Problembewusstsein und ein gemeinsames Lösungsbewusstsein. Dann werden wir auch einen Weg finden.
Der wird auf jeden Fall teuer. Ein oder sogar mehrere Drogenkonsumräume kosten viel Geld – das Köln eigentlich nicht hat.
Die hohen Kosten haben wir doch jetzt schon. Nehmen Sie allein die häufigen Reinigungsintervalle der AWB, die Einbußen der Geschäftsbetreiber durch den Ladendiebstahl und die gesundheitlichen Folgekosten. Aber nochmal: Wenn man weiß, wo man hin will, findet man Lösungen. Es gibt in dieser Stadt hohes Unterstützungspotential, wenn es dieses gemeinsame Lösungsverständnis gibt. Ein funktionierender Drogenkonsumraum mit Aufenthalts- und Unterstützungsmöglichkeiten, das ist meine persönliche Überzeugung, wäre ein sehr gutes Investment.